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her einer andern Singweiſe ſich bedienten, aufzudrängen. Wo
die Einführung des gregor. Geſanges ſtattfand, geſchah ſie aus
Ehrfurcht und Anhänglichkeit an die römiſche Mutterkirche und
im katholiſchen Einheitsbewußtſein, dem man auch in dieſem
Stücke Rechnung tragen zu müſſen glaubte. Mehr befehlsweiſe
geſchah ſie da, wo der Same des Evangeliums erſt ausgeſtreut
wurde. Die von Rom ausgeſendeten Miſſionäre brachten über-
allhin, wo ſie Niederlaſſungen und Mittelpuncte ihrer Thätig-
keit gründeten, den röm. Geſang mit, und da zugleich bei dieſen
neuerſtehenden Biſchofsſitzen und Klöſtern auch wiſſenſchaftliche
Schulen eingerichtet wurden, wurden dieſe ebenfalls als Pflanz-
ſchulen des Kirchengeſanges benützt. So kam der gregor. Ehoral
durch den heil. Mönch Auguſtinus, der von P. Gregor ſelbſt
ſeine Sendung empfieng, nach England, woſelbſt in der Folge
die Schulen von Oxford und ork berühmt wurden; durch die
hh. Corbinian, Kilian, Bonifacius u. ſ. w., nach Deutſchland.
Beſonders waren die Klöſter, — ſämmtliche vom Orden des hl.
Benedict, die Pflanzſtätten und vorzüglichſten Schulen des röm.
Geſanges; ihre Schulen blühten am ſchönſten und längſten und
waren am meiſten beſucht, ihre Singchöre die beſten und ſtärk-
ſten. Denn Schulen, d. h. wiſſenſchaftliche Anſtalten, fand
man außer den Klöſtern nur bei Cathedralen; überdies wirkte
die hl. Regel ſelbſt wohlthätig ein. Der hl. Ordensſtifter hatte
nämlich die damals herrſchende Sitte berückſichtiget, daß Eltern
ihre Kinder ſchon im zarten Alter den Klöſtern übergaben und
Gott weihten. Dadurch war es möglich, immer Knaben bei
der Hand zu haben, die den trefflichſten Chor bildeten. Dieſe
hatten, wenn ſie in den klöſterlichen Verband aufgenommen
waren, beim Gottesdienſte der hl. Meſſe und bei den kirchl.
Tagzeiten im Chore, bei Tag und bei Nacht mitzuſingen und
die Mönche, welche oft nicht zahlreich und nicht ſämmtlich des
Geſanges genug kundig, zu leiten und zu unterſtützen. Zur
Zeit Zeit Kart d. G. hatte der Abt Angilbert im Kloſter Cen-
tulä es dahin gebracht, daß er 100 Sing-Knaben in drei Ab-
theilungen zu je 34 geſchaart, ſeinen Mönchen beim täglichen
Chordienſt zutheilen konnte.*)
züglich des Geſanges und der Leſung unter den unmittelbaren
Befehlen des Primicerius ſtand. Träger dieſer Würde waren
zu Zeiten ſelbſt Biſchöfe, Erzprieſter und Cardinäle; zu den
Zeiten Gregors aber konnten gemäß der ganzen hierarchiſchen
Einrichtung weder der Primicerius noch die Sänger zur prie-
ſterlichen Weihe emporſteigen, da jeder Ordo ſein eigenes Amt
zu beſorgen hatte und zu einem anderweitigen nicht verwendet
wurde. Diejenigen unter den Sängern, welche zur Prieſter-
würde aspirirten, traten dann aus der schola aus und in die
Reihe der päpſtlichen Kämmerlinge (cubicularii, Kleriker, welche
niedere Dienſtleiſtungen am Altare, Vorbereitungen für's heil.
Meßopfer u. dgl. zu thun hatten), ein, bis ſie die verſchiede-
nen Stufen des Klerikats durchgemacht hatten und in das Hei-
ligthum des Presbyterats ſelbſt aufgenommen wurden.
Wir bemerken hier gleich, daß ſpäter bei den kirchlichen
Singchören auch eine Rangordnung unter den Sängern einge-
führt wurde. Nach dem Primicerius (quasi primus in cera,
d. h. der Erſte an der Wachstafel; in alten Zeiten ſchrieb man
auf Tafeln, welche mit Wachs überzogen waren), der bald
prior scholae, bald Archicantor u. dgl. benannt wird, kam
der Secundicerius - der ſpätere Succentor. Nach Onuph-
rius) waren in der schola cantorum nach dem Primicerius
die vier Archicantoren, primus, secundus, tertius und quar-
tus. scholae genannt; die erſten drei führten auch den Namen
paraphonistae, der vierte hieß archiparaphonista oder ſchlecht-
weg quartus scholae, und verſah bei minder feierlichen Got-
tesdienſten die Stelle des Primicerius. Der Chor beſtand ent-
weder aus erwachſenen Sängern, deren Anzahl nach Gelegenheit
und Bedürfniß durch Singknaben verſtärkt wurde, oder blos aus
Singknaben mit dem Cantor oder Magister scholae an der
Spitze. Baronius merkt in ſeinen Annalen zum Jahr 1075
an, daß der röm. Sängerchor damals aus 7 Subdiakonen beſtanden
habe,i. J. 1232 zählte er 11 Cantoren nebſt dem Primicerius.
