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Stieler machte also in Warschau zahlreiche Bekanntschaften, sowohl in wohlhabenden und
einflu&reichen Kreisen, aus denen seine Kunden stammten, ais auch unter den Freimaurern, vor
allem deutscher oder ósterreichischer Abstammung. Am 26. Januar 1807 verlieB er zusammen
mit dem unzertrennlichen Langenhóffel in Eile Warschau und begab sich nach Lemberg, wo er
sich bis Mitte Marz aufhielt, um dann nach Wien und — schon allein — weiter nach Paris zu
reisen. Er mufi sich in Warschau wohl gefuhlt haben, denn er hatte vor, hierher zuruckzukehren,
wozu es jedoch nicht kam. Nach Lemberg wurde er berufen, um eine ais „Furst Jabłońska"
bezeichnete Person zu portratieren, also jemanden aus der Familie der Fursten Jabłonowski,
móglicherweise den polnischen Gesandten in Berlin, Stanisław Paweł Jabłonowski
(1762—1822). Die Gemaldesammlungen dieser Familie, u.a. Familienportrats, wurden haupt-
sachlich auf dem SchlolS Bursztyn aufbewahrt, von wo manche Werke dann in die Staatliche
Gemaldegalerie in Lemberg gelangten. Ob sich darunter auch das Gemalde Stielers befand, ist
ungewili.

Joseph Stieler erlebte in Warschau den Einzug Napoleons und der GroBen Armee, der ihn
zutiefst beeindruckte; er war begeistert von den Franzosen. Damals faBte er den BeschluB, nach
Paris zu reisen. Daher verbrachte er nur kurze Zeit in Wien, und bereits im Mai 1807 brach er uber
die Schweiz nach Frankreich auf. Er trat ins Atelier Franęois Gerard ein (ahnlich wie der Pole
Antoni Brodowski) und sog die franzósische Kultur und die Malerei im Davidschen Stil tief in
sich ein. Er lernte J.L. David wie auch Antoine Gros und Anne Louis Girodet-Trioson persónlich
kennen. Stieler hat selbst erkannt, dali er in Paris zum zweiten Mai das Malen zu lernen begonnen
habe. Und die Lehre hat sich ihm tief ins Gedachtnis eingepragt: nach Meinung Friedrich
Pechts31 wurde Stieler der ausgezeichnetste Verterter der franzósischen Schule in Deutschland;
besonders nahe stand ihm sein Lehrer Gerard. Nach Paris hatte sich Stieler mit Empfehlungen an
Furst Sapieha begeben. Nach dem Pariser Aufenthalt weilte er langere Zeit in Italien und in Wien,
und Ende 1820 Neli er sich ais „kóniglich bayerischer Hofmaler" in Munchen nieder. Dort
wurden die franzósischen Einfliisse und die Anklange an Davidismus schon allmahlich
schwacher. Wenn man jedoch manche seiner schon auBerhalb Polens entstandenen polnischen
Portrats betrachtet, erinnert man sich an die Worte, mit denen er seine Beziehung zu Gerard
beschrieb: „Besonders sprach mich das Talent Gerards, welcher damals in seiner Blute stand,
ungemein an."

Ich rede von „polnischen" Portrats, denn die Kontakte Stielers zu den Polen wurden
anscheinend nicht unterbrochen, nachdem er das Land verlassen hatte, da sich die Polen
weiterhin gern von ihm portratieren liefien.

Angefangen sei bei den nicht immer eindeutigen Eintragungen in Stielers Verkaufsverzeich-
nis von 1818—1858: Graf Potocki, lebensgrolS 1819, F(rau) Potozka und Kopie 1819, Artur
Potocki 1834. Darunter ist zu verstehen, daB der Kunstler im Jahre 181 9 in Wien oder in Paris
einen Angehórigen der Familie Potocki und dessen Gemahlin portratierte und daB er eines dieser
Portrats wiederholte, d.h. seine Replik — zu jener Zeit immer Kopie genannt — verfertigte. Im
Jahre 1834 bekam er Geld fur das Portrat von Artur Potocki. Es sei vor allem festgestellt, daB sich
alle drei Eintragungen auf ein und denselben Artur Potocki (1787—1832) und dessen 1816
geheiratete Ehefrau Zofia geborene Branicka (1790—1879) beziehen. Artur, der tapfere
Adjutant des Fursten Józef Poniatowski und spater des Kaisers Alexander I., war eine
Persónlichkeit, uberall gern gemocht und beliebt. Man schatzte seinen Sinn fur Humor, seine
Ausbildung, seinen Mut; auch ais Philanthrop machte er sich verdient. Sein kunstlerischer
Geschmack war erlesen, anfanglich eindeutig franzósierend. Im Jahre 181 9, ais er schon einen
mehrjahrigen Aufenthalt in Paris hinter sich hatte, beauftragte er Percier und Fontaine mit

31. Fr. Pecht, Geschichte der Munchener Kunst im 19. Jahrhundert, Miinchen, 1888.

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