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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Editor]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 1.1862

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Nr. 1 (Januar 1862)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6483#0002
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Aufgabe in einer Epoche machenden Weiſe löſt, und deſ-

ſen Ausführung unſerm Lande zu großer Ehre ögereicht. Wie

viel ſagend diefe Behauptungen auch ſcheinen mögen, ſo ent-
halten ſie doch nur die einfache Wahrheit von Thatſachen.
So viel auch in den letzten Jahrzehnten für die Geſchichte
und für das wiſſenſchaftliche Verſtändniß der Baukunſt des chriſt-
lichen Mittelalters geſchehen iſt, ſo war doch die Erforſchung
und Darſtellung der älteſten Periode der chriſtlichen Baukunſt,
der Periode von Conſtantin bis Carl den Großen, in Ver-
gleich damit im Rückſtand. Wenn es auch einige einzelne aus-
gezeichnete Werke über Monumente dieſer Periode gab, ſo fehlte
doch eine zuſammenfaſſende Behandlung dieſes Gebietes der
Kunſtgeſchichte: ein Werk, welches von einer genauen techni-
ſchen Kenntniß und Darſtellung der einzelnen noch vorhandenen
Monumente ausgehend, mit der Benützung aller literariſchen
Hilfsmittel zugleich eine unbefangene und tiefer eindringende
Auffaſſung und Betrachtung der allgemeinen, hierher gehörigen
äſthetiſchen und kulturhiſtoriſchen Momente verbände. Ein ſol-
ches Werk liegt uns nun hier zum erſtenmal vor. Es gehörte

ein beſonderes Zuſammentreffen günſtiger Umſtände mit einer

dafür beſonders befähigten Perſönlichkeit dazu, um ein ſolches

Werk zu Stand zu bringen. Es gehörte dazu ein ausgezeichne-
ter Architekt, welcher nicht blos Theoretiker ſondern zugleich

bewährter und erfahrener Praktiker war; dieſer mußte eine
Reihe von Baumonumenten nicht blos, wie dieſes meiſtens
nur geſchieht, in beſchränkter Zeit nur einmal ſehen, ſon-
dern wiederholt ſehen und genau unterſuchen; er mußte die
nöthige gelehrte Vorbildung haben, um die literariſchen Stu-
dien zu ſeinem Zwecke machen zu können; er mußte Talent,
Geiſt und Herz haben für die religiöſen Ideen und die kirch-
liche Inſtitutionen haben, welche der geſammten altchriſtli-
chen Kunſt als Grundlage dienen.
überdieß den Willen und die Kraft beſitzen, ein ſolches Un-
ternehmen mit Hingebung ſelbſt mit Aufopferung zur Aus-
führung zu bringen, und die äußern Umſtände mußten ihm
dieſes ermöglichen. Man wird zugeben, daß ſich dieſe Umſtände
nicht ſo leicht mit einander vereinigen. Alle dieſe Vorbedin-
gungen treffen bei Herrn Baudirector Hübſch, dem Verfaſſer
dieſes Werkes, zuſammen. Da nun derſelbe unſer badiſcher
Landsmann iſt, von deſſen Kunſt ſo viele Bauwerke in unſerm
Lande Zeugniß geben, und da ſein durch die inländiſche Preſſe
und lithographiſche Kunſt wohl ausgeführtes Werk nun faſt
vollendet vor uns liegt, ſo haben wir noch einen beſondern

Grund unſere Befriedigung und Freude darüber auszuſprechen.

Zugleich verdient auch der Umſtand gewiß noch eine beſondere
Anerkennung, daß der Verfaſſer auch durch die Ungunſt der
Zeit ſich nicht von der Ausführung ſeines verdienſtlichen Un-
ternehmens abhalten ließ, und zwar ſo, da es die Umſtände
ſo nöthig machten, daß er die Herausgabe durch Selbſtverlag
bewirkte. Nur eine große und reine Liebe zur Sache konnte
dazu den Willen und die Ausdauer geben. Während in dem

ſchönen Lande, welchem die meiſten der in dem vorliegenden

Werke erklärten Kunſtdenkmäler angehören, Empörung, Hin-
terliſt und Gewaltthat im Dienſte der Eroberungsſucht alles
Recht mit Füßen treten; während von dieſem Herde der Re-
volution aus das allgemeine Rechtsbewußtſein bei Hohen und
Niedern untergraben und erſchüttert wird und die Gemüther
in einer fieberhaften Aufregung erhalten werden, bleibt für
größere und ernſtere Unternehmungen auf dem Gebiete der
Literatur und Kunſt, die nur in friedlichen Zeiten gedeihen,
wenig Raum. Um ſo mehr iſt es gerade deßwegen Pflicht,

ſolche Unternehmungen gegen die Ungunſt der Zeit durch ver-

doppelte Aufmerkſamkeit und Theilnahme zu ſchützen. Hoffen
wir, daß auch dieſe wilden Gewäſſer wieder zurückweichen und
frievlichere Zeiten zurückkehren werden. Mitten in dieſer Un-