Nachdem einmal in Rom eine feſte Ordnung des Kirchen-
geſanges hergeſtellt war, breitete ſich dieſer Geſang, welcher noch
heutzutage nach ſeinem Begründer ,,der gregorianiſche Ge-
ſang oder Choral benannt wird, weiter aus, und damit mehr-
ten ſich auch die Geſangſchulen, welche vielmehr zur Einführung
und Erhaltung dieſes Geſanges als nothwendig erachtet wurden.
Man darf jedoch nicht glauben, daß vor Gregor oder außer
Rom kein geregelter und ordentlicher Kirchengeſang ſich gefun-
den habe. Nichts zu ſagen von der orientaliſchen Kirche, (deren
Geſangeinrichtungen wir nicht zu beſprechen im Sinne haben),
beſaß die Kirche von Mailand durch ihren heil. Oberhirten Am-
broſius einen eigenthümlichen Kirchen-Geſang, der ſich nicht
blos auf Pſalmenmelodieen beſchränkte, ſondern auch Hymnen
und andere Geſänge in ſich faßte. Ambroſius ſtellte ein eige-
nes Tonſyſtem auf mit vier Tonarten, auf dem Gregor d. Gr.
fortbaute, indem er noch vier Untertonarten oder Tonreihen
hinzufügte die plagaliſchen Tonarten — und ſo ihre Zahl
auf acht erhöhte. Sein Geſang, der ambroſianiſche genannt,
wird, obwohl in ſchlichter Einfachheit kräftig und wohltönend,
doch als hinter den gregorianiſchen Melodieen betreffs der An-
muth zurückſtehend bezeichnet. Er fand eine große Verbreitung
ſowohl in Jtalien als in Spanien und Gallien; in den beiden
letzten Ländern, wo ſich als beſondere Beförderer des Kirchen-
Geſanges die hh. Hilarius von Poitiers († 369) und Gregor
von Tours ( 560), Jſidor von Sevilla ( 636) und Jlde-
phons von Toledo († 667) hervorthaten, mußte er ſich einige
Aenderungen gefallen laſſen, (gallicaniſche Singweiſe)
Gregor hatte ſeine Einrichtungen zunächſt nur für die rö-
miſche Kirche gemacht, ohne ſie denjenigen Kirchen, welche bis-
(Schluß folgt)
JJ. Miscellen
1. Reſtauration der Frauenkirche zu Eßlingen
Die Reſtauration der hier erwähnten ſchönen Kirche iſt im
Herbſt des verfloſſenen Jahres durch die rühmliche Opfer-
willigkeit der Stadt, unter Leitung des Oberbaurathes Egle
von Stuttgart, in ſo einheitlicher und vorzüglicher Weiſe
vollendet worden, daß dieſelbe zu den gelungenſten Wiederher-
ſtellungen gerechnet werden muß. Die Arbeit war nicht gering;
denn nicht blos war das ganze Jnnere in üblem Zuſtande und
verlangte eine würdige ſtylgemäße Umgeſtaltung; ſondern die
Struktur des Baues ſelbſt hatte, namentlich an der Nordſeite,
erheblich gelitten und bedurfte gründlicher Ausbeſſerung. Bei
einem Beſuche, den ich im vergangenen Herbſt dieſer architek-
toniſchen Perle des Schwabenlandes machte, wurde ich durch
den glücklichen Erfolg des eben vollendeten Unternehmens aufs
erfrenlichſte berührt: die Schäden der Conſtruction waren aus-
gebeſſert, die willkürlichen Zuſätze und Entſtellungen ſpäterer
Zeit beſeitigt, der Platz an der Weſtſeite hatte eine Erweite-
rung und Verſchönerung erfahren, ſo daß auch die unmittelbare
Umgebung der anmuthigen Kirche eine würdigere geworden
war. Am meiſten iſt aber für das Jnnere geſchehen. Eine
neue, aus Stein errichtete Empore erhebt ſich an der Weſtſeite
und trägt die neue Orgel mit ihrem trefflich in Holz geſchnitz-
* Gerbert, J. c. p. 306.
