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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 15.1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.7193#0014
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— 340 —

ſchneidens'' geboten. Wir bitten die Leſer nochmals um
Entſchuldigung; wir können nicht anders als die Dinge,
ſoweit es überhaupt zuläſſig iſt, mit dürren Worten ſchildern;
wo wir uns mit Andeutungen begnügen müſſen, da möge
ſich der Leſer das Allerſchmutzigſte denken dann wird
er vielleicht der traurigen Wahrheit nahe kommen.
Ein Möbelwagen ſtellte den Karren eines hauſirenden
Heilkünſtlers vor. Zu ihm kam eine ſchwarzgekleidete Dame
— vom Bildhauer Neumann geſpielt welche über Schmer-
zen klagte. Der Arzt gedenkt die Natur der Krankheit
auf einem Wege feſtzuſtellen, der früher ſehr gebräuchlich
war und jetzt noch von den männlichen und weiblichen
Wunderdoktoren auf dem Lande vielfach angewandt wird.
Ein Bierglas vertritt die Stelle eines unnennbaren Geſchirres,
der Arzt beſieht nicht allein das ihm zurückgegebene gefüllte
Glas, ſondern koſtet auch daraus, erklärt ſich dann über
die ,intereſſante'' Natur der Krankheit und proklamirt als
einzig wirkſames Heilmittel jene bekannte kühnſte Operation
der ars obstetricia. Unter dem widerlichſten Gewinſel des
Frauenzimmers wird die Operation vollführt, und es wird
ein Hampelmann zum Vorſchein gebracht; aber die Schmerzen
dauern trotzdem fort, und ſo wiederholen ſich das Gewinſel
und die widerlichen Manipulationen fünf Mal. Das ſollte
vorſtellen, wie die Muſe der Kunſt von den 5 Hauptlaſtern
der Künſtler (Selbſtſucht, Jagen nach einer Profeſſur rc.)
erlöst wird. Bei dieſer Aufführung ſtanden das herbeige-
eilte Publikum aus der Umgegend um den Wagen, darunter
Kinder, junge Mädchen und Burſchen, wenn ſie auch nicht
Alles ſehen konnten, ſo vermochten doch alle den unfläthigen
Dialog ſehr wohl zu hören, und die ergänzenden Bilder
der Phantaſie waren vielleicht noch ſchlimmer, als die rohen
Hantierungen auf der Bühne. Bei Beurtheilung dieſer
Scenen bitten wir beſonders darauf zu achten, daß jene
ekelerregende Scene mit dem Bierglas mit der ,, Jdee' des
Stückes nichts zu thun hat, daß ſie der bloßen Luſt am
Schmutzigen und Viehiſchen, wie ſie ſonſt blos den Gaſſen-
jungen eigen zu ſein pflegt, ihr Daſein verdankt.
Eine fernere Nummer des Feſtprogrammes bildete die
Entdeckung einer eingemauerten Nonne mit zwei Kindern.
Derſelbe Herr Neumann, welcher die Dame im vorigen
Stücke geſpielt, gab ſich auch zu dieſem ungeheuer ,,geiſt-
reichen Scherze her. Wir wurden denſelben im Ver-
gleich zu den andern Piecen — nicht ſehr ſcharf beurtheilen,
wenn nicht die Zuſchauer aus der Umgegend zugegen ge-
weſen wären. Die ganze Gegend weiß, was die Vorfahren
dem Kloſter, welches Licht und Wohlſtand um ſie herum
verbreitete, zu verdanken haben; ſie wiſſen Alle, daß die
Mönche in Chorin ſowohl wie in Lehnin ein wahrhaft
uuſterhaftes, tadelloſes Leben geführt haben, und deßhalb
betrachten ſie mit dankbarer Ehrfurcht die heilige Ruine,
welche in ihrer Mitte ſteht. Den guten Leuten eine falſche
Anſicht vom Kloſter Chorin in den Kopf zu ſetzen und den
erhebenden, veredelnden Eindruck, welchen der Anblick der
Ruine nnd die darin ſich knüpfenden Sagen verbreitet, durch
derartige ungerechtfertigte Schauſtücke zu zerfetzen, halten
wir für ein Verbrechen an dem dort wohnenden Landvolke.
Um die Verhöhnung des Heiligen recht gründlich be-
treiben zu können, hatten die Herren Künſtler ſich einen
Altar in der Kirche aufgebaut. Es war ein mittelalter-
licher Klappenaltar, etwa 30 Fuß hoch. Jm Antipendium
war die Röſtung eines Ketzers dargeſtellt, in der Art, wie
ſonſt das Martyrium des hl. Laurentius ſeinen Ausdruck
findet. Das Hauptbild ſtellte Adam und Eva dar, natürlich
beide nackt. Man verſichert uns, daß Adam in einer Attitude
dargeſtellt geweſen ſein ſoll, welche nur in einer nicht öffent-

