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suchung der gesamten Trierer Initialornamentik erwartet werden. Jedenfalls aber tritt das Touronische
hier viel mehr zurück als in den Zierseiten, bei dem B von 8851 sind nur die hellen Geflechte der Buch-
stabenspalte aus Tours zu verstehen, wenn man nicht für die Gesamtform des Buchstabens auf sehr
ähnliche touronische Formen verweisen will 1). Dagegen ist das für den Eindruck maßgebende Motiv der
Ranken mit ihren Knollenansätzen, ihren drei- bis fünfteiligen Endblüten in süddeutschen und südwest-
deutschen Handschriften der zweiten Hälfte saec. X verbreitet und deutschen Ursprungs. Besonders enge Be-
ziehungen verbinden es mit der Reichenau (Eburnant-Gruppe), die es früheren St. Gallischen Werken ent-
nimmt. In lat. 8851 wird dies Reichenauische weniger deutlich als in den beiden zur gleichen Gruppe ge-
hörigen Sakramentaren Paris lat. 10501 und Chantilly ms. 1447, und zwar besonders in dem letzteren, und
man darf vermuten, daß hier die engere Beziehung der Initialornamentik zur Reichenau auf eine frühere
Entstehung weist, um so mehr, als der Codex 839 in Trier, dessen Initialen das Reichenauische sehr aus-
geprägt zeigen, einen noch älteren Eindruck macht.

V.

Es muß bei der Sonderpublikation eines aus dem Zusammenhang einer großen Schule herausgelösten
Werkes wie des Codex aureus im Escorial versucht werden, seine entwicklungsgeschichtliche Steflung
innerhalb derselben zu fixieren 2). Der nächstliegende Schritt dazu ist der, die Stilveränderungen gegenüber
dem Gothanus festzulegen, der — wie wir sahen — besonders zahlreiche Vergleichspunkte bietet und der
schon wegen der Schwankungen der Schulformen sicher früher ist. Eine Ausdehnung des Vergleichs auf
Bilder jeweils verschiedener Hände — im Gothanus und im Escorialensis arbeiten ja mehrere Künstler
nebeneinander — bietet die Gewähr, daß persönliche Unterschiede nicht als zeitflche bezeichnet werden.
Der zweite Schritt wäre die Nachprüfung, ob wir in anderen Echternacher Werken ein Ansteigen bzw.
Abschwellen der so erschlossenen Entwicklungstendenzen beobachten, vielleicht in Verbindung mit anderen
Merkmalen. Wir müssen also versuchen, eine Entwicklungsreihe zu bilden, und zwar innerhalb ver-
schiedener Kategorien (Evangelienszenen, Evangeflstenbilder, Kanontafeln, Zierseiten, Initialen). Als
Anhaltspunkt und Kontrolle haben dabei die S.43ff. zusammengestellten Daten zu dienen.

Als Grundlage fehlt noch die Datierung des Gothanus. Das Datum des Vorderdeckels (983 bzw. 985 bis
991) ist bis vor kurzem immer auf den Codex. ausgedehnt worden. Nordenfalk (Neue Dokumente) be-
streitet die Gleichzeitigkeit beider, setzt die Handschrift aus stilistischen Gründen später 3). Der Vorder-
deckel, auf dessen Innenseite er unter dem Spiegel, direkt auf das Holz geschrieben und von den Bünden
bereits durchbohrt, die Lesung in dedicatione ecclesiae fand, habe ursprünglich für sich bestanden. Wahr-
scheinlich sei diese goldgeschmückte Tafel ähnlich wie die Elfenbeintafeln, welche die bei der Messe zu
verlesenden Stifternamen enthielten, auf dem Altar aufgestellt worden. Diese Erklärung befriedigt nicht,
wie Nordenfalk selber zugibt. Weder kennen wir eine derartige Tafel mit der Dedicatio ecclesiae noch
wissen wir von ihr. Vor allem aber hätte man die Inschrift, wenn sie wirklich in der Liturgie gebraucht
worden wäre, bestimmt nicht so unschön an den oberen Rand gerückt, während der größte Teil der Holz-

x) Andere Trierer Initialen (Berlin lat. fol. 756 und das B fol. 133 in Trier Cod. 839) lassen deutlicher die Anlehnung an Tours
erkennen.

2) Eine zusammenhängende Darstellung der Entwicklung der Echternacher Schule vom 10. bis zum 12. Jahrhundert würde dem
Charakter einer Monographie widersprechen, hätte auch das ganze große Material an Initialhandschriften heranzuziehen, die Scheidung
und Wiederkehr der Schreiber zu beobachten. Sie muß einer besonderen Arbeit vorbehalten bleiben. Indessen sind sämtliche Bild-
handschriften und ein großer Teil der Initialhandschriften — besonders aus der späteren Zeit — für die vorliegende Publikation durch-
gesehen worden, und das Bildmaterial ist so reich und homogen, daß zu hoffen ist, die wesentlichen Linien der Entwicklung sind
erkannt. Die Ansicht einer Stagnation der Schule habe ich schon früher abgelehnt (Abendl. Miniaturen S. 46) — sie resultiert aus
der großen Einheitlichkeit der Schulformen vom Epternacensis in Gotha an bis zum Ausgang der Schule — Nordenfalk, Neue Doku-
mente, hat sie neuerdings mit Entschiedenheit bekämpft.

“) Die Miniaturen passen nicht recht zu den Reliefs der Deckel und den diesem gleichzeitigen Werken des Gregor-Meisters, da-
gegen sind sie sehr verwandt mit den Echtemacher Miniaturen in Bremen und Brüssel, wie N. mit feinem Blick erkennt.

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