Chriſtliche
Aunſtbläͤtter
Organ des grrillichen Annſtvereins der Smwie airüng.
„GSeilage zum Freiburger Kirchenblatt.)
Nro. 8.
Domine dilexi decorem domus tuae.
Ps. 25, 8. März 1862.
I. Ver Hildertyclus i in der vorhale des creiarher
Münſters. ö
Der umfaſſende Bildercyclus, welcher bei dem Freiburger
Wüner die Seitenwände der Vorhalle, das Giebelfeld über
dem Eingang in das Langhaus, und die daſſelbe einnehmenden
Spitzbogengurten ausfüllt, iſt jedesmal Gegenſtand der Be-
wunderung geweſen, ſo oft nur das herrliche Denkmal der
mittelalterlichen Baukunſt beſprochen worden iſt. Die vor-
handenen ſpeciellen Beſchreibungen der Kirche begnügen ſich
mit einer flüchtigen allgemeinen Angabe des Inhaltes dieſer
Darſtellungen, wie ſie für den Zweck, den die Verfaſſer im
Auge hatten, genügen konnte. Nur ein einziger im Folgenden
näher zu beſprechender Verſuch iſt gemacht worden, die Ge-
danken, welche die ganze Compoſition beherrſchen, und die
Wahl der einzelnen Statuen und Gruppen beſtimmt haben, zu
erfaſſen und näher zu erläutern. Eine abermalige umſichtige
Betrachtung kann der Löſung der hier ſich bietenden Aufgabe
um vieles näher kommen; eine vollſtändige Erklärung wird
jedoch nur dann feſtgeſtellt werden können, wenn die Gelegen-
heit geboten ſein wird, einer jeden Einzetheit eine ganz genaue
Prüfung wivmen zu können.
Die Gedankenverbindung, welche hier die Zuſammenſtelung
ſo vieler, auf den erſten Blick ganz heterogener, zum Theil
hiſtoriſcher, zum Theil allegoriſcher Grupyen und Statuen
veranlaßt hat, iſt keineswegs ſchlechthin aus der Meditation
des Künſtlers oder Gelehrten hervorgegangen, welcher bei uns
den Entwurf zu⸗ dieſer großartigen Decoration des Kirchen-
portals geſchaffen hat. Faſt um die gleiche Zeit, wo dieſe
Kunſtwerke zur Ausführung kamen, ſehen wir bei den bedeu-
tendſten Kirchenbauten ſowohl in Deutſchland, wie in Frank-
reich, ganz entſprechende Bilderreihen, oft vollſtändiger, oft in
einer weniger ausführlichen Weiſe, nirgends aber mit einför-
miger Wiederholung älterer Vorbilder, an den Haupteingängen
angebracht. Unter den verſchiedenen Scenen und Standbildern,
welche bei dieſen Domen uns entgegentreten, iſt wohl keine
nachzuweiſen (etwa mit Ausnahme der Statuen der ſieben
freien Künſte), die nicht auch ſchon in den voraufgehenden
Zeitaltern Gegenſtand der künſtleriſchen Darſtellung bei den
chriſtlichen Kirchen geweſen wäre.
Neu und eigenthümlich
tritt etwa ſeit dem erſten Drittel des 13. Jahrhunderts die
Verbindung der betreffenden Bildwerke zu einem großen, ein-
heitlichen Ganzen hervor. Bei der Reproduktion der Ideen,
welche durch die an den Portalen aufgeſtellten Bilderchelen
veranſchaulicht werden ſollten, waltet von dieſer Zeit an ein
ſtillſchweigendes Einverſtändniß ob. Die Bauherrn und Künſtler
waren von der Ueberzeugung geleitet, es liege in dem höchſten
Intereſſe der kirchlichen Gemeinden, daß die in dieſen Com-
poſitionen veranſchaulichte Ideenverbindung ſich tief in die
Gemüther der Andächtigen einprägen möge. Die erſte Beleh-
rung, welche auf dieſem Wege täglich verbreitet und verkündet
werden ſollte, ſchien von dem allgemeinen, unbeſtrittenen Be-
dürfniſſe der Zeitgenoſſen gefordert. Der nähere Grund, durch
welchen die überraſchende Gleichförmigkeit ſo vieler, an weit
entlegenen Orten entſtandener Kunſtwerke erzeugt wurde, liegt
in dem Umſtande, daß die Männer, welche die vornehmlichen
Träger der Kunſt und Wiſſenſchaft in jenem Zeitabſchnitte
waren, religiöſen Corporationen angehörten, deren einzelne
Niederlaſſungen in ununterbrochenem, lebhaftem Verkehr mit
einander ſtanden, und auch über die künſtleriſchen Mittel zur
Verwirklichung der ſittlichen und religiöſen Zwecke, denen ihre
Thätigkeit geweiht war, ſich verſtändigten. Diejenige Genoſ-
ſenſchaft, deren Thätigkeit damals die umfaſſendſte und frucht-
barſte war, war der Orden der Predigermönche,
deſſen eifrige Mitwirkung bei der Förderung und Ausſchmückung
des Freiburger Kirchenbaues nicht in Abrede geſtellt werden kann.
Nur bei wenigen der betreffenden Bildercyclen kann die
Zeit ihrer Entſtehung mit ungefährer Genauigkeit nach den
Aunſtbläͤtter
Organ des grrillichen Annſtvereins der Smwie airüng.
