Chriſtliche
Kunſtblätter
Organ des chriſtlichen Knnſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)
Nro. A.
Domine dilexi decorem domus tuae. Ps. 25, 8.
April 1862.
J. Ver Bildercyclus in der Vorhalle des Freiburger
Münſters.: (Fortſetzung.)
der rechten Hand eine Blume, einer Nelke ähnlich, darbietet
Der vordere Theil ihres Körpers wird von einer faltenreichen
Gewandung bedeckt; an der unbekleideten Rückſeite windet ſich
eine Schlange empor, über welcher zwei andere Ungethüme,
und unterhalb welcher zwei Molche ſichtbar ſind, von denen
der eine aufwärts, der andere abwärts gekehrt iſt.') Sowie
durch dieſe beiden Statuen die Siebenzahl der Laſter vervoll-
ſtändigt wird, ſo werden in gleicher Abſicht den fünf klugen
Jungfrauen, mit denen der Begriff der Tugenden ver-
bun den iſt, zwei hl. Jungfrauen beigegeben, welche auf der
ſüdlichen Seite des Eingangs in die Vorhalle den beſprochenen
Statuen der beiden Laſter gegenüber ſtehen. Jhre Namen ſind
leicht zu errathen; die eine gibt der beigefügte Drache ſogleich
kund; nämlich als die heil. Margaretha. Die Palme in
der Hand der Andern kennzeichnet dieſe als die hl. Katha-
rina. Unverkennbar iſt die Letztere auch dadurch, daß an dem
Sockel, auf welchem ihr Standbild erhöht iſt, die vier Engel
ausgemeißelt ſind, welche nach der Legende ihren Leichnam nach
dem Berge Sinai hinübertrugen, wohin während des 13ten
Jahrhunderts unabläſſig zahlreiche Pilger büßend wanderten.
Die hl. Margaretha, welche ihre jungfräuliche Reinheit durch
den Märtyrtod bewährte, ) iſt nach unſerm Dafürhalten gerade
deßhalb als Gegenbild zu der Statue der Voluptas gewählt.
Ein gleicher Gegenſatz wird bei den Statuen der hl. Katha-
Dieſe zwei Laſter ſind links bei dem Eintritte in die Vorhalle in
ſchräger Richtung den thörichten Jungfrauen gegenübergeſtellt.
Die Jnſchriften an den Sockeln, worauf ſie erhöht ſind (welche
aber nach den Schriftzügen zu urtheilen früheſtens gegen das
Ende des 16. Jahrhunderts beigefügt wurden), bezeichnen die-
ſelben als Calumnia und Voluptas, Verläumdung und Wol-
luſt. Die Art, wie die,beiden Laſter dargeſtellt ſind, iſt eine
beſonders merkwürdige. Ueber dem Rücken des Standbildes,
welches das letztgenannte Laſter repräſentiren ſoll, hängt bis
auf die Ferſen das Fell eines Widders herab; der eine Fuß
des Thieres mit einer kennbaren Klaue fällt über die rechte
Schulter herab und wird von der rechten Hand der Statue
feſtgehalten; der Widderkopf mit augenfälligen Hörnern ruht
auf der linken Hüfte. Wenn wir nicht irren, ſo iſt dieſe auf-
fallende Darſtellung motivirt durch eine allegoriſche Auslegung
der Bibelſtelle Geneſis XXVJJ. 16, welche aus einer Homilie
des Papſtes Gregor d. Gr. in die glossa ordinaria des Wa-
lafried Strabo und andere exegetiſche Schriften des Mittelal-
ters übergegangen iſt.) Die Bezeichnung Calumnia, welche
der andern Statue geliehen iſt, ſcheint keineswegs ganz ſicher,
da in der Zahl der Hauptlaſter, wie ſie insgemein angegeben
wird, dieſe nirgends inbegriffen iſt. Angemeſſener für dieſe
Statue wird man jedenfalls die Benennung ypocrisis, (Gleiß-
nerei) anerkennen müſſen, wenn man Bezug nimmt auf Matth.
