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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 1.1862

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Nr. 5 (Mai 1862)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6483#0020
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bezeichnet werden können. Der dritte unter den Gekrönten

weiſt ein Spruchband vor, auf welchem die Anfangsbuchſtaben

der Inſchrift bemerklich ſind, welche Pilatus über dem Kreuze
anzuſchlagen befahl (I. N. R. I.). In dieſem Könige iſt Con-
ſtantin der Gr. zu vermuthen, der die Stätte unſerer Er-
löſung durch eine Kirche verherrlichte, wie in der neben ihm
ſtehenden ebenfalls durch eine Krone ausgezeichneten weiblichen
Figur die Kaiſerin Helena, welche nach den umſtändlichen
Berichten chriſtlicher Schriftſteller das Kreuz Chriſti entdeckte.“)
Neben den Prieſtern und Herrſchern ſind noch drei andere
Figuren angebracht, welche wohl die andern Stände der Ge-
ſellſchaft repräſentiren ſollen. Die letzte Figur, eine weibliche,
kniet am Boden, und hebt die gefalteten Hände gegen den Ge-

kreuzigten empor, wohl fürbittend für die theuren Abgeſchiede-

nen, die ſie nicht in ihrer Nähe erblickt. ö
Ueber die zuletzt beſprochenen Gruppen breitet ſich eine
Wolkenſchichte aus. Damit hat der Künſtler wohl auf die Weiſ-

ſagung bei Mark. XIII, 26 hinweiſen wollen, welcher zufolge

der Menſchenſohn am Tage des Gerichts „in den Wolken
mit großer Macht und Herrlichkeit« erſcheinen wirrd.
Oberhalb dieſes Gewölkes, zu beiden Seiten des über dem
Kreuze gebildeten Pelikans, ſieht man zum Weltgericht verſam-
melt die zwölf Apoſtel, welche (Matth. XIX, 28, Luc. XXII,
30) „auf zwölf Stühlen ſitzen und die zwölf Geſchlechter Is-
raels richten werden.“ Zur Rechten des Pelikans iſt an dem
emporgehaltenen Schlüſſel Petrus kenntlich. Neben dieſem
ſitzt Johannes, der Evangeliſt, der eine offene Buchrolle
auf dem Schooße hält, während den andern Apoſteln geſchloſ-
ſene Bücher beigegeben ſind. Der letzte der Apoſtel, rechts
vom Beſchauer, iſt auf ein Knie geſunken und faltet, dem Hei-
land zugewendet, die Hände zum Gebet. Am entgegengeſetzten
Ende hebt ein anderer Apoſtel (Thomas?), wie ein Zeugniß
gebend, den rechten Arm nach dem Heilande hin. Er ſitzt mit-
ten in Laubwerk, welches wohl als eine Andeutung des himm-
liſchen Paradieſes gelten darf.
Der zweite Bogenfries dient als Unterlage der oberſten
Abtheilung, in deren Mitte der verklärte Heiland ſegnend
thront. Zu beiden Seiten deſſelben knieen anbetend Maria
und Joſeph. Der Sinn dieſer Zuſammenſtellung wird uns
völlig einleuchtend aus Matthäus XIX, 28, wo die Erſchei-
nung des Herrn beim Weltgericht die Wieder geburt ge-
nannt wird. Es reiht ſich alſo die Vollendung der Erlöſung
an den Beginn, die Schlußſcene an jene, welche den Bilder-

Cyclus eröffnete. Der Heiland iſt in der Herrlichkeit von Jo-

ſeph und Maria umgeben wie in dem Stalle zu Bethlehem.
Weil den in der Herrlichkeit erſcheinenden Chriſtus die himm-
liſchen Heerſchaaren begleiten werden, umgeben ihn auf unſerm
Portale weitere vier Engelsgeſtalten, welche die Werkzeuge
ſeines in der untern Abtheilung dargeſtellten Leidens empor-
halten. Von den beiden, welche neben Maria und Joſeph auf-
recht ſtehen, ſtützt ſich der eine auf das Kreuz, dem andern
war die nicht mehr vorhandene Geißel in die Hand gegeben.
Zwei andere Engel ſchweben in der Höhe, der eine hält die

Dornenkrone, der andere die Nägel des Kreuzes. Unſerer Dar-

ſtellung entſprechen durchaus die häufigen Schilderungen des
Weltgerichtes bei den mittelalterlichen Schriftſtellern. Wir be-
gnügen uns, auf Honorius von Autun zu verweiſen. „Wie
wird der Herr zum Gerichte kommen? Sorie, wenn der Kai-
ſer eine Stadt betritt, die Krone und die andern Zeichen ſei-
ner Würde vorangetragen werden, an welchen man ſeine
Ankunft erkennt; ſo wird Chriſtus in der Geſtalt, wie er auf-
gefahren, mit den Schaaren aller Engel zum Gerichte kommen;
voran gehen werden die Engel, die ſein Kreuz tragen; mit

Sersterb. e.I, 133 Soνem. 15 +. 2. Histor. tripart II.

