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Übertreibungen fremdländischen, namentlich französischen Wesens oder, lieber ge-
sagt, Unwesens, des einen echten Deutschen anwidernden 8iso1s äs Donis XI V.
Anders verhält es sich in dem in der That herrlichen Neuschwanstein. Dieser
gigantische, Wallhall ähnlich sich in die Wolken erhebende, in die unwegsamste
Bergwilduis hineingestellte, wie für die Ewigkeit gemauert erscheinende Ban ist
aus wahrhaft deutschem Sinn hervorgegangen, in ihm verletzt kein französisches
Liebäugeln und Nachahmen Aug und Gemüt, es ist die deutsche Poesie in ihren
schönsten Blüten, im Helden- und Minnelied, die hier ihre Ausgestaltung in Bild
und Farbe findet. Huldigen letztere in den erstgenannten Schlössern ausschließlich
dem unseligen Ideal eines deutschen Fürsten, dem Verwüster der Pfalz, dem
Zerstörer Altheidelbergs, so haben in Neuschwanstein die besten Münchner Künstler
nur aus der Gndrun-Siegfried-Parsifalsage, ans Walter von der Vogclweide,
Hans Sachs u. a. gemalt. Das gäbe uns schon ein Recht, von jenen Bauten
und dem, was in ihnen zu sehen, im Kunstblatt zu sprechen. Aber von eigentlich
christlichen oder im allgemeinen auch nur religiösen Bildern? Mir steht hier
nicht zu, von des toten Königs Stellung zu seiner Kirche, zum Glauben, auch
nur mit Mutmaßungen zu reden. Auch hier ist, glaube ich bestimmt, viel Falsches
und Ungerechtes von ihm und über ihn gesagt worden. Wenn ich in seinem
prächtigen Schlafzimmer in Neuschwanstein neben dem Ricsenbett, das ein wunder-
bar fein und edel erfundener und gearbeiteter Baldachin in der Form unserer
gotischen Kanzelbedachnngen überwölbt, auf dem Bettschränkchen den kleinen Trag-
altar sah, den der König an jedem Abend entfaltete und vor sich aufstellte, wenn
ich dort ihm zu Haupten das Bildchen der Jungfrau mit dem göttlichen Kinde
fand und dann in den zur Betkapclle gemachten Erker nebenan trat, so mußte
ich doch annchmcn, daß religiöse Pflicht und Übung jenem keine fremde Sache war.
Jener Altar, ein sogenannter russischer, zusammenlegbarer, ist eine der
schönsten byzantinischen Gold- und Emailarbeiten, die mir jemals vorgckommen.
Er besteht aus einem Hauptbild und zwei Flügelbildern. Das erstere zeigt den
Herrn, die letzteren stellen rechts den Täufer, links die Maria dar. Wenn der
König das Bett verließ, schloß er stets das Heiligtum in die es umhüllende
Sammtkapsel wieder ein. Im Bctzimmer, jenem reizenden Erkerbau, erhebt
sich ein dreigliedriger Wandaltar, in der Mitte das Bild des gekrönten
Namenspatrons des Königs, und zu beiden Seiten zwei Bilder aus dessen Leben
enthaltend. Vor ihm steht ein prächtiger, aber, wie alles in diesem Schlosse,
in der Form einfach-edler Betschemel, der die Farbe der Buße, tief violett, jedoch,
dem Reichtum dieser Gemächer gemäß, goldgestickte Auflagen trägt.
Allein mehr als alle diese Dinge, die allerdings zu des verstorbenen Königs
religiöser Richtung in Beziehung stehen, hat uns zu unfern kurzen Bemerkungen
ein Raum in diesem Wunderschloß Neuschwanstein Anlaß gegeben, dem wohl in
keinem der Welt ein ähnlicher zur Seite gestellt werden kann. Das ist der
Thronsaal, der durch die beiden obersten Stockwerke der in fünf Stockwerken zu
schwindelnder Höhe aufstrebenden Burg geht. Nicht seine gleich näher zu schil-
dernde einzigartige Pracht war es, die mich, als ich seine Schwelle überschritt,
mit Staunen fesselte, sondern das, daß ich auf einmal in einen, dem König und
 
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