XXJJJ., 27 und 28.*) Für ein Bild der Verläumdung iſt auch
die Weiſe der Darſtellung jedenfalls ganz unpaſſend. Das
betreffende Standbild zeigt uns nämlich eine jugendliche, mit
einer goldnen Krone geſchmückte weibliche Geſtalt, welche mit
*) Bei Gregor d. Gr. — deſſen Werke, beiläufig geſagt, immer zu
Rathe gezogen werden müſſen, wo es ſich um die Ausdeutung mittelalter-
licher Allegorien handelt, — heißt es (Moral. Iib. XXXIII. eap. 29): Per
lamiam (es. XXXJV, 14) — hy poeritae — — designantur. La-
mia etenim humanam hahere dicitur faciem, sed eorpns hestiale.
Sie et omnes hypocrilae in prima fa eie quod ostendunt qu asi
eXrtione sanetitatis es tiale est corpus quo d
s e uitur, quia valde iniqua sunt, quae sub boni speeir moliuntur.
Sollte es nun eine zu gewagte Vermuthung ſein, daß die urſprüngliche, im
Lauf der Zeit unleſerlich gewordene Jnſchrift als Lamia bezeichnet, eine
ſpätere Erneuerung aber conjeeturirend Calumnia geſchrieben habe?
**) Alhert. M. Sermo in festo beatae Margarithae (Opp. ed.
Lugd. 1651 Tom. X1. pog. 199) : propter hane irgineam puri-
tatem immensus draco, qui Margaritham absorbere volehat, nihil contra
eam poterat praevalere, sed disruptus fuit. — — Bonum est ergo,
carissimi, ut fornieationis immunditiam fugientes casti simus et mundi,
ne ab ore gehennalis raconis ahsorbeamur, et ne in tenehras exterio-
res projiciamur, sed ut corona gloriae eoronari mereamur.
* omil. in Erech. lh. J. hom. VJ. Ouid est quod idem acob
manus ae braehia et collum haedinis pellihus texit, nisi quod haedus
pro peecato offerri consuevit? Et gentilis populus carnis quidem in
se peccata maetavit, sed coopertum se peecatis earnalibus eonfiteri
non eruhuit.
* Dieß Laſter kömmt in der fälſchlich dem hl. Ambroſius beigeleg-
ten Schrift de vitiorum virtutumque conſlietu unter der Bezeichnung
simulatio vor; bei dem hl. Gregor (Moral XXXI. cap. 45.) iſt Hypo-
erisis als der Sprößling einer der Hauptſünden genannt.
Kunſtblätter
Organ des chriſtlichen Knnſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)
Nro. A.
Domine dilexi decorem domus tuae. Ps. 25, 8.
April 1862.
J. Ver Bildercyclus in der Vorhalle des Freiburger
Münſters.: (Fortſetzung.)
der rechten Hand eine Blume, einer Nelke ähnlich, darbietet
Der vordere Theil ihres Körpers wird von einer faltenreichen
Gewandung bedeckt; an der unbekleideten Rückſeite windet ſich
eine Schlange empor, über welcher zwei andere Ungethüme,
und unterhalb welcher zwei Molche ſichtbar ſind, von denen
der eine aufwärts, der andere abwärts gekehrt iſt.') Sowie
durch dieſe beiden Statuen die Siebenzahl der Laſter vervoll-
ſtändigt wird, ſo werden in gleicher Abſicht den fünf klugen
Jungfrauen, mit denen der Begriff der Tugenden ver-
bun den iſt, zwei hl. Jungfrauen beigegeben, welche auf der
ſüdlichen Seite des Eingangs in die Vorhalle den beſprochenen
Statuen der beiden Laſter gegenüber ſtehen. Jhre Namen ſind
leicht zu errathen; die eine gibt der beigefügte Drache ſogleich
kund; nämlich als die heil. Margaretha. Die Palme in
der Hand der Andern kennzeichnet dieſe als die hl. Katha-
rina. Unverkennbar iſt die Letztere auch dadurch, daß an dem
Sockel, auf welchem ihr Standbild erhöht iſt, die vier Engel
ausgemeißelt ſind, welche nach der Legende ihren Leichnam nach
dem Berge Sinai hinübertrugen, wohin während des 13ten
Jahrhunderts unabläſſig zahlreiche Pilger büßend wanderten.
Die hl. Margaretha, welche ihre jungfräuliche Reinheit durch
den Märtyrtod bewährte, ) iſt nach unſerm Dafürhalten gerade
deßhalb als Gegenbild zu der Statue der Voluptas gewählt.
Ein gleicher Gegenſatz wird bei den Statuen der hl. Katha-
Dieſe zwei Laſter ſind links bei dem Eintritte in die Vorhalle in
ſchräger Richtung den thörichten Jungfrauen gegenübergeſtellt.