lichen Sitzung des Criminalgerichts ſich beſchreiben läßt.
An den beiden Seiten dieſes Mittelbildes fanden ſich zwei
Vorſtandsmitglieder, Steffeck und Teſchendorf, als Heilige
dargeſtellt. Jm Giebel war der Ochſe des hl. Lukas an-
gebracht, und auf dem Giebel ſtand die ,,h. Toppſau''. Wir
ſind in dem Jargon der Schweinehirten zu wenig bewandert,
als daß wir dieſen Namen ſofort verſtanden hätten; auf
Erkundigung erfuhren wir, daß ,,Toppſau'' ein Scheltwort
iſt, das gegen dumme und ſchmutzige Frauenzimmer ange-
wendet wird. Die ,,St. Toppſau'' war ein grobes, robuſtes
Weib, die recht roh dargeſtellte Büſte war nackt, in dem
linken Arm trug ſie ein Ferkel, in der rechten Hand hält
ſie jenes unnennbare Geſchirr. Die Feder ſträubt ſich nieder-
zuſchreiben, weſſen Stelle dieſe gemeine Geſtalt einnahm.
Laſſen wir den ,,Börſ.⸗Cour.' reden, der ſich ſo ausdrückt:
,,Ein Altarbild, für dieſen Feſttag gemalt, ſtellte die Jung-
frau Maria in einer Poſition dar, in der ſie einem Raphael
und einem Murillo wohl nicht eben in ſchwärmeriſch begei-
ſterten Stunden erſchienen ſein mag.'' Das war der Altar,
der an derſelben Stelle aufgeſchlagen ſtand, an welcher einſt
dreihundert Jahre lang die Aebte von Chorin das h. Meß-
opfer dargebracht haben! Vor dem Altare waren einige
Reihen Chorſtühle aufgeſtellt. Ungefähr 16 der ,,Feſtge-
noſſen'' hatten ſich in Mönche verkleidet und zogen, begleitet
von 2 Chorknaben mit rauchenden Weihrauchfäſſern und
zwei Fahnenträgern, in Nachäffung einer Proceſſion in die
Kirche. Die Mönche nahmen in den aufgeſtellten Bänken
Platz. Der Prior (Maler Eſche) ſtellte ſich vor den Altar
und forderte ſie auf, ,,eine Meite zu celebriren''. Einige
wollen ,,Meſſe'' verſtanden haben, aber wahrſcheinlich irrig,
denn in der That hat man es nicht gewagt, die Ceremonien
der Meſſe nachzuahmen. Dagegen leiſtete man das Mög-
lichſte in verhöhnendem Chorgeſang und in andächtigen
Grimaſſen. Als Hauptgrimaſſenſchneider wird uns Herr
Dr. J. . . gerühmt, der zwar kein Mitglied, aber doch
der Hofnarr des Vereins zu ſein ſcheint; er vertheilte ſpäter
einen , Ablaßzettel'' der keiner beſonderen Beachtung werth iſt.
Den letzten Act des ſcandalöſen Unfugs bildete nach
Eintritt der Dunkelheit — die Vorführung von Nebelbildern.
Zunächſt wurden landſchaftliche Bilder vorgeführt, dann
kamen aber Nacktheiten und Obſcönitäten an die Reihe.
Faſt die Hälfte der Zuſchauer, denen dieſe unſittlichen Bilder
vorgeführt wurden, waren Landleute aus der Umgegend,
natürlich vorwiegend Kinder und junge Leute. Das letzte
Bild, welches zur Darſtellung kam, ſtellte ein von einem
jungen Manne belauſchtes Mädchen in einer ſo unzweideu-
tigen Situation dar — daß endlich, endlich in einem der
Anweſenden das ſittliche Gefühl ſich empörte. Der
Maler Brauſewetter trat vor und erklärte, er müſſe als
Mitglied und im Jntereſſe des Vereins Widerſpruch erheben,
daß man ſolche zotige Bilder hier vorführe, wo das ganze
Landvolk der Umgegend verſammelt ſei; der ganze Nach-
mittag ſei ja in einer Art ausgefüllt worden, daß es ſchon
arg wäre, wenn ſo etwas in geſchloſſener Geſellſchaft ge-
ſchehen. Dieſer nur zu berechtigte Ausdruck der Entrüſtung
rief einen ungeheuren Tumult hervor; die Verſammlung
ſpaltete ſich in 2 Parteien. Mancher, deſſen gutmüthige
Schwäche bisher Alles in der Ordnung gefunden, merkte
jetzt erſt, daß Unrechtes geſchehen ſei, und ſo geben Mehrere
dem Herrn Brauſewetter in der Sache recht, während faſt
Alle die Form ſeines Proteſtes, trotz alles Vorangegangenen,
fürzu ſcharf hielten. Die Darſtellung der Nebelbilder
wurde nach dieſem Vorfalle jäh abgebrochen. Obſchon der
Schlußeffect des Feſtes — bengaliſche Beleuchtung des
Chores - ein wahrhaft großartiger war, ſo vermochten ſich
 
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