18; Ambros. de obitu Theodos. cap- 45-

näherem Verſtändniß dieſer Darſtellung
geſchichtliche Entwickelung der Portalverzierungen im Mittel-
alter erinnert. Dem altchriſtlichen Baſilikenbau fehlte bekanntlich
jede plaſtiſche Ausſchmückung, die erſt in der kirchlichen Archi-
tektur des romaniſchen Stils vorkommt. Darüber hat Schnaaſe

2) Elucidar- lib. III, 12.

der Poſaune und der Stimme werden ſie die Todten erwecken,
ihm zu begegnenau.ſ. w.*) — Von den beiden Engeln, welche,

in die Ecken dieſer untern Abtheilung hingeſtellt, die Poſaunen

ertönen laſſen, iſt ſchon die Rede geweſen.
Nachdem wir die reiche Compoſition des Portalbildes er-

läutert haben, gehen wir zu der Einrahmung deſſelben über,
welche bis jetzt die Aufmerkſamkeit in weit geringerem Grade

auf ſich gezogen zu haben ſcheint, die aber einer ſorgfältigen
Beachtung nicht minder würdig iſt, da die Verzierung derſel-
ben mit der gleichen tiefſinnigen Ueberlegung, welche die übrige

Ausſchmückung der Vorhalle geleitet hat, angeordnet wurde.
Von den vier Doppelſäulen, welche zu beiden Seiten der Kir-
chenthüre aufgeſtellt und an denen die beſprochenen acht, die

heil. Jungfrau umſtehenden Statuen angebracht ſind, ſteigen
vier Kreisſegmente empor, welche in dem Scheitelpunkte über

dem Portalbilde ſich begegnend vier, daſſelbe einfaſſende Spitz-

bogengurten bilden. In der Höhlung der erſten Gurte erblickt
man zwölf Engel. Auf dieſe folgen in den Höhlungen der
zweiten, dritten und letzten Gurte vierzehn Propheten,
ſechszehn Könige von Juda, und achtzehn Erzväter.
Jedwede Reihenfolge ſteht im Zuſammenhang mit dem Ganzen
der Portalverzierung; insbeſondere iſt eine genaue Beziehung

zu den Hauptgegenſtänden derſelben, der Geburt und dem Er-
löſungswerke des Heilandes, nachweisbar. Für den modernen,

mit der Symbolik der mittelalterlichen Kunſt weniger befreun-

deten, Beſchauer iſt dieſer Zuſammenhang auf den erſten Blick
freilich weniger kenntlich. ö

— —
Die Worte des Heilandes Joh. I, 51: „wahrlich, wahr-
lich! ich ſage euch, ihr werdet den Himmel geöffnet, und die

Engel Gottes über des Menſchen Sohn auf-⸗ und abſteigen

ſehen,“ könnten als eine genügende Erklärung der Verzierung

der erſten Gurte gelten, wo wir ſechs Engelsgeſtalten Rauch-
fäſſer ſchwingend emporſteigen, eine gleiche Zahl, Kronen

in den Händen haltend, herabſchweben ſehen.
ſei hier an die

(Geſchichte der bildenden Künſte, Bd. IV. Abthl. 1. S. 193 ff.)

vortreffliche Erörterungen gegeben. Insbeſondere lehrt er uns,
daß in den Wölbungen, welche die Säulenpaare neben dem
Eingange verbinden „das Bild einer feierlichen Glo-

rie ausgedrückt iſt, welche an den leuchtenden Glanz

und den raſchen Umſchwung des Firmamentes er-
innert.“ Dieſer einmal angeregte Gedanke ward dann zu
Ende des 11ten und der folgenden Jahrhunderte bei den ro-

maniſchen und gothiſchen Bauten, wo man von den bloß archi-
tektoniſchen Ornamenten zu der plaſtiſchen Verzierung überging,

dahin verfolgt, jene leitende Idee noch näher zu veranſchauli-

chen und die Urſachen des Umſchwungs, die bewegenden

Kräfte, zu verſinnbildlichen. Dieſe Kräfte, von welchen der

Umſchwung des Himmels angeregt und geordnet wird, wurden

im claſſiſchen Alterthume und vom ſpätern aſtrologiſchen Irr-

wahne vielfach an die Bilder des Thierkreiſes geknüpft. Da
dies der chriſtlichen Kunſt anſtößig erſchien, gab man den ein-
zelnen Bildern eine Beziehung auf die hl. Geſchichte, zunächſt

auf die 12 Apoſtel; oder hob die calendariſche Bedeutung der-

ſelben hervor, indem man die Arbeiten der einzelnen Monate
damit verband. Später wurden ſtatt der calendariſchen oder

mythologiſchen Darſtellungen zwölf Engel als die Urſachen

der Himmelsbewegung gebildet, in deren Händen jene Him-
melskörper erſchienen. Und dieſes Verfahren hatte auch bezüg-
lich der Bilder des Thierkreiſes ſtatt. Zudem ward ja auch in
 
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