*) Regula S. Benedicti, c. 59.
her einer andern Singweiſe ſich bedienten, aufzudrängen. Wo
die Einführung des gregor. Geſanges ſtattfand, geſchah ſie aus
Ehrfurcht und Anhänglichkeit an die römiſche Mutterkirche und
im katholiſchen Einheitsbewußtſein, dem man auch in dieſem
Stücke Rechnung tragen zu müſſen glaubte. Mehr befehlsweiſe
geſchah ſie da, wo der Same des Evangeliums erſt ausgeſtreut
wurde. Die von Rom ausgeſendeten Miſſionäre brachten über-
allhin, wo ſie Niederlaſſungen und Mittelpuncte ihrer Thätig-
keit gründeten, den röm. Geſang mit, und da zugleich bei dieſen
neuerſtehenden Biſchofsſitzen und Klöſtern auch wiſſenſchaftliche
Schulen eingerichtet wurden, wurden dieſe ebenfalls als Pflanz-
ſchulen des Kirchengeſanges benützt. So kam der gregor. Ehoral
durch den heil. Mönch Auguſtinus, der von P. Gregor ſelbſt
ſeine Sendung empfieng, nach England, woſelbſt in der Folge
die Schulen von Oxford und ork berühmt wurden; durch die
hh. Corbinian, Kilian, Bonifacius u. ſ. w., nach Deutſchland.
Beſonders waren die Klöſter, — ſämmtliche vom Orden des hl.
Benedict, die Pflanzſtätten und vorzüglichſten Schulen des röm.
Geſanges; ihre Schulen blühten am ſchönſten und längſten und
waren am meiſten beſucht, ihre Singchöre die beſten und ſtärk-
ſten. Denn Schulen, d. h. wiſſenſchaftliche Anſtalten, fand
man außer den Klöſtern nur bei Cathedralen; überdies wirkte
die hl. Regel ſelbſt wohlthätig ein. Der hl. Ordensſtifter hatte
nämlich die damals herrſchende Sitte berückſichtiget, daß Eltern
ihre Kinder ſchon im zarten Alter den Klöſtern übergaben und
Gott weihten. Dadurch war es möglich, immer Knaben bei
der Hand zu haben, die den trefflichſten Chor bildeten. Dieſe
hatten, wenn ſie in den klöſterlichen Verband aufgenommen
waren, beim Gottesdienſte der hl. Meſſe und bei den kirchl.
Tagzeiten im Chore, bei Tag und bei Nacht mitzuſingen und
die Mönche, welche oft nicht zahlreich und nicht ſämmtlich des
Geſanges genug kundig, zu leiten und zu unterſtützen. Zur
Zeit Zeit Kart d. G. hatte der Abt Angilbert im Kloſter Cen-
tulä es dahin gebracht, daß er 100 Sing-Knaben in drei Ab-
theilungen zu je 34 geſchaart, ſeinen Mönchen beim täglichen
Chordienſt zutheilen konnte.*)
züglich des Geſanges und der Leſung unter den unmittelbaren
Befehlen des Primicerius ſtand. Träger dieſer Würde waren
zu Zeiten ſelbſt Biſchöfe, Erzprieſter und Cardinäle; zu den
Zeiten Gregors aber konnten gemäß der ganzen hierarchiſchen
Einrichtung weder der Primicerius noch die Sänger zur prie-
ſterlichen Weihe emporſteigen, da jeder Ordo ſein eigenes Amt
zu beſorgen hatte und zu einem anderweitigen nicht verwendet
wurde. Diejenigen unter den Sängern, welche zur Prieſter-
würde aspirirten, traten dann aus der schola aus und in die
Reihe der päpſtlichen Kämmerlinge (cubicularii, Kleriker, welche
niedere Dienſtleiſtungen am Altare, Vorbereitungen für's heil.
Meßopfer u. dgl. zu thun hatten), ein, bis ſie die verſchiede-
nen Stufen des Klerikats durchgemacht hatten und in das Hei-
ligthum des Presbyterats ſelbſt aufgenommen wurden.
Wir bemerken hier gleich, daß ſpäter bei den kirchlichen
Singchören auch eine Rangordnung unter den Sängern einge-
führt wurde. Nach dem Primicerius (quasi primus in cera,
d. h. der Erſte an der Wachstafel; in alten Zeiten ſchrieb man
auf Tafeln, welche mit Wachs überzogen waren), der bald
prior scholae, bald Archicantor u. dgl. benannt wird, kam
der Secundicerius - der ſpätere Succentor. Nach Onuph-
rius) waren in der schola cantorum nach dem Primicerius
die vier Archicantoren, primus, secundus, tertius und quar-
tus. scholae genannt; die erſten drei führten auch den Namen
paraphonistae, der vierte hieß archiparaphonista oder ſchlecht-
weg quartus scholae, und verſah bei minder feierlichen Got-
tesdienſten die Stelle des Primicerius. Der Chor beſtand ent-
weder aus erwachſenen Sängern, deren Anzahl nach Gelegenheit
und Bedürfniß durch Singknaben verſtärkt wurde, oder blos aus
Singknaben mit dem Cantor oder Magister scholae an der
Spitze. Baronius merkt in ſeinen Annalen zum Jahr 1075
an, daß der röm. Sängerchor damals aus 7 Subdiakonen beſtanden
habe,i. J. 1232 zählte er 11 Cantoren nebſt dem Primicerius.
