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Bröndsted, Peter Oluf
Reisen und Untersuchungen in Griechenland: nebst der Darstellung und Erklärung vieler neu entdeckter Denkmäler griechischen Styls, und einer kritischen Übersicht aller Unternehmingen dieser Art, von Pausanias bis auf unsere Zeit (Band 1) — Paris, 1826

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https://doi.org/10.11588/diglit.680#0019
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VORREDE.

XVII

konnte. Man sagt, dass die Griechen verdorben sind, und — wunderlich ge-
nug! — selbst Schriftsteller, welche griechischem Beistande das Beste verdan-
ken, was sie in jenem Lande gelernt und geleistet haben, sagen es angele-
gentlich. — Ich kann den Satz, so allgemein und schroff gestellt, nicht zu-
geben ; doch ohne das harte Wort hier bestreiten zu wollen , möchte ich
blos fragen : Würde nicht jedwedes europäische Volk, nach vierhundertjäh-
riger, schändlicher Sklaverei, noch verwahrloster seyn ? — Ich glaube es, und
habe die, für Alles was Rajah heisst, zerrüttende Kraft einer türkischen Ord-
nung der Dinge so oft und lebendig gefühlt, dass ich mich, nach dreijährigem
Aufenthalte in den meisten griechischen Provinzen, vielmehr darüber ver-
wundern musste, dass die Griechen nicht mehr verdorben sind, als darüber,
dass sie verdorben schienen. — Aber diesen ernsthaften Gegenstand für jetzt
beseitigend, erinnere ich mich der schlichten Worte eines alten Schriftstel-
lers : Wenn ein edles Ross sich böses angewöhnt, so führt man es in die Reit-
schule und übergiebt es dem Meister derselben. (Man übergiebt es also nicht
dem Buben des Miethkutschers, oder — den Wölfen.) Einem aus dem edel-
sten Menschenstamm der Erde entsprossenen, alten, christlichen und hoch
begabten Volke, das durch lange Sklaverei und vielfaches Unglück erkrankte,
verhelfe man, christlich und weise, zu einem Staate und einem Gesetze, damit
es gesunde. Denn Gesetz und Staat sind das Heilmittel und die Schule der
Völker, und keins von beiden ist in dem wüsten Gewirre, welches man das
türkische Reich nennt, zu finden. Ist doch das morsche Gebäude selbst, wel-
ches man die hohe Pforte nennt, seit einem Jahrhundert nur durch zwei
fremde Karyatiden (sie heissen Falschheit und gegenseitige Eifersucht der Chri-
sten) getragen worden! Die Karyatiden sind aber stark; sie haben breite
Schultern. —

Es giebt eine Politik, eine erbärmliche, eben so kurzsichtige als herzlose, die
es bequemer findet, dass die Nachkommen desjenigen Volks, welches Gesetzge-
ber und Staatsmänner wie Solon und Perikles, Aristides und Ära tos hervor-
brachte , sich noch ferner ohne Gesetz und Staat behelfen möchten. Die Keck-
heit, eine solche Meinung, und somit die eigene Unwürde, öffentlich preis zu
geben, erregt in der That Erstaunen; aber die jetzige Zeit ist reich an son-
derbaren Erfahrungen. Andrerseits geschieht dem bedrängten Griechenlande
nur ein schlechter Dienst durch solche Schriftsteller, welche über Wiedergeburt
desselben Weitläufiges (und zur Hälfte Unzuverlässiges) beibringen, da doch
noch alles in jenem Lande erst entwildern muss.

Wer nicht dem Wahne, sondern der Wahrheit huldiget, und Griechenland
mit gesunden Augen gesehen hat, wird sich einer angenehmen aber gefähr-


 
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