Ein ſolcher Mann mußte dete.

gunſt der Verhältniſſe iſt aber das vorliegende Werk voran-
geſchritten. Neun Hefte ſind erſchienen, und das letzte zehnte
Heft, womit das Ganze ſeinen Schluß erreicht, wird nächſtens
nachfolgen.
Das iſt das Werk, worüber wir die folgende Berichter-
ſtattung eines Sachkundigen Mannes vom Fache unſern Ver-
einsgenoſſen und Leſern hier mittheilen.
Ein Ergebniß vieljähriger, gründlicher Studien eröffnet
Hübſch's Werk nicht blos den Laien in der Architektur, ſon-

dern weitaus dem größten Theil der gebildeten Architekten ei-

nen ganz neuen und zugleich klaren Blick in die Bauwerke und

den Bauſtyl derjenigen Jahrhunderte des Chriſtenthums, wo

dieſes eben erſt frei geworden von den drückendſten Verfolgun-
gen, den kräftigſten und reichſten Aufſchwung auch äußerlich
nahm, eine Zeit, über welche man bisher, wohl aus Unkennt-
niß, in den Lehrcurſen nur ſehr geringſchätzig hinweggegangen

war. ö

In dem außerordentlichen Reichthume des Werkes finden
wir die glänzendſten Nachweiſe, wie in dem lebensfriſchen Schwung
dieſer Jahrhunderte das Chriſtenthum die Künſte, und zwar
insbeſondere die Architektur, im chriſtlichen Geiſte wie dem Be-

dürfuiß entſprechend und bei überraſchendem Reichthum

der Motive in ſtaunenswerther Kühnheit derartig ausbildete,
wie nie zuvor das Heidenthum ſie gezeigt.
Die im Heidenthume erlangten technoſtatiſchen Erfahrungen
fanden ſogleich nicht blos eine von Glaubensmuth beflügelte,
vom Erdendafein nach dem Ueberirdiſchen hinweiſende Anwen-
dung, ſondern es traten alsbald, und das verkannte man noch
ſtets, geradezu neue Schöpfungen hervor, darunter zunächſt
die organiſche Geſtaltung der geſchloſſenen Fagade, welche das
Heidenthum immer nur als zugemauerte offene Halle bil-

übſch zeigte uns in den Jahrhunderten von Conſtantin
bis Carl dem Großen bereits nebeneinander Baſiliken mit
Säulenſtellungen und Holzdecken, große Kuppelkirchen und ob-
longe Anlagen mit Wölbungen, mehrſchiffig auf Pfeilern und
Säulen. Die bisherige Anſicht, daß die Kuppelkirche dem Orient,
die oblonge Anlage dem Oceident faſt ausſchließlich eigen ſei, weiſt

Hübſch als eine unrichtige, doctrinäre nach, wie er auch die

Behauptung einer ſtetig fortſchreitenden Entwicklung der Archi-
tektur von den erſten Jahrhunderten bis zu den letzten Zeiten
des Mittelalters als ebenſo irrthümlich für die Architektur
wie für die übrigen Künſte und Wiſſenſchaften bezeichnet, ſo
daß alſo mehrere Blüthenperioden vorhanden waren und zeit-

weilig unverkennbar Rückſchritte ſtattgefunden haben

Durch die Darſtellung der altchriſtlichen Monumente in
ihrer Vollſtändigkeit, wie manche noch erhalten oder aus zu-
verläßigen Berichten ergänzt ſind, ſowohl in Bezug der archi-
tektoniſchen Einzelbildung als der Ausſchmückung durch reiche
Moſaikbilder, iſt die Möglichkeit geboten, den Vergleich der
altchriſtlichen Monumente mit ſolchen anderer Perioden auf
gerechter Grundlage anzuſtellen. Dann wird das herabgekom-
mene, verſtümmelte, des Schmuckes und überhaupt ſeiner Voll-

endung beraubte altchriſtliche Bauwerk im Vergleich mit dem

verhältnißmäßig in Jugendfülle prangenden gothiſchen Münſter
nicht weiter ungerecht verurtheilt werden.
Wenn uns aber ſo die Kenntnißnahme der altchriſtlichen Bau-
kunſt des Intereſſanten und Wiſſenswerthen ſo viel bietet, ſo
iſt der practiſche Werth dieſer Kenntniſſe ein noch weit grö-
ßerer. Um ein chriſtliches Monument zu bauen warf man in
neuerer Zeit, der eignen Armuth bewußt, ſtets die Frage auf,
ob byzantiniſch (romaniſch) oder gothiſch (germaniſch nen-
nen es manche) gebaut werden ſo
Man glaubte ſo mit Ausſchließen der Renaiſſange ſchon
alle Gerechtigkeit gegen das Chriſtenthum geübt zu haben, und
 
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