Die Jnſchriften an den Sockeln, worauf ſie erhöht ſind (welche
aber nach den Schriftzügen zu urtheilen früheſtens gegen das
Ende des 16. Jahrhunderts beigefügt wurden), bezeichnen die-
ſelben als Calumnia und Voluptas, Verläumdung und Wol-
luſt. Die Art, wie die,beiden Laſter dargeſtellt ſind, iſt eine
beſonders merkwürdige. Ueber dem Rücken des Standbildes,
welches das letztgenannte Laſter repräſentiren ſoll, hängt bis
auf die Ferſen das Fell eines Widders herab; der eine Fuß
des Thieres mit einer kennbaren Klaue fällt über die rechte
Schulter herab und wird von der rechten Hand der Statue
feſtgehalten; der Widderkopf mit augenfälligen Hörnern ruht
auf der linken Hüfte. Wenn wir nicht irren, ſo iſt dieſe auf-
fallende Darſtellung motivirt durch eine allegoriſche Auslegung
der Bibelſtelle Geneſis XXVJJ. 16, welche aus einer Homilie
des Papſtes Gregor d. Gr. in die glossa ordinaria des Wa-
lafried Strabo und andere exegetiſche Schriften des Mittelal-
ters übergegangen iſt.) Die Bezeichnung Calumnia, welche
der andern Statue geliehen iſt, ſcheint keineswegs ganz ſicher,
da in der Zahl der Hauptlaſter, wie ſie insgemein angegeben
wird, dieſe nirgends inbegriffen iſt. Angemeſſener für dieſe
Statue wird man jedenfalls die Benennung ypocrisis, (Gleiß-
nerei) anerkennen müſſen, wenn man Bezug nimmt auf Matth.
XXJJJ., 27 und 28.*) Für ein Bild der Verläumdung iſt auch
die Weiſe der Darſtellung jedenfalls ganz unpaſſend. Das
betreffende Standbild zeigt uns nämlich eine jugendliche, mit
einer goldnen Krone geſchmückte weibliche Geſtalt, welche mit
*) Bei Gregor d. Gr. — deſſen Werke, beiläufig geſagt, immer zu
Rathe gezogen werden müſſen, wo es ſich um die Ausdeutung mittelalter-
licher Allegorien handelt, — heißt es (Moral. Iib. XXXIII. eap. 29): Per
lamiam (es. XXXJV, 14) — hy poeritae — — designantur. La-
mia etenim humanam hahere dicitur faciem, sed eorpns hestiale.
Sie et omnes hypocrilae in prima fa eie quod ostendunt qu asi
eXrtione sanetitatis es tiale est corpus quo d
s e uitur, quia valde iniqua sunt, quae sub boni speeir moliuntur.
Sollte es nun eine zu gewagte Vermuthung ſein, daß die urſprüngliche, im
Lauf der Zeit unleſerlich gewordene Jnſchrift als Lamia bezeichnet, eine
ſpätere Erneuerung aber conjeeturirend Calumnia geſchrieben habe?
**) Alhert. M. Sermo in festo beatae Margarithae (Opp. ed.
Lugd. 1651 Tom. X1. pog. 199) : propter hane irgineam puri-
tatem immensus draco, qui Margaritham absorbere volehat, nihil contra
eam poterat praevalere, sed disruptus fuit. — — Bonum est ergo,
carissimi, ut fornieationis immunditiam fugientes casti simus et mundi,
ne ab ore gehennalis raconis ahsorbeamur, et ne in tenehras exterio-
res projiciamur, sed ut corona gloriae eoronari mereamur.
* omil. in Erech. lh. J. hom. VJ. Ouid est quod idem acob
manus ae braehia et collum haedinis pellihus texit, nisi quod haedus
pro peecato offerri consuevit? Et gentilis populus carnis quidem in
se peccata maetavit, sed coopertum se peecatis earnalibus eonfiteri
non eruhuit.
* Dieß Laſter kömmt in der fälſchlich dem hl. Ambroſius beigeleg-
ten Schrift de vitiorum virtutumque conſlietu unter der Bezeichnung
simulatio vor; bei dem hl. Gregor (Moral XXXI. cap. 45.) iſt Hypo-
erisis als der Sprößling einer der Hauptſünden genannt.