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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Editor]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 1.1862

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Nr. 4 (April 1862)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6483#0015
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rina und der ſ. g. Calumnia beabſichtigt geweſen ſein. Das
offene, ſiegreiche Bekenntniß der Wahrheit, welches die heilige

Katharina den alexandriniſchen Sophiſten gegenüber ablegte,

ſollte wohl der Lüge und der Gleißnerei entgegengehalten wer-

den, deren Darſtellung gerade gegenüber ihren Platz gefunden
at. * * „ — 436⁵4

Die Stelle, welche den thörichten und klugen Jungfrauen,
unmittelbar neben dem Haupteingange in die Kirche angewie-

ſen iſt, hat ihren Grund in der evangeliſchen Erzählung. Die

klugen Jungfrauen treten mit dem Bräutigam in das hochzeit-

liche Gemach; den thörichten bleibt die Thüre verſchloſſen.

Die Hochzeitkammer iſt ein Gleichniß des himmliſchen Reiches,
Das

das auf Erden durch den Kirchenbau vorgebildet wird.
Gebot des Herrn, das in der Parabel ausgeſprochen iſt, be-
fiehlt zu wachen; „denn die Stunde, in welcher der Sohn des
Menſchen kommen wird, iſt ungewiß.“ Die endliche Ent-

ſcheidung des göttlichen Richters, welche in dieſer Stunde über
das geſammte, aus den Gräbern erſtandene menſchliche Ge-

ſchlecht ergehen wird, wird uns von den Bildwerken des Gie-

belfeldes oberhalb der Kirchenthüre, zu welchem der Blick des
die Vorhalle umſchreitenden Beſchauers zuletzt ſich hinwendet,‚

vorgeführt werden. ö
Alle und jede Abtheilungen der verſchiedenen Compoſitionen,

die hier neben und über einander aufgeſtellt ſind, ſind in einem

engen, folgerichtigen Zuſammenhang unter einander aufgefaßt.

Es könnte gegen dieſe Auffaſſung eingewendet werden, daß

die Bezeichnung der thörichten Jungfrauen als einzelne Laſter

nicht gleichmäßig bei allen hervorgehoben iſt, daß bei den klu-

gen Jungfrauen eine nähere Bezeichnung, welche dieſe als

Trägerinnen der einzelnen Tugenden kenntlich gemacht hätte,

gänzlich fehlt. Wir werden zugeben müſſen, daß die Idee,
welche dem Künſtler vorſchwebte, von demſelben nicht vollſtän-
dig und conſequent durchgeführt worden iſt. Eine Rede des“
hl. Bernhard (Serm. XXXIII. in Cantica), auf welche
wir erſt aufmerkſam wurden, als der Druck dieſes Aufſatzes-
bereits vorgeſchritten war, behandelt die hauptſächlichen Ver-
ſuchungen, welche (zunächſt die Kloſterleute) von dem ö
des Heils ableiten, und zählt zu dieſen, ſie nachdrücklichſt be-
kämpfend, die Gleißnerei. Die von dem Künſtler ausgeführten
Statuen der Wolluſt und Gleißnerei ſind alſo wohl auch als
Darſtellungen dieſer Verlockungen zu faſſen, welche ein ernſtes
und redliches Beſtreben nicht aufkommen laſſen. Vor dieſen-
Bethörungen warnt der Engel, welcher den betreffenden Sta-
tuen zur Seite ſteht.
Gedankengange beſtimmt, welchen der hl. Bernhard in einer
andern, denfelben Gegenſtand behandelnden Rede (Serm. in
Psalm. qui habitat etc.) verfolgt, wo er den Troſt hervor-
hebt, welchen die Schriftſtelle (PSs. XC. 11.; Matth. IV, 6;
Luc. IV, 10.) giebt: „»Er hat ſeinen Engeln befohlen, daß
ſie dich auf allen deinen Wegen bewahren..ꝓDt
An die Standbilder der fünf thörichten Jungfrauen reihen
ſich die Statuen an, welche die ſieben freien Künſte darſtellen.
Für die letzte derſelben hatte die ſüdliche Seitenwand keinen
Raum mehr. Dieſe iſt an die anſtoßende Vorderwand neben
der hl. Margaretha hingerückt worden. Die ſieben Wiſſen-
ſchaften ſind durch beigegebene Attribute kenntlich gemacht, die
zum Theil aus den allegoriſchen Schilderungen des Martia-

nus Capella entlehnt ſind. Ueberdieß ſind die Namen von

einer jüngern Hand auf den Sockeln beigeſchrieben worden. Es
ſollen dieſe Statuen zum Studium der verſchiedenen Zweige des

Wiſſens auffordern, die nach der frommen Auffaſſung jener Zeit

als Vorbereitung und Einleitung zum Verſtändniſſe der göttli-
chen Offenbarung dienen ſollen. Statt einer unnöthigen wei-
teren Ausführung dieſes Satzes führen wir bloß eine Stelle
aus dem Mariale Albert d. G. an, wo es heißt: „Die Weis-

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Wege

Der Künſtler wurde von demſelben

dieſen folgte Sara und weiter Abraham.

heit hat ſich ein Haus gebaut und ſieben Säulen ausge-

hauen (Sprichw. IX. 1.): jenes Haus iſt die hl. Jungfrau, die

ſieben Säulen ſind die ſieben freien Künſte“ (Quaest. 98.

