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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 9.1870

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https://doi.org/10.11588/diglit.7146#0035
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Chriſtliche

Kunſtblätter

Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 105 u. 106.

Domine dilexi decorem domus tuae. Ps. 25, 8.

1870.

Studien über Kreuz und Crucifix
(Fortſetzung und Schluß.)

Chriſti das eines Menſchen ans Kreuz heften, ſo daß gleichſam
der Antichriſt auf dem Kreuze Chriſti zu ſitzen ſcheine, um ſich
als Gott verehren zu laſſen.'' Es gewährt uns dieſe Aeuße-
rung einen tiefen Einblick, wie fremd dieſe Darſtellung dem
Abendlande war, und wie ſehr ſie perhorrescirt wurde.Cru-
cifixe aus dem 11.—12. Jahrhundert, an welchen auf der einen
Seite Chriſtus lebend am Kreuze erſcheint, während auf der
Rückſeite der Auferſtandene im Regenbogen thront, ſind vielleicht
durch die Oppoſition gegen die griechiſche Weiſe veranlaßt wor-
den. Da indeß die Freiwilligkeit und Bereitwilligkeit des Lei-
dens, ſowie die Größe der Erniedrigung und Schmach Momente
ſind, die hauptſächlich beim Opfertode Chriſti hervortreten und
die darum auf die Dauer unmöglich zurückgedrängt werden
konnten, ſo mußten auch ſie in den Crucifixbildern ſich geltend
machen und Ausdruck verſchaffen. Deßwegen fand die griechiſche
Geſchichte und Anatomie beruckſichtigende Darſtellung doch auch
im Abendland allmälig weitere Verbreitung. Hiezu kam noch
die Ueberſiedelung griechiſcher Künſtler in das Abendland, deren
Einfluß ſich überhaupt längere Zeit bemerkbar macht und bis
Köln hinab verfolgen läßt. Beſonders gilt dies von Jtalien,
deßwegen treffen wir hier ſolche Kreuzbilder im 12.—13. Jahr-
hundert immer häufiger. Von hier verbreiteten ſie ſich weiter
und auch bald nach Deutſchland, wo wir ſie nachweislich ſchon
im Anfang des letztgenannten Zeitabſchnittes treffen. Wie ſchwer
man ſich übrigens im Abendlande von der Vorſtellung Chriſti
als Herrſcher und König loszuſchälen vermochte, und wie ſehr
ſich den bekleideten Bildern zu Grunde liegenden Gedanken
immer noch Geltung ſuchend hervordrängten, tritt in verſchie-
denen Erſcheinungen bis zur vollſtändigen Vermiſchung zu Tage.
So finden wir Chriſtus nicht bloß eigentlich mehr ſtehend als
hängend, und lebend ohne allen Ausdruck des Schmerzes,
ſondern auch, obwohl nackt ans Kreuz geheftet, doch mit der
Königskrone auf dem Haupt, ſo an der Johanniskirche in Gmünd
aus dem 12. Jahrhundert.
Auch das Crucifix in der Schatzkammer des Domes zu
Minden, etwa aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts, dem
Dr. Kayſer ſeine Abhandlung widmet, iſt mit andern ein Bei-
ſpiel, wie der Heiland in ſeiner Erniedrigung und Entblößung
doch als Lebensſpender, König und Herrſcher auftritt. ,,Chriſtus,

Jn der geſchilderten Art von Crucifixen iſt alſo der Herr
nicht als geſtorben, ſondern als lebend aufgefaßt. Der Aus-
druck des Todesſchmerzes und Kampfes, ſowie überhanpt jeder
ſchmerzliche Zug iſt ferngehalten, es ſpricht ſich vielmehr in
der ſtehenden Haltung, in den von Schmerz freien Geſichts-
zgen, in den geöffneten Augen ruhige Würde und Majeſtät
aus. Es liegt gewiß ein eigenthümlicher Gegenſatz in dieſen
Bildern, wenn Chriſtus als angenagelt, und doch zugleich als
herrſchend erhöht iſt. Es dürfte die Annahme ſchwerlich ge-
fehlt ſein, daß dieſe Auffaſſung Chriſti des Gekreuzigten als
Sieger, König und Hoheprieſter ihre eigentliche tiefere Begrün-
dung in dem endlichen Siege des Chriſtenthums habe. Jm
Bewußtſein dieſes Sieges konnte ſich aber auch die andere
Richtung geltend machen, der Gekreuzigte war nicht mehr der
verachtete Nazarener. Die Kunſt durfte ſich daher unbekleidete
Darſtellungen erlauben, die zuerſt von den Griechen ausgingen.
Die Frage, ob Chriſtus ganz entblößt, oder wenigſtens mit
einem Lendentuch verhüllt, aus Kreuz genagelt worden, wird
keine unanfechtbare Löſung finden können; es wird ſich immer
nur um größere oder kleinere Wahrſcheinlichkeit handeln. Die
hl. Väter, wie die Exegeten, ſind bekanntlich in ihren Anſichten
über dieſen Punkt getheilt. Das weit Wahrſcheinlichere iſt uns
aus verſchiedenen Gründen die Verhüllung. Die chriſtlichen
Künſtler und Bildner haben ſich in ihren Darſtellungen faſt
ausſchließlich von dieſer Annahie leiten laſſen. — Äuch die
griechiſche Kunſtübung führt uns den Herrn, obwohl ans Kreuz
genagelt, in früherer Zeit doch noch lebend vor. Erſt etwa
vom 10. Jahrhundert an gaben ihm die Griechen das Aus-
ſehen eines Sterbenden oder bereits Geſtorbenen und durch
Schmerz, Wunden und Tod Entſtellten. Dieſe nene Richtung
blieb vom Abendlande aus nicht ohne heftige Anfechtung, wie
wir dies beſonders aus den Streitigkeiten zwiſchen der griechi-
ſchen und lateiniſchen Kirche um die Mitte des 11. Jahrhun-
deris, zur Zeit des Michael Cärularins abnehmen können.
Kardinal Humbert unter Leo JX. (10491054) wirft den
Griechen in einer Streitſchrift vor ,,daß ſie ſtatt des Bildes
 
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