Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 9.1870

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7146#0019
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Chriſtliche

Kunſtblätter

Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 101.

Domine diloxi decorem domus tuae. Ps. 25, 8.

Mai 1870.

an und verläugnen ſie wieder faſt zu gleicher Zeit. Mit dem-
ſelben Eifer, womit ein deutſcher, franzöſiſcher oder engliſcher
Forſcher die bzantiſche Frage unterſucht, kann ein Anderer,
der an dem Ufer des Bosporus ſeinen Standpunkt nimmt, die
,,fränkiſche'' Frage zum Gegenſtande ſeiner Unterſuchung machen,
Das vorliegende Problem wird den Einen wie den Andern, der
es genaner verfolgt, auf die belehrendſten Reſultate führen.
Die Zeit, in der, während des Mittelalters, der Austauſch
von Jdeen und künſtleriſchen Formgebungen ein überaus leb-
hafter war, fällt in die Mitte des XJJ. Jahrh's, in die Zeit
des unglücklichen zweiten Kreuzzuges.
Viele bekannte Thatſachen übergehend oder einer ſpätern
Beſprechung vorbehaltend, will ich einige audere, welche Zeug-
niß für die Bedeutung des damaligen Gedankenverkehrs liefern,
hier zuſammenſtellen.
Ganz beſonders ſind dabei die damaligen Familien-Verbin-
dungen deutſcher und byzantiniſcher Fürſtenhäuſer zu beachten,
welche Anlagen größerer Art, Paläſte und Kirchen in's Daſein
riefen und Erzeugniſſe der Klein-Kunſt durch Austauſch der-
ſelben als Geſchenke oder Weihegaben verbreiteten.
Ebenſo wie die Verbindung des ſächſiſchen Kaiſerhauſes in
der zweiten Hälfte des X. Jahrh's mit den Beherrſchern von
Conſtantinopel mancherlei künſtleriſche Einflüſſe mit ſich gebracht
hat, und beſonders für die geiſtige Einwirkung des oſtrömiſchen
Reiches auf Deutſchland von Wichtigkeit geweſen iſt, war auch
das Familienverhältniß, in welches Kaiſer Manuel zu der Sippe
König Konrad JJ. trat.
Bei einem Brande, der im Juli 1864 in den äußerſten nord-
weſtlichen, von armen Judenfamilien bewohnten Häuſergruppen
von Conſtantinopel wüthete, kam ein Prachtgebäude (Tekyr
Serai) zum Vorſchein, deſſen weſtliche Langſeite auf der von
Theodoſius IJ. erbauten Stadtmauer, deſſen öſtliche Seite auf der
ſpäter ansgeführten Mauer beruhte, welche vorſpringend, ſeit
den Tagen des Kaiſers Heraklius, den von der Blachernen-
Kirche eingenommenen Raum in die ſtädtiſche Befeſtigung ein-
ſchloß. ) Das obere Geſchoß desſelben bildet einen einzigen, 74'
langen, 33,' breiten, 20' hohen Saal; ein vorſpringender

Die byzantiniſche Frage.
Q Die Frage, ob und in welchem Umfange von der Kunſt
des oſtrömiſchen Reiches auf die abendländiſche ein Einfluß
ausgeübt worden ſei, hat die gelehrte Forſchung ſeit langer
Zeit beſchäftigt.
Wenn eine durchaus befriedigende Löſung nicht gefunden
wurde, ſo hat dies ſeinen vornehmlichen Grund darin, daß
das vorhandene Material von den gelehrten Kunſtfreunden nur
unvollſtändig überſchaut werden konnte und daß eben dadurch
einzelnen Erſcheinungen, die vorzugsweiſe in's Auge gefaßt
wurden, eine zu ausſchließliche Bedeutung beigelegt wurde.
Bei einer umſichtigen Prüfung der erhaltenen Denkmale wurde
man inne, daß die Beweiſe für eine bewußte, ſelbſtſtändige
Fortbildung der Kunſt im Abendlande ſich häuften, daß aber
andererſeits zahlreiche Anklänge an die Formen und die Technik
des Morgenlandes ſich nicht in Abrede ſtellen ließen. Die
Annahme einer vollſtändigen Abhängigkeit der abendländiſchen
Beſtrebungen, während der frühern Zeit, von Conſtantinopel,
welche ſogar dahin geführt hatte, die unter der Regierung der
ſächſiſchen Kaiſer verfloſſene Periode mit dem Namen der
,byzantiniſchen '' zu bezeichnen, iſt zwar längſt aufgegeben; aber
das ſchnöde Herabſehen auf die Bedeutung der morgenlän-
diſchen Leiſtungen, wie es namentlich von Hrn. Kreuſer und
ſeinen Genoſſen beliebt worden iſt, kann den ernſten Forſcher
nicht irre machen. Göthe hat ein wahres Wort geſprochen:
,Zwiſchen zwei Extremen liegt nicht die Wahrheit, ſondern
das Problem.''
Das Mehr und Minder des fraglichen Einfluſſes iſt ver-
ſchieden nach den Zeitläuften. Abhängig iſt derſelbe von der
Ausdehnung des Verkehrs, der in anderweitigem politiſchen
literariſchen, mereantilen Betracht zwiſchen dem weſtlichen
und dem öſtlichen Europa ſtattfand. Vollſtändig unterbrochen
wurde dieſer Verkehr ebenſowenig, wie die bald engeren, bald
loſeren Beziehungen zwiſchen Europa und Aſien. Die verſchie-
denen Völkerfamilien bleiben in allen Zeitaltern providentiell
auf einander angewieſen; ſie ſuchen ſich und ſtoßen ſich ab; ſie
begegnen einander und erkennen deutlicher das Heterogene ihres
Weſens, das in Sitte und Denkungsart ſich ausprägt; ſie
lernen ihre Leiſtungen und Vorzüge kennen, eignen ſich dieſelben

) Galignai's Messenger. Aug. 1. 1864.
 
Annotationen