Tom. xx. P. II. pag. 77). ö

Noch iſt die letzte Siebenzahl der die Seitenwände der Vor-
halle ſchmückenden Statuen zu beſprechen. Dieſe beſteht aus einem
durch ein großes Flügelpaar kenntlich gemachten Engel, der an der
Ecke der weſtlichen Vorderwand zu ſehen iſt, au welchen ſich der
nördlichen Seitenwand entlang fünf, dem alten und neuen Teſta-
mente angehörige Figuren anreihen. Zu dieſer Siebenzahl gehört
endlich die Figur des Heilandes, welche von den letztgenannten
Statuen durch die dazwiſchenſtehenden klugen Jungfrauen ge-
trennt iſt. Dieſe Statue des Heilandes iſt offenbar in Beziehung
zu den ihm als ihrem Bräutigam zueilenden Jungfrauen ge-
dacht. Der Heiland winkt ihnen mit der Rechten. Mit
der linken Hand hält er ein Buch, welches, wenn es, wie in
dieſem Falle, geſchloſſen iſt, nach dem Zeugniſſe des Duran-

dus (Rationale I., 3.) das Buch des Lebens bedeutet, welches

nur der Löwe vom Stamme Juda zu öffnen vermag. (Apokal.
V. 5.) Den Engel, welcher neben den beſprochenen Stand-
bildern der beiden Laſter ſeinen Platz gefunden hat, denken wir
in Verbindung mit dieſen aufgefaßt und betrachten ihn als den
Schutzengel des Menſchen, deſſen Stimme auch den der
Sünde Verfallenen zu mahnen nicht abläßt. Der warnende
Spruch, den er verkündet, iſt auf dem Schriftbande eingezeich-
net, das er in der Hand hält. Auf dieſem leſen wir die mit
Schriftzeichen des 13ten Jahrhunderts geſchriebenen Worte:
„Orate ne intretis in tentationem, betet, auf daß ihr nicht
in Verſuchung fallet.“ (Luk.XXII., 40).)
Die betreffenden hiſtoriſchen Figuren ſollen auf die unerläßliche

Propädeutik zum chriſtlichen Leben hinweiſen; ſie ſind mit gu-

tem Vorbedacht aus der Periode gewählt, welche der Einſetzung
des nenen Bundes voranging, da dieſe ſelbſt als die Zeit der
Hoffnung und Ahnung, der Vorbereitung auf das verheißene
Gottesreich betrachtet wird. Abraham, im Begriff, ſeinen
Sohn zu opfern, fordert durch ſein Beiſpiel auf zum Glauben
und Gehorſam. Sara, durch die orientaliſche Geſichtsbildung
und die altteſtamentliche Kleidung kenntlich (bisher ohne allen
Grund Maria Jakobi genannt) lehrt Vertrauen auf den
Herrn.“) Aaron, der hohe Prieſter des alten Bundes, das
Rauchfaß in der Hand ſchwingend, mahnt an Opfer und Ge-
bet. Johannes, der Prediger in der Wüſte, verlangt Buße
und Beſſerung; Maria Magdalena zeigt, wie fromme
Liebeswerke die Reue bethätigen ſollen. Die urſprüngliche

Folge dieſer Statuen muß bei irgend einer Reſtauration ge-

ſtört worden ſein. Dem aufmerkſamen Beſchauer wird es
nicht entgehen, daß das Haupt des Johannes beinahe das
über ihn erhöhte Tabernakel berührt. Anfänglich muß Abra-
ham die Stelle des Johann Baptiſt eingenommen haben; auf
Mittels dieſer Figuren ſind die Belehrungen vollſtän-
dig geworden, welche dem die Halle Betretenden zugerufen
werden ſollen. Wir müſſen aber noch die Aufmerkſamkeit des
Leſers auf zwei in kleinerem Maaßſtab, wie die übrigen —
beiläufig drei Fuß meſſenden — Statuen, ausgeführten En-
gelgeſtalten hinlenken, welche an der Schwelle der Vor-
halle bei den Statuen der ſ. g. Calumnia und der hl. Katha-
rina angebracht, den Eintretenden und Ausgehenden ernſte
Mahnungen entgegenhalten, welche auf den in ihren Händen
befindlichen Spruchbändern verzeichnet ſind. Der Spruch,

„ Bei der verwandten Darſtellung in der Stiftskirche zu Stuttgart iſt
ein betender Engel an die Spitze der klugen Jungfrauen geſtellt; die thö-
richten ſind von einer Teufelsfratze begleitet. x
**) S. Gregor. M. moral. lih. IX. cap. 66.
 
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