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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 17.1878

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https://doi.org/10.11588/diglit.7195#0017
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Chriſtliche

Kunſtblätter.

Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 172.

Domine dilexi decorem domus tuae. Ps. 25, 8.

1878.

Venetianiſches Glas und Moſaik.

Die ,,Glaskunſt'', wie man ſie bis zum heutigen Tage
nennt, wurde, den bewährteſten Geſchichtſchreibern zufolge,
von den die erſten Pfähle zu der mehrumſchlungenen Stadt
ſchlagenden und die Grundmauern zu derſelben legenden
Flüchtlingen nach den verlaſſenen Jnſeln gebracht; und wenn
man ſich erinnert, daß die Römer die Erſten waren, die
dieſe Kunſt von den Phöniziern lernten, und daß die Glas-
factoreien Roms bis zum Sturze des Kaiſerreichs es denen
von Syrien und Aegypten zuvorthaten, ſo iſt kein Grund
vorhanden, zu zweifeln, daß die Einwohner der blühendſten
Städte des römiſchen Reiches, als ſie zur Zeit der Einfälle
der Barbaren dieſelben verließen, in ihrer Phantaſie und
ihren Fingerſpitzen dieſe nützliche, blos von der Einbildungs-
kraft, der Geſchicklichkeit und den einfachſten Materialien
abhängige Kunſt mit ſich nahmen.
Die erſte beſtimmte Nachricht indeß rührt aus dem Jahr
1090 her. Von dieſer Zeit an bis 1291 nahmen die Glas-
factoreien und Glasöfen in Venedig ſo raſch zu, daß der
große Rath — ſei es, weil dieſelben die Stadt häufigen
Feuersbrünſten ausſetzten, oder wegen des eigenthümlichen
Farbenglanzes der Atimoſphäre Murano's - alle nach dieſer
Jnſel, die damals als Vorſtadt von Venedig betrachtet wurde,
verlegen ließ. Jn dem Correr'ſchen Muſeum iſt die Marie-
gola dei Fioleri de Muran aufbewahrt, woraus wir erſehen,
welche Geſetze dieſem Künſtlervolk, das den republikaniſchen
Ariſtokraten ſo theuer war, wie ihre eigene Macht, als
Richtſchnur dienten, welche Vorrechte man ihm gewährleiſtete
und welche Strafen man ihm androhte. Es war in vier
Claſſen eingetheilt: 1) die Glasbläſer; 2) die Spiegel- und
Fenſterglasverfertiger; 3) die Perlenmacher; 4) die Arbeiter
in Stäben und Emaillen oder Schmelzgläſern
Schrecklich waren die Strafen, die einen Muraneſen
trafen, welcher einen Andern als einen Eingeborenen der
Jnſel in dieſer Kunſt unterrichtete. Entfloh er mit ſeinem
Geheimniß nach einem fremden Lande, ſo ward er peremp-
toriſch zur Rückkehr aufgefordert; gehorchte er dieſen Auf-
forderungen nicht, ſo wurden ſeine nächſten Verwandten in's
Gefängniß geworfen. Verharrte er dennoch im Ungehorſam
gegen ſeine Pflicht für die Republik, ſo ward ein geheimer

Am äußerſten Ende des St. Marcus-Platzes in Venedig
kann man einen Kaufladen ſehen, der voll iſt von Gegen-
ſtänden, welche ebenſo mannigfaltig und von Form ebenſo
herrlich ſind wie die Wolken über den Lagunen bei Sonnen-
untergang und ebenſo glänzend und zart und harmoniſch
an Farbe, wie die Hälſe und Fittiche der dem St. Marcus-
Platz eigenen Tauben. Wenn du eine beſondere Vorliebe für
alte venetianiſche Gläſer beſitzeſt und in den Sammlungen
von Liebhabern ſowie in Raritäten-Läden in ganz Europa
nach derartigen alterthümlichen Dingen geſucht haſt, ſo wird
hier deine Aufmerkſamkeit ſofort gefeſſelt, und es dringt ſich
dir das Gefühl auf, daß du nicht weiter zu ſuchen brauchſt.
Haſt du dagegen deinen Stolz in den Beſitz der blitzenden,
funkelnden, winkeligen Gaukeleien geſchnittenen Glaſes geſetzt,
ſo wirſt du kaum glauben, daß die vor dir ſtehenden Formen,
gleich den Formen, an die du gewöhnt biſt, aus ganz dem
nämlichen Material beſtehen und daß der Unterſchied einzig
von der größeren oder geringeren Wahrnehmung des Schönen
durch das Auge, ſowie von dem ſchnelleren oder langſameren
Gehorſam der Menſchenhand für die Regel des Schönen
herrührt. Trittſt du dann in den Laden ein, ſo wirſt du
in beiden Fällen überraſcht werden, zu erfahren, daß jene
glühenden, vollkommen reinen, gebogenen Armleuchter mit
ihren Feſtons und Guirlanden, von denen jedes Blatt und
jede Ranke nach der Natur gebildet iſt; daß jene lilien-
förmigen Gefäße und Crocus-Schalen und die wie mit Eis
überzogenen Flaſchen, Opalbecher, Filigran-Caraffen und
ſpiralflammigen Gläſer, jene ſmaragd, violett- oder rubin-
farbigen Kelche, jene Achat- oder Chalcedon-Urnen und ſilber-
flimmernden Spiegel insgeſammt die Handarbeit der
neueren Glasbläſer von Murano ſind, deren Auge für Farbe
und Zartheit der Farbengebung — einſt die verlorenen Ge-
heimniſſe der Vergangenheit beweist daß ſie die wür-
digen Nachkommen der Barovieri und Miotti, der Seguſi,
Barbini und der Legion von Künſtlern ſind, deren Genius
für ſie ſelbſt einen über die ganze Welt verbreiteten Ruhm
und Reichthum und Ehre für die erlauchte Republik gewann.
 
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