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Buchner, Ernst; Jantzen, Hans [Gefeierte Pers.]
Das deutsche Bildnis der Spätgotik und der frühen Dürerzeit: [Hans Jantzen zum 70. Geburtstag] — Berlin, 1953

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https://doi.org/10.11588/diglit.31127#0013
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E INLEITUNG

I

Das gemalte Bildnis als eigene, sich aus dem strengen Gefüge der Wand-, Buch-, Glas-, Altar- und Tafel-
bildmalerei lösende Kunstgattung ist eine späte Frucht der altdeutschen Kunst. Erst lange nach den Bild-
hauern, die auf dem weiten Gebiet der Grabmalkunst sich seit Jahrhunderten an der Bildnisaufgabe ge-
schult und in ihren Tumben und Gedächtnismälern Bildniswerke höchsten Ranges geschaffen hatten,
treten die Maler auf den Plan, um den Einzelmenschen in selbständiger Bildnisform darzustellen.
Nicht etwa, weil sie dem Thema nicht gewachsen gewesen wären. Man hat sie nicht früher gerufen.
Erst mit dem erstarkenden Selbstbewußtsein des spätmittelalterlichen Menschen meldet sich das Ver-
langen nach dem gemalten Einzelporträt. Es ist ein geistesgeschichtlich fesselnder Vorgang, wie sich
das gemalte Menschenbildnis, das in der Miniatur als Dedikations- und Skriptorenporträt in typisierend-
idealer Form gepflegt, in Fresken und Glasgemälden, auf Altären und Votivtafeln ein meist bescheide-
nes Unterkommen gefunden hatte, aus dem mittelalterlichen Gesamtkunstwerk und aus dem Dienst
an der kirchlichen Devotion löst und sein Eigenleben beginnt. Kein ästhetisches Bedürfnis, sondern
fürstlicher Repräsentationswillen und herrscherlicher Ruhmsinn haben das Einzelbildnis aus der Taufe
gehoben. In den nördlichen Kunstgebieten entstehen im französisch-burgundischen 1 und Prager Kul-
turkreis kurz nach 1360 an den Fürstenhöfen in Paris und Wien die ersten gemalten Porträttafeln,
das schlichte und noble Profilbildnis des französischen Königs Johann des Guten vor schimmerndem
Goldgrund und das dumpfe und wuchtige Konterfei des österreichischen Herzogs Rudolf des Stifters,
aus schwarzem Grund in halbseitlicher Wendung auftauchend (Abb. 1), — ehrwürdige Inkunabeln der
beginnenden Bildnismalerei.

Die realpolitisch klare, geistig lebendige Atmosphäre am Prager Hof Kaiser Karls IV., an dem sich
aus deutschen, italienischen, französischen und autochthon-böhmischen Prämissen eine kraftvolle, zukunfts-
trächtige Hofkunst europäischen Charakters entwickelte, war dem Aufkommen der ungeschminkten,
naturnahen Bildnisaufnahme günstig. Aus dem Bann der Sepultur gelöst, dokumentieren die berühm-
ten Triforiumsbüsten des Prager Doms den Willen und die Kraft zum individuellen Bildnis auf die
großartigste Weise. Wenn auch der Malerei die Schwingen noch nicht so gelöst waren wie der Bild-
hauerkunst, so sind doch die noch etwas früher entstandenen Bildnisfresken Karls IV. und seiner Ge-
mahlin in der Karlsteiner Marienkapelle von einer wahrhaft monumentalen Schlichtheit und einer gran-
diosen Unmittelbarkeit in der Erfassung des Persönlichen, ohne daß darunter die mystische Feierlich-
keit der Zeremonien leiden würde. Als bedeutender Reflex der „karolingischen Protorenaissance“ darf das
früheste deutsche Bildnis, das Konterfei Herzog Rudolfs, gelten, das um 1365 von einem in Prag ge-
schulten Wiener Hofmaler geschaffen worden ist. Die spärlichen Reste früher Bildnismalerei, die sich in
einigen bildmäßig wirkenden Porträtminiaturen erhalten haben, lassen den Gang der Entwicklung mehr
ahnen, als klar erkennen. Die zahlreichen Stifterbildnisse auf Altären und insbesondere die Donatoren
auf den sogenannten Empfehlungstafeln bekunden eine zunehmende Bildnisfreudigkeit der Auftrag-
geber. Aber erst die Brüder van Eyck und der Meister von Flemalle mit ihren unerhört eindringlichen,
zwingend geprägten Bildnisschöpfungen haben die feste Basis, die kunst- und geistesgeschichtliche Grund-
lage für die Entwicklung der nördlichen Porträtmalerei geschaffen. Es ist die Zeit, da die kernhaften
Pfadsucher der Witzgeneration die farbige, plastische und räumliche Welt als künstlerisches Neuland

1 K. Westendorp, Die Anfänge der französisch-niederländischen Portrait-Tafel, 1906.

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