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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 9.1870

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https://doi.org/10.11588/diglit.7146#0012
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— 102 —

Beide Flügel können geſchloſſen werden, denn es paſſen
die Figuren derſelben genau in die Vertiefungen des Hauptbildes.
Sie waren aber dazu wohl bloß beim Transporte, nie aber
in der Kirche ſelbſt beſtimmt, da die Rückſeite derſelben aus
rohen Brettern und nicht, wie es bei dergleichen Altarflügeln
häufig der Fall iſt, aus einem Gemälde beſteht. Deßwegen
mögen die zwei großen Wandleuchter von gelbem Blech, die
ſich an den Scharnieren der Flügel befinden, ziemlich bald
angebracht worden ſein, ſo wie die Wappen Oeſterreichs und
Breiſach's.
Die Figurengruppe unter dem Hauptbilde, und gerade
hinter der Altarplatte, gleichſam wie in einem Gewölbe, bilden
die vier Evangeliſten, in der gewöhnlichen Reihe von der
Epiſtelſeite gegen die Evangelienſeite auf einander folgend, und
an ihren hergebrachten Attributen kennbar. Sie ſitzen, wohl
nach einer ſehr ſinnigen Jdee, voll Begeiſterung am Altare,
und ſind eben im Begriffe ihr Evangelium zu ſchreiben. Jeder
hat zu dem Ende in der Einen ſein Rohr und in der Andern
ſeinen Dintenbehälter. Der Ausdruck dieſer Figuren läßt an
Kraft nichts zu wünſchen übrig, beſonders iſt die Muskulatur
daran vortrefflich. Nur das Geſicht des jugendlichen Johannes
iſt minder gut gelungen. Schade, daß dieſe ſchöne Gruppe
durch das erſt ſpäter am Altar angebrachte, obgleich geſchmack-
voll gearbeitete, Tabernakel zum Theil verdeckt wird!'' —
(Schluß folgt.)

Die Baſilike des Reparatus

Händen. Unſer Meiſter aber ſtellte ſie, wie es die Verſchieden-
heit ſeiner Kunſt wohl nöthig machte, weil die Figur der
Maria beim Knieen ſonſt zu weit vorwärts gekommen wäre,
auf einem zwar erhöhten, aber ihres faltenreichen Gewands
wegen nicht ſichtbaren Throne ſitzend dar, und die kreuzweis
über der Bruſt liegenden Hände und der überaus anſpruchloſe
Blick der Verherrlichten drücken hier aus, was dort der Maler
auf andere Weiſe andeutet. Die Kronen, ſowohl der Krönen-
den als der Gekrönten, ſind, der Bauart des Tempels und
dem Style des Altars mehr entſprechend, thurmartig, aber
keine Tiaren, wie man ſie bei Darſtellung ähnlicher Gegen-
ſtände auf ältern Holzſchnitten ) wohl bisweilen findet.
Auch iſt unſer Künſtler in Hinſicht der Attribute der gött-
lichen Perſonen dem hergebrachten Typus getreuer geblieben. Beide
krönenden Perſonen tragen in der andern Hand einen Scepter;
die Weltkugel ruht aber auf dem Knie des Vaters?), nur durch
die leiſe Berührung der äußerſten Fingerſpitzen der Linken hal-
tend. Welch treffliche Andeutung der Allmacht! Wie ſehr
erinnernd an jene homeriſche Darſtellung des Vaters der
Götter und Menſchen.) — Wie bei Grün umſchweben auch auf
unſerm Bilde zahlloſe Engel in den verſchiedenſten Attituden
die Hauptfiguren, einige mehr im Vordergrund in ganzer
Figur, andere im Hintergrunde, nur als Köpfchen aus einzelnen
Wölkchen heraus der Verherrlichung der Himmelskönigin zu-
ſehend, und ſie mitfeiernd. Die in ganzer Figur tragen den
Saum der Gewänder, oder thun ihren Jubel über das glor-
reiche Ereigniß durch das Spiel der Trompeten, oder durch
den Geſang von Pſalmen aus aufgeſchlagenen Pſalterien kund.
Auf einem der letzten ſteht die Jahreszahl 1526, wahrſchein-
lich das Jahr der Vollendung des Altars. Ein anderer Engel
hält unterm Fuße zwiſchen Chriſtus und Maria ein Täfelchen
mit dem Monogramme des Meiſters H. L.
Am oberen Theile dieſes Hauptbildes, im Vordergrunde
zieht ſich ein, faſt zwei Fuß breites, dichtes und ſehr ſchön
gearbeitetes, Gewinde von Laubwerk hin.
Dieſes ganze Hauptbild iſt mit ſehr großer Richtigkeit der
Zeichnung und mit ſehr viel Kunſt und Fleiß bearbeitet. Zumal
das Antlitz der Figuren, und beſonders das Marien's, ſo wie
alle übrigen unbekleideten Theile, ſind mit ſo viel Zartheit und
Lieblichkeit behandelt, wie wenn ſie aus Wachs boſſirt wären.
Sehr ſchön ſind vorzüglich auch die Locken der Jungfrau, der
lange majeſtätiſche Bart des Vaters und der kürzere Chriſti,
und der Faltenwurf der Gewänder.
Von den beiden Flügel-Käſten enthält der Linke die
ebenfalls noch etwas koloſſalen Bildniſſe der Stadtpatrone
Breiſach's, der heiligen Brüder und Märtyrer Gervaſius und
Protaus mit ihren gewöhnlichen Attributen, dem Schwert
und der Geißel. Beide tragen Mäntel und Hüte, wie wir ſie
bei Rittern zu Anfang des 16ten Jahrhunderts ſehen. Auf
dem rechten Flügel befinden ſich der hl. Stephanus, Patron
der Münſterkirche und der heilige Laurentius, beide in römiſcher
Toga und mit ihren bekannten Emblemen. Alle vier tragen
Scheine, auf denen ihr Name ſteht. Auch dieſe beiden Flügel
haben oben das gleiche Laubwerk, wie das Hauptbild, ihre
Figuren ſind aber nicht ſo ganz richtig gezeichnet.

