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Bock, Franz
Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters: oder Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ornate und Paramente in Rücksicht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichnung, Schnitt und rituelle Bedeutung (Band 1) — Bonn, 1859

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https://doi.org/10.11588/diglit.26750#0462
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stattung aufzuweisen hat, eine ß Fuss hohe Statue an der süd-
lichen Eingangslaube des Domes zu Rheims, bekleidet mit einem
grossen Pectoralschilde. Wie ein Blick auf die stilgetreue Ab-
bildung dieser Statue, Tafel VI, besagt, stellt diese grossartige
Sculptur aus dem Beginne des XIII. Jahrhunderts das Standbild
eines Papstes vor, dessen Namen ausfindig zu machen bei dem
Fehlen sämmtlicher Symbole heute nicht leicht sein dürfte. Diese Fi-
gur, im vollständigen Pontifical-Ornate, an dem Trennungspfeiler der
beiden Eingangsthüren, trägt auf dem Haupte eine päpstliche Tiara,
wie dieselbe im XII. und XIII. Jahrhundert formell beschaffen war. *)
Die Brust dieser päpstlichen Statue ist geschmückt mit einer
Agraffe, die hinsichtlich ihrer Gestalt und artistischen Ausstattung
vollständig identisch ist mit dem „rationale judicii“, dem mysteriösen
„Urim et Thummim“, wie es der Pontifex Maximus im Jehovadienste
zu tragen pflegte. Wir machen darauf aufmerksam, dass dieses
kostbare Brustschild auf dem päpstlichen Standbilde zu Rheims
nicht als „fibula“, zur Befestigung des darunter befindlichen „pal-
lium“, zu betrachten ist, sondern als ein für sich selbstständiges
Ornament, welches mit einer kleinen Kette, wie das auch unsere
Zeichnung zeigt, um den Hals getragen wurde. Den Angaben
älterer Schriftsteller zufolge lässt es sich nicht mit Sicherheit fest-
stellen, ob von den Bischöfen und Päpsten im Mittelalter dieses
Brustschild, das „rationale“ des alten Bundes, als auszeichnendes
Ornament, für sich allein getragen, oder ob dasselbe, wie das auch
im alten Bunde der Fall war, immer in Verbindung mit einem
reichgestickten Schultergewand angelegt wurde, das dem Ephod
des alten Testamentes nachgebildet war, wie wir es auf Tafel V
im Bilde veranschaulicht haben. Das in Stein gearbeitete Stand-
bild zu Rheims, das wir auf Tafel VI wiedergegeben .haben, scheint
dafür Beleg abzugeben, dass im Mittelalter mit dem vorhin be-
schriebenen „superhumerale“, dem Ephod des alten Testamentes,
nicht immer in Verbindung stand das „rationale judicii“, sondern
dass das „rationale“ auch getrennt für sich, ohne das „superhu-
merale“ zuweilen getragen wurde. Jedoch scheint aus einem
alten Missale des Abtes Rotaldus von Corvey gefolgert werden
zu können, dass das „rationale“ als goldenes Brustschild immer
mit dem „superhumerale“ (Schultergewand) auch im Mittelalter
verbunden war. Es heisst nämlich in demselben an der Stelle, wo

') Wir werden im Folgenden eine ausführliche Beschreibung der „mitra pa-
palis“ geben, und dann bei dieser Gelegenheit auf die in der vorliegenden
Abbildung veranschaulichte Tiare zurückkommen.
 
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