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dieses Bild an dem jetzigen Kanzelpfeiler gestanden ist und da man bei solchen
Bestattungen das Standbildnis an die dem Grabe am nächsten stehende Wand
zu lehnen Pflegte, so wird der Erzbischof auch unmittelbar vor diesem Pfeiler,
also auch vor der Kanzel begraben sein. Außerdem zeigt kein einziger Pfeiler
eine bildliche Darstellung, was auch dafür spricht, daß das Bildnis der Maria
mit der alten Kanzel in engerer Beziehung stand, besonders da es in so beträcht-
licher Höhe auf der Seite und nicht in der Mitte des Pfeilers angebracht ist.
Betrachten wir nun unser Kunstwerk näher und verfolgen wir den Gedanken,
der den Künstler bei seinem Werke leitete. Der Predigtstuhl wird, wie so manche
andere Kanzel, von einer beinahe lebensgroßen, männlichen Figur getragen.
Es ist die markige Gestalt des Apostel Paulus, der in der linken Hand ein
Buch, in der Rechten ein gewaltiges Schwert unter sich haltend, mit seiner rechten
Schulter das ganze achteckige Gebäude stützt. Man wählte diese biblische Figur,
da Pauli Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben von dem protestantischen
Domstifte als Grundlehre der evangelischen Kirche angesehen wird. Schwert
und Buch sind die alten Merkzeichen (Attribute) des Apostels, da er zu Rom
mit dem Schwerte enthauptet sein soll, (daß es das Schwert des Wortes Gottes
sein soll, wird aus Römer 8, 35 geschlossen). Die sichtbaren Körperteile und
die Attribute sind sehr sauber und fein ausgeführt, der reiche Faltenwurf ist
sehr flott behandelt. Man glaubt beinahe eine ganz moderne Schöpfung vor
sich zu sehen. Der Kopf mit dem altherkömmlichen Gepräge des Paulus ist
von großer Schönheit, obgleich das Haar, besonders der langherabfließende
Bart etwas zopfig modelliert ist. Unsere kleine Abbildung in Lichtdruck zeigt
den Apostel, wie er den rechten Fuß aufstützend das Schwert in der erhobenen
Rechten, das Buch in der gesenkten Linken hält.
Die Kanzel selbst enthält nur Darstellungen aus dem Neuen Testamente;
die Brüstung des Treppenaufganges ist mit solchen aus dem Alten Testamente
bedeckt. Der sechste Schöpfungstag, der Sündenfall und die Sintflut sind in
Reliefs auf der Hauptfläche der Treppenwand dargestellt. Dazwischen treten die
beiden größten Propheten des alten Bundes: Jesaias mit der Säge, mit der er
zersägt worden sein soll, dann wahrscheinlich Jeremias, und in der Ecke, welche
Kanzel und Treppenwand bilden, Petrus mit dem umgekehrten Kreuze, das er
sich ausgebeten haben soll, sämtlich auf Postamenten heraus.
Menschen und Tiere, umgeben von einer mannigfaltigen Pslanzen-Welt,
von Gott Vater in ihrem noch friedlichen Zusammenleben die ersten Weisungen
erhaltend, führen uns Paradiesesscenen vor. Die Tiere scheinen besonders
dafür ausgewählt zu sein und eine symbolische Deutung auf die christliche Lehre
zuzulassen, welche Vermutung Brandt in seinem „Dom zu Magdeburg" von
1863 aufzustellen versucht. So das Einhorn, das nach überlieferter Erzählung
sich nur von einer reinen Jungfrau einfangen lasse und sonst den Menschen
fliehe, von der christlichen Symbolik auf Christum (Luc. 1, 69) und Maria ge-
deutet. Der Hirsch ist in Psalm 42, 2 mit der nach dem Herrn dürstenden Seele
verglichen. Als Symbol des Lebens sieht man dann das Rind, als das der Unsterb-
lichkeit den Pfau, und als Symbol der Sanftmut unseres Heilandes das Schaf.
 
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