Modern Painters. Ruskin’s Lehre von Kunst und Moral 21
Sentimentalität . . . Die höchsten Gebiete der Kunst dienen
niemals der Religion“ (Stones I 161—9). „Fromme Glut zeigt
sich am lebhaftesten in der schwächsten Kunst“ (Queen 130).
„Keine hohe Stufe der Litteratur ist jemals von ausgesprochen
religiösen Gemütern erreicht worden“ (M. P. V 209).
Sporadisch giebt er also den Kern seiner Dogmen
vollkommen preis, aber, wie jeder Ruskinleser weiss,
sind dies vereinzelte, widerwillig zugebende Stellen.
Er ist eben eine durchaus ehrliche Natur und oft zu
vernünftig und zu kunstverständig, um nicht hin und
wieder klar und richtig zu erkennen. An seiner Lehre
wird er darum keineswegs irre, predigt sie mit un-
geminderter Ueberzeugungskraft auf der nächstfolgen-
den Seite.
Doch ist die Lehre wirklich nicht zu verteidigen.
Ethik ist Ethik und Kunst ist Kunst. Aesthetisiert die
Moral, so wird sie gefälscht, moralisiert die Kunst,
ist sie auf Abwege geraten. Die traurigsten, in den
letzten Jahrhunderten häufigsten Irrtümer der Kunst-
geschichte entspringen dieser unseligen Vermischung
grundverschiedener Bedingungen. Als verlange man
die Erweckung patriotischer Gefühle von einer ver-
besserten Eisenbahnbremse, oder religiöse Erhebung
von der Crimson Rambler Rose. Erreichen beide im
ergiebigsten und schönsten Masse die Vervollkomm-
nung ihres Wesens, so erfüllen sie auch höhere
Zwecke. Die echte, unoffizielle, sich frei und ge-
sund entwickelnde Kunst dient in hervorragender
Weise den höchsten sittlichen und patriotischen
Zielen, aber nur auf indirektem Wege. Kunst ge-
horcht nur der Kunst, kennt nimmermehr andere
Gesetze.
Auf diesem Grundirrtum der Ruskin’schen Lehre
beruht jedoch nicht nur sein ungeheurer Erfolg, son-
Sentimentalität . . . Die höchsten Gebiete der Kunst dienen
niemals der Religion“ (Stones I 161—9). „Fromme Glut zeigt
sich am lebhaftesten in der schwächsten Kunst“ (Queen 130).
„Keine hohe Stufe der Litteratur ist jemals von ausgesprochen
religiösen Gemütern erreicht worden“ (M. P. V 209).
Sporadisch giebt er also den Kern seiner Dogmen
vollkommen preis, aber, wie jeder Ruskinleser weiss,
sind dies vereinzelte, widerwillig zugebende Stellen.
Er ist eben eine durchaus ehrliche Natur und oft zu
vernünftig und zu kunstverständig, um nicht hin und
wieder klar und richtig zu erkennen. An seiner Lehre
wird er darum keineswegs irre, predigt sie mit un-
geminderter Ueberzeugungskraft auf der nächstfolgen-
den Seite.
Doch ist die Lehre wirklich nicht zu verteidigen.
Ethik ist Ethik und Kunst ist Kunst. Aesthetisiert die
Moral, so wird sie gefälscht, moralisiert die Kunst,
ist sie auf Abwege geraten. Die traurigsten, in den
letzten Jahrhunderten häufigsten Irrtümer der Kunst-
geschichte entspringen dieser unseligen Vermischung
grundverschiedener Bedingungen. Als verlange man
die Erweckung patriotischer Gefühle von einer ver-
besserten Eisenbahnbremse, oder religiöse Erhebung
von der Crimson Rambler Rose. Erreichen beide im
ergiebigsten und schönsten Masse die Vervollkomm-
nung ihres Wesens, so erfüllen sie auch höhere
Zwecke. Die echte, unoffizielle, sich frei und ge-
sund entwickelnde Kunst dient in hervorragender
Weise den höchsten sittlichen und patriotischen
Zielen, aber nur auf indirektem Wege. Kunst ge-
horcht nur der Kunst, kennt nimmermehr andere
Gesetze.
Auf diesem Grundirrtum der Ruskin’schen Lehre
beruht jedoch nicht nur sein ungeheurer Erfolg, son-