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ein abendländisches sich zn teilen begann.'') Aber nicht bloß die Aufstellung
einer solchen Heiligenfigur unter den biblischen Statuen in einem protestantischen
Dom, sondern auch die Art der Darstellung derselben zieht die Aufmerksamleit
aus sich. Der etwas kleine Kopf und auch die Verhältnisse verschiedener anderer
Körperteile fallen auf im Vergleich zu den übrigen Figuren, die mit genauer
Regelmäßigkeit gebildet sind. Es ist dies Wohl der einzige bedeutendere Fehler,
den man unseren Meister zu zeihen vermag.
Nach der damaligen Sitte, daß alle größeren Kirchen neben ihren Haupt-
schntzheiligen einen sogenannten Mitheiligen (Kompatron) erhielten, wurde neben
Mauritius noch die heilige Katharina ausgestellt. In der letzten Nische finden
wir diese Schutzheilige. Wie die Worte unter Mauritius, so stellen auch die
unter dieser Statue stehenden Worte beide Personen als christliche Vorbilder
hin: „Lsati Llortui (ZU In Domino Llorinntur Z.poo. 14." (Selig
sind die Toten, die in dem Herrn sterben.) Eine Krone ans dem Haupte, das
Zeichen ihrer königlichen Abstammung, mit einem Buch, dem Sinnbild ihrer
gelehrten Bildung, mit einem Schwerte und einem zerbrochenen Rade stellt man
sie dar. Die Legende erzählt von der alexandrinischen Märtyrerin, neben Schön-
heit, Reichtum uud Bildung besaß sie einen festen Glauben au die christliche
Lehre. Deshalb wurde sie zweimal vom Kaiser Maxentius gemartert, doch beide
Mal ohne Erfolg. Zuerst sollte sie mit einem stachlichten Rade zerfleischt werden,
in demselben Augenblick aber wurde dasselbe auf ihr Gebet vom Blitz zertrümmert;
dann wurde sie mit einem Schwerte hingerichtet, Engel aber haben das ab-
getrennte Haupt wieder mit dem Körper verbunden und sie so durch die Lüste
nach dem Katharinenberge im heiligen Lande geführt, woselbst sie begraben wurde.
Betrachten wir nun die unter den vier letzten Figuren angebrachten Relief-
darstellungen. Zwischen sehr niedlichen Engelkaryatiden sehen wir Mariä Ver-
kündigung, Jesu Geburt, den zwölfjährigen Jesus-Knaben im Tempel und die
Taufe Christi verbildlicht. In gleicher Reihe, diesen vorhergehend, dicht am
Pfeiler, sitzt der Ahnherr Christi, der königliche Säuger David mit der Harfe.
Diese füuf kleinen Reliefs bilden den schönsten Teil der Kanzel. Einer groß-
artigen Durchführung hat sich unser Meister bei ihrer Kleinheit befleißigt. Einen
wunderbaren seelischen Ausdruck tragen die einzelnen Figürchen. Einige Köpfe
sind von größter Feinheit bis ins kleinste ausgeführt, am hervorragendsten der
Kopf der Maria auf dem zweiten Bilde.
Bemerkenswert ist noch der an: Predigtstuhl und an der Treppenwand
über dem Ganzen sich hinzieheude Fries, ein wahres Prachtstück angewandter
Zierkunst. Es ist eine leicht sich hinrankende Blätterborte, in die stellenweise
Tiere eiugeflochten sind — ein äußerst duftiges Nenaissaucemotiv. Zum sehr
schmalen Treppenaufgang führt eine Thüre, deren Umrahmung von zwei Re-
naissaneesäulen gebildet wird, die vor den mit Zierwerk geschmückten Thürpfosten
stehen, und eine giebelähnliche Bekrönung tragen. Diese Thüre selbst ist von

*) oder wohl einfacher, mit dem Doppeladler des heiligen römischen Reichs deutscher Nation,
der anch auf der höchsten Spitze des Kanzeldeckels zu sehen ist. D. Red.
 
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