(Schluß.)
Es dürfte vermuthet werden, die chriſtliche Kunſt habe es
nicht verſchmäht, den heidniſchen Mythus und die häufig vor-
kommenden künſtleriſchen Behandlungen desſelben, ) mittelſt einer
geiſtigen Umbildung für ihre Zwecke zu verwenden, wie nament-
lich in Betreff der Orpheusſage und deren Darſtellungen ein
ſolches Verfahren ſtattgefunden hat. Und, könnte man hinzu-
fügen, dies war um ſo leichter möglich, da ſchon im Alter-
thum ein ſinnbildlicher Gedanke an das Labyrinth geknüpft
wurde, da man in dem attiſchen Mythus von Dädalus und
Minos die Lehre von der Rückkehr der in dem irdiſchen Dunkel
gebannten Seelen zu ihrer Lichtheimath niedergelegt vorausſetzte.
Daß mit einer ſolchen bewußten Abſichtlichkeit Virgil dieſen
Stoff für die Ausſchmückung des Apolliniſchen Tempels zu Cumä—)
benutzte, darf ohne Bedenken zugegeben werden. Allein daß
die chriſtliche Kunſt Gebrauch von dem philoſophiſch aufgefaß-
ten Mythus gemacht habe, glaube ich mit aller Entſchieden-
heit verneinen zu dürfen. Die chriſtliche Kunſt beſchränkt
ſich, faſt ohne Ausnahme, auf die Darſtellung der Jrrgänge
in dem von Dädalus erſonnenen Bauwerke. Bei den alten
Kunſtwerken iſt das Local des Mythus nur als der Rahmen,
der Kampf des Theſeus mit dem Minotaur als der Haupt-
gegenſtand behandelt. Nur ein einziges Werk des Mittelalters,
ein Moſaikbild in der Kirche St. Michael zu Pavia, welche
gegen das Ende des XJ. Jhs. gegründet wurde, zeigt uns,
innerhalb eines Labyrinthes, die Großthat des Theſeus. Aber

der Hintergrund bildet ein Wolkenmeer, aus dem einzelne lichte Strei-
fen wie Eilande hervortreten, die bei näherer Betrachtung wieder
nichts ſind, als mehr und mehr in der Ferne verſchwindende Engels-
aeſtalten''.
So erſcheint z. B. auf einem Dürer'ſchen Kupferſtiche Gott Va-
ter mit der päpſtlichen Tiare. Siehe Heineken's neue Nachrichten von
Künſtlern und Kunſtſachen. Dresden und Leipzig, 1786. 8. I. Theil,
S. 177.
2 Doch ſieht man öfters den Heiland mit der Weltkugel in der
Linken und den Segen ertheilend mit der Rechten. Siehe ebendaſelbſt
S. 326 ff.
aa I. 528 segg.

) M. ſ. Preller. Griechiſche Mythologie. Bd. J. S. 85. Piper,
Mthologie und Symbolik der chriſtlichen Kunſt. Bd. J. Abth. 1. S.
136 ff.
à Beſondere Beachtung in Betreff der ſymboliſchen Darſtellung
verdient das Moſaikbild, das in einem afrikaniſchen Hypogäum, in wel-
chem ſich ſieben Grabſtätten befanden, endeckt wurde. Ein Labyrinth
war dargeſtellt und ein demſelben zuſteuernder Nachen mit ſieben
Reiſenden. (A. Berbrugger, Musés 'Alger. Alger. 1860.) Ferner
das Labyrinth, welches ein Römer bei ſeinem Grabmale herſtellen ließ.
(VeIoer, Syllog. epigr. graso. p. XVJ. — Corp. Inser. graec. ne. 5922.
T. IJJ. p. 788.)
2) Eine Abbildung dieſes Moſaiks gibt Giampini Vet. Monim.
P. II. p. 4. Tab. II. Zur Zeit Ciampini's ſah man ein ſolches Moſaik-
bild ebenfalls in der Kirche St. Maria in Traſtevere.
 
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