Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 15.1876

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7193#0015
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 341 —

doch die Gemüther nicht zu beruhigen, und die Geſellſchaft
langte unzufrieden und in ſich zerfallen in Berlin wieder an.
Vielleicht hat mancher unſerer Leſer an der vorſtehenden
Schilderung der in Chorin verübten Rohheiten Anſtoß ge-
nommen; aber man wird uns zugeſtehen müſſen, daß es
durchaus nothwendig war, dieſen ſcandalöſen Unfug an den
Pranger zu ſtellen. Wir glauben damit zugleich einen Bei-
trag zur Löſung der Frage gegeben zu haben: Woher rührt
der jetzige Verfall der Kunſt, beſonders in Berlin? Ver-
muthlich haben ſehr Wenige von unſern Leſern bisher eine
Ahnung davon gehabt, daß die baare, gemeine, ſchmutzige
Rohheit eine ſolche Macht in den Kreiſen hat, die dem
Dienſte der Muſen ſich zu weihen vorgeben; vielleicht wird
man ſich nun nicht ferner darüber wundern, daß die Berliner
Künſtler, die ſolche Sommerfeſte feiern, auf der Kunſtaus-
ſtellung nur mit elenden Machwerken ohne idealen Gehalt
und ohne techniſchen Werth vertreten ſind. Man muß ſich
bei Beurtheilung der geſchilderten Vorgänge immer wieder
vergegenwärtigen, daß es ,,Künſtler'' ſind, die ſich ſo
im Schmutze gewälzt haben; man muß bedenken, daß ſie
nicht in einem geſchloſſenen Ranme, in angeheitertem Zu-
ſtande, ſondern im hellen Lichte des Tages auf einem offenen
Platze ihre Unfläthigkeiten zum Beſten gegeben haben, ohne
Rückſicht auf die umſtehenden jungen Burſche und Mädchen
der Landbevölkerung. Man muß endlich erwägen, daß ſie
einen heiligen und ehrwürdigen Ort in ſo widerlicher Weiſe
entweihten; ſie mögen keine Ehrfurcht vor dem einſtigen
Kloſter der einſtigen Kirche haben — aber wenn ſie Künſt-
ler ſind, ſo ſollten ſie wenigſtens Sinn für die Schönheit
der Ruine haben. Wenn Jünger der Kunſt nichts beſſeres
zu thun wiſſen, als an ſchmutzigen nnd obſcönen Darſtellun-
gen und an fadem Mummenſchanze ein viehiſches Vergnü-
gungen zu finden — dann glüht kein Funke jenes himmliſchen
Feuers in ihnen, das den Künſtler macht! Nennt Euch nicht
Diener des Apoll! Braucht Jhr einen Schutzpatron, ſo nennt
ihn — Eumaios!