„GSeilage zum Freiburger Kirchenblatt.)
Nro. 8.
Domine dilexi decorem domus tuae.
Ps. 25, 8. März 1862.
I. Ver Hildertyclus i in der vorhale des creiarher
Münſters. ö
Der umfaſſende Bildercyclus, welcher bei dem Freiburger
Wüner die Seitenwände der Vorhalle, das Giebelfeld über
dem Eingang in das Langhaus, und die daſſelbe einnehmenden
Spitzbogengurten ausfüllt, iſt jedesmal Gegenſtand der Be-
wunderung geweſen, ſo oft nur das herrliche Denkmal der
mittelalterlichen Baukunſt beſprochen worden iſt. Die vor-
handenen ſpeciellen Beſchreibungen der Kirche begnügen ſich
mit einer flüchtigen allgemeinen Angabe des Inhaltes dieſer
Darſtellungen, wie ſie für den Zweck, den die Verfaſſer im
Auge hatten, genügen konnte. Nur ein einziger im Folgenden
näher zu beſprechender Verſuch iſt gemacht worden, die Ge-
danken, welche die ganze Compoſition beherrſchen, und die
Wahl der einzelnen Statuen und Gruppen beſtimmt haben, zu
erfaſſen und näher zu erläutern. Eine abermalige umſichtige
Betrachtung kann der Löſung der hier ſich bietenden Aufgabe
um vieles näher kommen; eine vollſtändige Erklärung wird
jedoch nur dann feſtgeſtellt werden können, wenn die Gelegen-
heit geboten ſein wird, einer jeden Einzetheit eine ganz genaue
Prüfung wivmen zu können.
Die Gedankenverbindung, welche hier die Zuſammenſtelung
ſo vieler, auf den erſten Blick ganz heterogener, zum Theil
hiſtoriſcher, zum Theil allegoriſcher Grupyen und Statuen
veranlaßt hat, iſt keineswegs ſchlechthin aus der Meditation
des Künſtlers oder Gelehrten hervorgegangen, welcher bei uns
den Entwurf zu⸗ dieſer großartigen Decoration des Kirchen-
portals geſchaffen hat. Faſt um die gleiche Zeit, wo dieſe
Kunſtwerke zur Ausführung kamen, ſehen wir bei den bedeu-
tendſten Kirchenbauten ſowohl in Deutſchland, wie in Frank-
reich, ganz entſprechende Bilderreihen, oft vollſtändiger, oft in
einer weniger ausführlichen Weiſe, nirgends aber mit einför-
miger Wiederholung älterer Vorbilder, an den Haupteingängen
angebracht. Unter den verſchiedenen Scenen und Standbildern,
welche bei dieſen Domen uns entgegentreten, iſt wohl keine
nachzuweiſen (etwa mit Ausnahme der Statuen der ſieben
freien Künſte), die nicht auch ſchon in den voraufgehenden
Zeitaltern Gegenſtand der künſtleriſchen Darſtellung bei den
chriſtlichen Kirchen geweſen wäre.
Neu und eigenthümlich
tritt etwa ſeit dem erſten Drittel des 13. Jahrhunderts die
Verbindung der betreffenden Bildwerke zu einem großen, ein-
heitlichen Ganzen hervor. Bei der Reproduktion der Ideen,
welche durch die an den Portalen aufgeſtellten Bilderchelen
veranſchaulicht werden ſollten, waltet von dieſer Zeit an ein
ſtillſchweigendes Einverſtändniß ob. Die Bauherrn und Künſtler
waren von der Ueberzeugung geleitet, es liege in dem höchſten
Intereſſe der kirchlichen Gemeinden, daß die in dieſen Com-
poſitionen veranſchaulichte Ideenverbindung ſich tief in die
Gemüther der Andächtigen einprägen möge. Die erſte Beleh-
rung, welche auf dieſem Wege täglich verbreitet und verkündet
werden ſollte, ſchien von dem allgemeinen, unbeſtrittenen Be-
dürfniſſe der Zeitgenoſſen gefordert. Der nähere Grund, durch
welchen die überraſchende Gleichförmigkeit ſo vieler, an weit
entlegenen Orten entſtandener Kunſtwerke erzeugt wurde, liegt
in dem Umſtande, daß die Männer, welche die vornehmlichen
Träger der Kunſt und Wiſſenſchaft in jenem Zeitabſchnitte
waren, religiöſen Corporationen angehörten, deren einzelne
Niederlaſſungen in ununterbrochenem, lebhaftem Verkehr mit
einander ſtanden, und auch über die künſtleriſchen Mittel zur
Verwirklichung der ſittlichen und religiöſen Zwecke, denen ihre
Thätigkeit geweiht war, ſich verſtändigten. Diejenige Genoſ-
ſenſchaft, deren Thätigkeit damals die umfaſſendſte und frucht-
barſte war, war der Orden der Predigermönche,
deſſen eifrige Mitwirkung bei der Förderung und Ausſchmückung
des Freiburger Kirchenbaues nicht in Abrede geſtellt werden kann.
Nur bei wenigen der betreffenden Bildercyclen kann die
Zeit ihrer Entſtehung mit ungefährer Genauigkeit nach den