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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 3.1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.6485#0033
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Chriſtliche

Kunſtblätter

Organ des chriſtlichen Knnſtvereins der Erzdiöceſe reiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 2.

Domine dilexi decorem domus tuae. Ps. 25, 8.

Auguſt 186i.

I. Die kirchlichen Singſchulen.

(Aus der ,,Cäcilia, Organ füͤr katholiſche Kirchenmuſik. '')
(Fortſetzung.)

Um die Stimme zu verſchönern und ihren Klang rein und
klar zu machen, nahm man ſelbſt mediziniſche Mittel zu Hilfe;
Donius Joh. Bapt. führt in ſeinem Werke De praestantia
musicae veteris die ärztlichen Vorſchriften bezüglich der Diät
und der Medikamente an, wie ſie in alten Zeiten bei Sängern
in Gebrauch waren. Kirchliche Sänger jedoch, welche nicht der
Eitelkeit wegen ſangen, benutzten Medikamente nur bei krank-
haften Zuſtäuden der Stimmorgane, außerdem galt als das
beſte Präſervativmittel eine ſtrenge Diät. Jſidor von Sevilla
berichtet von den Sängern früherer Jahrhunderte, daß ſie,
wenn ſie zu ſingen hatten, am vorhergehenden Tage ſich jeder
Speiſe enthielten, um die Stimme zu klären, mit Ausnahme
der Gemüſe und Hülſenfrüchte, welche ſie in reichlicher Menge
(assidue) genoſſen, weßhalb ſie von den Heiden ſpöttiſch fa-
barii (Bohneneſſer) genaunt wurden. Rhabanus Maurus
ſagt von den Kirchenſängern ſeiner Zeit das Nämliche, und
Gerſon ſchreibt für die Singknaben zu Notre-Dame vor:
Man halte ſie zurück vor zu reichlichem Genuß von Speiſen,
ſowohl Morgens, als bei den andern Tiſchzeiten, damit ihre
Stimmen keinen Schaden leiden.)
Derlei Schulen—), worin die jungen Sänger im kirchlichen
Geiſte gebildet und erzogen wurden, bildeten die Schutzwehr
gegen das profane Muſikweſen, das ſich hin und wieder in die
Kirche einſchlich, und gegen den verweltlichten Sinn und das
geradezu unſittliche Leben, dem ſich Laienſänger nur zu oft
hingaben.) Die weltliche Muſik ſchritt unaufhaltſam, von
keinen Feſſeln gebunden, in der Entwicklung fort, mußte aber
natürlich viele Jrrwege paſſiren und viel Ungehöriges zu Tage

fördern, was gleichwohl ſeine Gönner und Beförderer in der
Kirche fand und der edlen, altehrwürdigen Kirchenmuſik Gefahr
bringen konnte. Daß dieſe Gefahr nicht gering war, zeigt ein
Schreiben des Papſtes Johann XXJJ., aus Avignon 1322
erlaſſen, worin er über eine neue Schule klagt, welche im Ge-
ſang Zeitmaß beobachte, neue Noten einzumiſchen verſtehe,
lieber ihre eigenen Einfälle als alte Melodieen ſinge, semi-
breves und minimæ gebrauche, im Discantus ausſchweife,
mit triplis und gemeinen Motetten bisweilen ſo verſchwende-
riſch ſei, daß ſie ſogar die Grundlage der Geſänge nicht achte,
welche die Tonarten nicht kenne, ſtets Läufe und nicht ausge-
haltene Töne hervorbringe, u. dgl. Dieſe Gefahr ward eben durch
die kirchlichen Singſchulen ſo ziemlich beſeitigt, welche ſich an
die Verordnungen der Kirche ſtrenge auſchloſſen und den gregor.
Choral fleißig pflegten. Gleichwohl blieb die figurirte Muſik,
wie wir ſchon oben geſehen haben, uicht unbekannt; man hielt
ſich in fortwährender Kenntniß der Fortſchritte der Tonkunſt,
aber vermied es, von ihnen in der Kirche Gebrauch zu machen,
bis ſich etwas der Kirche Würdiges herausgebildet hatte, die
Errungenſchaften dem kirchlichen Sinne entſprechend ſich zeigten
und dem hohen Zwecke der Kirchenmuſik dienſtbar gemacht wer-
den konnten. Darum drückt ſich P. Johann XXJJ. im nämli-
chen Schreiben, gegen den Schluß, alſo aus: ,,Dabei iſt es
aber nicht unſere Meinung und Abſicht, daß manchmal, beſon-
ders an Feſttagen, bei der hl. Meſſe und im Officinm, einige
Conſonanzen, welche zur Melodie ſtimmen, als Oktave, Quint,
Quart u. dgl. über dem einfachen Kirchengeſange in Auwendung
kommen; nur muß der cantus firmus ſelbſt unangetaſtet bleiben.
Solche Conſonanzen thuen dem Ohre wohl, wecken andächtige
Stimmung und verhüten die Abſpannung der Gemüther.''
Die Kirche iſt nie eine Feindin der wahren Kunſt und der
wahren Fortſchritte derſelben geweſen; nur darf man von ihr
nicht erwarten, daß ſie jedem vermeintlichen und noch unerprob-
ten Fortſchritt Beifall klatſche; die Kunſt iſt ihr nur Dienerin
und Mittel zu hohem Zwecke, und ſie wartet darum immer zu,
die Fortſchritte der Kunſt in ihre Dienſte zu nehmen, bis ſie
dieſe als tauglich, zweckentſprechend und ihrer Heiligkeit würdig
erkannt hat. Das lehrt die kirchliche Mufikgeſchichte auf allen
Blättern.

1) Gerb. de cantu JJ. 75.
) Pfarrſchulen hatten ſich im 14. Jahrhunderte ſchon ſehr vermehrt
und es traten ihnen in Frankreich wenigſtens um dieſe Zeit die ſogenann-
ten Pädagogten (Penſionen) zur Seite als ergänzendes Glied zwiſchen
ihnen und der Univerſität.
3) Die Muſiker ergaben ſich häufig einem ſo züͤgelloſen Lebenswandel,
daß man im 15. Jahrhundert mit musice vivere einen lockeren, aus-
ſchweifenden Lebenswandel kurz zu bezeichenen pflegte.
 
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