wie ſie Kunſt und Wiſſenſchaft in äußeren Zeichen und
Zeugniſſen darzuſtellen vermögen, tröſtend begrüßt. Aus
dem Beſtreben, dieſe Harmonie des Unendlichen mit dem
Endlichen, des Geiſtes mit irdiſchen Formen zu finden, er-
wächſt dem Menſchen alle Wahrheit und erblüht für ihn
alle Schönheit im irdiſchen Leben. So lange Wiſſenſchaft
und Kunſt dieſes Ziel verfolgen, werden ſie auch den Kampf
zwiſchen geiſtigen Kräften und ſinnlichen Trieben im Herzen
beſchwichtigen.
Jn ihrer eigenen Natur dem Zwieſpalte verfallen, be-
darf aber jede menſchliche Kraft in dem Kampfe mit den
irdiſchen Bedingungen des Lebens einer höheren, göttlichen
Hülfe, um nicht in irdiſcher Zerriſſenheit ſich ſelbſt zu ver-
lieren und erfolglos in die dunkle Tiefe erdhafter Ohnmacht
zu verſinken, wie die griechiſche Tragödie uns dieſes jam-
mervolle Loos des menſchlichen Strebens als vergeblichen
Kampf der Freiheit gegen ein finſteres Geſchick vergegen-
wärtigt. Nur die religiöſe Begeiſterung, der Glaube an
eine helfende, göttliche Macht iſt es, was die menſchliche
Kraft über den Zwieſpalt des irdiſchen Kampfes zu erheben
vermag.
Die Kunſt iſt nicht die befreiende Macht des Lebens
im Kampfe gegen die blinde Natur, ſondern nur ein Zeug-
niß derſelben, eine Traube aus dem Lande der Verheißung,
ein Schatten der vorüberwandelnden Wahrheit des Ewigen.
Die Religion muß der Kunſt erſt die Jdeale zeigen, denen
ſie huldigen kann. Erſt muß durch die Religion ein höheres,
jenſeitiges Leben dem Menſchen nahegetreten ſein, ehe er
verſuchen kann, dnrch die Kunſt in Bildern nnd Gleichniſſen
das Jenſeits mit dem Diesſeits zu vermählen, in ſichtbarer
Erſcheinung die Jdee eines unſichtbaren Lebens feſtzuhalten.
Die Religion vermag allein die Schleier einer unſichtbaren
Welt zu heben und dem ſehnſuchtsvoll nach dem Jenſeits
blickenden Geiſte in Augenblicken der Weihe das unverhüllte
Antlitz des Unausſprechlichen zu zeigen, und jene kryſtall-
hellen Seelen, in welche in dieſen Augenblicken der Weihe
ein Abglanz der himmliſchen Erſcheinung gefallen, verzehren
ihr Leben in dem unermüdlichen Streben, die Geſichte ihres
Geiſtes in Farben und Formen, Tönen und Worten feſt-
zu halten und nachzubilden. Die Künſtler ſind es, die den
Funken der Himmelsahnung bewahren ihrer Seele, in denen
der Hauch des Ewigen, der unſichtbar und von Tauſenden
nicht empfunden, über die Erde zieht, ſich verdichtet zu duf-
tenden Blüthen; durch ſie wird die unſichtbare Herrlichkeit
des Geiſtes, der allen Stoff nach ſeinen Bildern formt,
offenbar auf Erden. Jn der Kunſt iſt die leibliche Hülle
zum unmittelbaren Ausdruck eines geiſtigen Lebens und
und Geſetzes geworden, Leib und Seele einen ſich zur un-
zertrennlichen Harmonie in ihr. Die Kunſt iſt der Gruß
und das Echo des Himmels auf Erden. Sobald die Kunſt
dieſes ihres eigenſten Berufes vergißt, ſobald die religiöſe
Begeiſterung weicht von der Menſchheit, verarmen die Geiſter,
die Formen werden inhaltsleer und irdiſch, das belebende
Wort wird zur geiſtloſen Phraſe. Jn der Begeiſterung,
in der lebendigen Durchdrungenheit von einem höheren
idealen und unſterblichen Jnhalt iſt der Menſchengeiſt, von
religiöſer Weihe beſeelt, als ein Prieſter unſterblicher Wahr-
heiten berufen, der wahren Schönheit ein wohlgefälliges
Opfer zu bringen und ihre unſichtbare Gewalt den Menſchen
zu verkünden in ſichtbaren Zeichen. Das allein iſt daher
auch der rechte Sinn der Betrachtung der Kunſtwerke: wenn
uns im Anſchauen der ſichtbaren Geſtalt das Verſtändniß
ihres geiſtigen Jnhaltes aufgeht, wenn wir das unſichtbare,
höhere Leben erfaſſen lernen in der Hülle des ſichtbaren.
Der Geiſt muß zum Geiſte ſprechen, und wie beim Äufgang

Die Kunſt und ihre Bilderſprache
(Bilder des Geiſtes in den Werken der Kunſt.)
Das iſt die Kraft und Schwäche des Menſchen, daß er,
zwiſchen zwei Welten geſtellt, das Unvergängliche nur im
vergänglichen Bilde zu ſchauen, den Geiſt nur in leiblicher
Hülle feſtzuhalten vermag, daß er die Wahrheit und Ewig-
keit ſucht in Allem und doch in keinem Dinge ganz ergreifen
kann, überall im Streit und Widerſpruch des Empfindens,
Denkens und Strebens ſich findet und doch nirgends Ruhe
gewinnen und wahre Freude genießen kann, außer nur wo
beide Welten ſich in Einheit und Harmonie verſöhnen.
Dieſes ſtete Ringen nach Erlöſung aus dieſem Zwieſpalt
iſt ſeine Aufgabe im Leben. Ueberall drängt ihn die innere
geiſtige Lebenskraft, nach Wahrheit zu forſchen und das
Schöne zu ſuchen, um ſo im beſchränkten, irdiſchen Streben
ein Nachbild des ewigen Vorbildes ſeiner geiſtigen Beſtim-
mung zu erringen. Den wahren, bleibenden Frieden wird
er aber vergebens auf der Erde ſuchen, auf welcher ihm
nur hier und da im Bild und Gleichniß ſeine ewige Heimat
zu erkennen und wie durch einen Spiegel das Antlitz der
Ewigkeit zu ſchauen gegönnt iſt. Eben darum erfüllt ihn
der Anblick eines jeden harmoniſch durchgebildeten Werkes
mit innerer Freude, weil er hier im Bilde die Löſung der
Aufgabe ſeines Lebens ſich nahe gerückt ſieht, weil die Hoff-
nung eines ewigen Friedens, ſeiner höchſten Erlöſung und
Befreiung von allen Widerſprüchen des Lebens ihn ſchon
aus dem irdiſchen Nachbilde einer ungeſtörten Harmonie,
 
Annotationen