Nachdem einmal in Rom eine feſte Ordnung des Kirchen-
geſanges hergeſtellt war, breitete ſich dieſer Geſang, welcher noch
heutzutage nach ſeinem Begründer ,,der gregorianiſche Ge-
ſang oder Choral benannt wird, weiter aus, und damit mehr-
ten ſich auch die Geſangſchulen, welche vielmehr zur Einführung
und Erhaltung dieſes Geſanges als nothwendig erachtet wurden.
Man darf jedoch nicht glauben, daß vor Gregor oder außer
Rom kein geregelter und ordentlicher Kirchengeſang ſich gefun-
den habe. Nichts zu ſagen von der orientaliſchen Kirche, (deren
Geſangeinrichtungen wir nicht zu beſprechen im Sinne haben),
beſaß die Kirche von Mailand durch ihren heil. Oberhirten Am-
broſius einen eigenthümlichen Kirchen-Geſang, der ſich nicht
blos auf Pſalmenmelodieen beſchränkte, ſondern auch Hymnen
und andere Geſänge in ſich faßte. Ambroſius ſtellte ein eige-
nes Tonſyſtem auf mit vier Tonarten, auf dem Gregor d. Gr.
fortbaute, indem er noch vier Untertonarten oder Tonreihen
hinzufügte die plagaliſchen Tonarten — und ſo ihre Zahl
auf acht erhöhte. Sein Geſang, der ambroſianiſche genannt,
wird, obwohl in ſchlichter Einfachheit kräftig und wohltönend,
doch als hinter den gregorianiſchen Melodieen betreffs der An-
muth zurückſtehend bezeichnet. Er fand eine große Verbreitung
ſowohl in Jtalien als in Spanien und Gallien; in den beiden
letzten Ländern, wo ſich als beſondere Beförderer des Kirchen-
Geſanges die hh. Hilarius von Poitiers († 369) und Gregor
von Tours ( 560), Jſidor von Sevilla ( 636) und Jlde-
phons von Toledo († 667) hervorthaten, mußte er ſich einige
Aenderungen gefallen laſſen, (gallicaniſche Singweiſe)
Gregor hatte ſeine Einrichtungen zunächſt nur für die rö-
miſche Kirche gemacht, ohne ſie denjenigen Kirchen, welche bis-
(Schluß folgt)
JJ. Miscellen
1. Reſtauration der Frauenkirche zu Eßlingen
Die Reſtauration der hier erwähnten ſchönen Kirche iſt im
Herbſt des verfloſſenen Jahres durch die rühmliche Opfer-
willigkeit der Stadt, unter Leitung des Oberbaurathes Egle
von Stuttgart, in ſo einheitlicher und vorzüglicher Weiſe
vollendet worden, daß dieſelbe zu den gelungenſten Wiederher-
ſtellungen gerechnet werden muß. Die Arbeit war nicht gering;
denn nicht blos war das ganze Jnnere in üblem Zuſtande und
verlangte eine würdige ſtylgemäße Umgeſtaltung; ſondern die
Struktur des Baues ſelbſt hatte, namentlich an der Nordſeite,
erheblich gelitten und bedurfte gründlicher Ausbeſſerung. Bei
einem Beſuche, den ich im vergangenen Herbſt dieſer architek-
toniſchen Perle des Schwabenlandes machte, wurde ich durch
den glücklichen Erfolg des eben vollendeten Unternehmens aufs
erfrenlichſte berührt: die Schäden der Conſtruction waren aus-
gebeſſert, die willkürlichen Zuſätze und Entſtellungen ſpäterer
Zeit beſeitigt, der Platz an der Weſtſeite hatte eine Erweite-
rung und Verſchönerung erfahren, ſo daß auch die unmittelbare
Umgebung der anmuthigen Kirche eine würdigere geworden
war. Am meiſten iſt aber für das Jnnere geſchehen. Eine
neue, aus Stein errichtete Empore erhebt ſich an der Weſtſeite
und trägt die neue Orgel mit ihrem trefflich in Holz geſchnitz-
* Gerbert, J. c. p. 306.
*) Regula S. Benedicti, c. 59.