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wirklich feste Burganlage nicht eben günstig. Das Gelände fällt mehrere Meter im Norden und auch im Westen
gegenüber der Umgebung ab, der Höhenunterschied ist indessen so gering, daß trotz des Steilabfalls von einem
wirklich nennenswerten Hindernis kaum die Rede sein kann. Im Süden und im Osten fehlt aber dieser natürliche
Schutz ganz, besonders südlich war ein sehr geeignetes Angriffsfeld. Allein die durchaus ebene Gegend bot kaum
anderswo einen günstigeren Bauplatz als hier an den Ufern des Flüßleins La chsre Riviere.
Die große Wehranlage zerfällt in zwei Teile, die ehemalige Vorburg, von der ein Teil später zum Renais-
sanceschloß ausgebaut wurde, und in die eigentliche alte Burg, die einen etwa eiförmigen Grundriß hat und die
durch einen tiefen Graben vom übrigen Bering getrennt ist. An der von Natur aus am meisten geschützten Stelle,
vollkommen aus der Ringmauer der Hauptburg hervortretend, steht der große Wohnturm, der Donjon, als Kern
der Gesamtanlage. Die lose Einbindung in die Umwehrung der Hauptburg fällt einigermaßen auf. Man kann
wohl ins Treffen führen, daß der Turm an dieser Stelle auch den Hauptdruck eines Sturmes auf die Haupt-
burg aufhalten sollte, da er zugleich der stärkste Wehrbau gewesen ist. Allein dieser Grund kann nicht recht über-
zeugen. Der Donjon war seiner ursprünglichen und auch seiner späteren Zweckbestimmung nach nicht nur Wehr-
bau, sondern auch Wohnbau. Und da ist es nicht recht glaubhaft, daß man ihn wie einen Flankierungsturm vor
den Bering gestellt hätte. Damit sind wir aber bereits bei der Frage nach dem ältesten Teil der Burg angelangt
bzw. nach ihrem allmählichen Wachstum. Der Wohnturm zeigt keinen Mauerverband mit einer anstoßenden
Mauer, sein Mauerwerk scheint älter zu sein wie die angrenzenden Ringmauern. Bei den französischen Burgen
steht der Wohnturm als entwicklungsgeschichtlicher Kern und als Hauptbau so stark im Vordergrund, daß es an
und für sich schon wenig wahrscheinlich ist, daß der Wohnturm erst später entstanden ist. Auch sein Standort spricht
ganz dafür, daß es sich um den ältesten Teil der gesamten Wehranlage handelt. Sein Grundriß ist nicht ganz
regelmäßig geraten, er bildet ein stark dem Rechteck angenähertes Trapez. Die Mauern sind ungefähr drei Meter
dick. Der Jnnenraum ist weit genug, um wirklich Wohnzwecken dienen zu können. Der Turm hat in der Größe
des Grundrisses nur zwei Geschosse, gegen den Graben und auf der gegenüberliegenden Seite, gegen die La chere
Riviere zu, zeigt jedes Geschoß jetzt ein großes Renaissancefenster. Das ist ein Zeichen dafür, daß in dieser Zeit, die
bereits große Wohnansprüche stellte, der Donjon diesen genügte. In der östlichen Ecke unmittelbar am Anschluß
der Ringmauer der Vorburg ist außen der Abort eingebaut, ebenso nach Norden hin dort, wo die nördliche Ring-
mauer der Hauptburg an den Donjon stößt. In der Höhe der Decke über dem zweiten Geschoß springen starke
Kragsteine vor; das dritte Geschoß, von dem nur ein
Teil des Mauerwerks erhalten blieb, ist stark einge-
zogen. So war der Raum für einen breiten, zum Teil
vorspringenden Wehrgang geschaffen, der viele Ver-
teidiger fassen konnte. Mit dem dritten Geschoß aber
war der Donjon noch nicht abgeschlossen. In der Süd-
westecke ist dem dritten Geschoß ein nur mäßig über
die beiden unteren Geschosse vorspringender vieleckiger
Treppenbau angeschlossensi der etwas höher erhalten
ist als der übrige Teil und der oben wieder Krag-
steine aufweist. Es muß also auch das vierte Geschoß
einen vorkragenden Wehrgang getragen haben. Da
alte Bilder nicht vorhanden sind oder doch bislang
nicht bekannt wurden, so kann die einstige Höhe und
der frühere Abschluß nicht angegeben werden. Daß
der Donjon aber ein starker Wehrbau gewesen ist,
kann noch deutlich erkannt werden. An den beiden
unteren Stockwerken sind außen eine Reihe kleiner
Kragsteine vorhanden, deren Bestimmung nicht ein-
wandfrei zu klären ist.
Vergleicht mau den Donjon von CHLteaubriaut
mit den Wohntürmen der Frühzeit, wie Loches oder
Beaugency-, dann wird es sogleich klar, daß jener
erheblich jünger sein muß als diese noch nicht die wohl-
ausgebildeten Wehrgänge zur Bekämpfung der bis
zum Fuß der Tnrmmauern vorgedrungenen Angreifer
zeigenden Bauten. Burgen, die durch Jahrhunderte
bewohnt wurden, sind gleichsam lebende und wachsende
Organismen, die mit den Wehrbedürfnissen und den
* Der Plan von I. Chaprou berücksichtigt ihn nicht.
Abb. 12. Chäteaubriant. Treppenhaus und Teil des Renais- ^ Vgl. Bodo Ebhardl: Der Wehrbau Europas im Mittel
sanceflügels <Logis Seigneurial). Foto: vr. Wcmcli. alter. Berlin 1939.
 
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