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wird, sondern man stellt sich ans den Boden der Thatsachen, thatsächlicher Be-
obachtung. Dadurch unterscheidet sich überhaupt die neuere Kunstforschung von
der altern. Diese hatte es mehr mit Ideen zu thun und vernachlässigte das
Zeugnis der Denkmäler, jene arbeitet mit und auf Grund der in Betracht kom-
menden Quellen, d. h. der Kunstwerke. So wenig eine geschichtliche Darstellung
möglich ist ohne genaue Kenntnis der Geschichte und ihrer Vorgänge, so wenig
ist eine Kunstgeschichte möglich ohne genaues Studium der Kunstwerke. Dieser
Satz ist sür uns jetzt ganz selbstverständlich, aber er ist nicht immer als selbst-
verständlich erschienen.
Freilich, wenn man sich früher mit allgemeinen Ansichten über das Wesen
und den Entwickelungsgang der altchristlichen Kunst begnügte, so lag das zum
Teil auch darin, daß man altchristliche Kunstdenkmäler nur in geringer Zahl
hatte; man verfügte nicht über hinreichendes Quellenmaterial. Wie günstig sind
wir aber in dieser Hinsicht gestellt. Die Katakombenforschung hat uns über-
raschende Ergebnisse aufgezeigt. Die altchristlichen Grabstätten, diese reichen
Fundgruben altchristlichen Lebens und altchristlicher Kunst, liegen in großer An-
zahl vor uns aufgeschlossen. In Nom, in Neapel, in Sizilien und sonst blicken
wir unmittelbar auf die Kunsterzeugnisse der ältesten Christengemeinden und
können genau das Werden der altchristlichen Kunst von ihren ersten Anfängen
an verfolgen und brauchen nicht erst ans der Litteratur jener Zeit uns mühsam
ein Bild und noch dazu ein unvollständiges und unklares zusammenzuflicken.
Das ist ein großer Gewinn, und dieser Gewinn wird immer- größer, da die
Ausgrabungsarbeiten an verschiedenen Orten — Rom voran — fortgesetzt wer-
den. In neuester Zeit wird uns von wichtigen Untersuchungen in Nordafrika,
in Algier und Tunis, berichtet. Und um auch einen Punkt im Morgenlande zu
nennen, in Zentralsyrien ist vor unfern Blicken ein „christliches Pompeji" des
vierten und fünften Jahrhunderts aufgestiegen, Städteanlagen, Dorfschaften, Land-
häuser, Grabdenkmale u. s. w. So wird man von vornherein erwarten dürfen,
daß von diesen Ausgrabungen und Entdeckungen der wissenschaftlichen Arbeit ein
großer Gewinn zugeflossen sei. Das ist in der That der Fall. Ich versuche,
im Folgenden die wichtigeren Punkte hervorzuheben.
Jahrhunderte hindurch hat die Fabel vom „Kunsthasse" der alten Christen
bestanden. Aus Grund einiger Stellen der Kirchenschriftsteller, vorzüglich Ter-
tullians und des Clemens von Alexandrien, ist sie entstanden und geglaubt wor-
den, und auch heute noch nicht ganz aus den Kunstgeschichten verschwunden. Man
redete sich ein, daß das älteste Christentum einen der Welt abgewandten, kultur-
feindlichen Charakter getragen habe; die Abneigung des Judentums gegen die
Kunst und das künstlerische Unvermögen der Juden sei auf die ältesten Gemeinden
übergegangen, die wesentlich judenchristlich gewesen seien. Ja, man ging wohl
so weit, zu behaupten, daß in dem Christentum überhaupt ein innerer Gegensatz
gegen die Kunst liege, insofern jenes eine Geringschätzung der Erscheinungswelt
lehre und vor dem Jenseits das Diesseits völlig zurücktreten lasse. Gegen diese
letztere Meinung möge die Bemerkung genügen, daß sie ans falscher Beurteilung
des Christentums beruht. Das Christentum ist nicht Verachtung des Irdischen,
wird, sondern man stellt sich ans den Boden der Thatsachen, thatsächlicher Be-
obachtung. Dadurch unterscheidet sich überhaupt die neuere Kunstforschung von
der altern. Diese hatte es mehr mit Ideen zu thun und vernachlässigte das
Zeugnis der Denkmäler, jene arbeitet mit und auf Grund der in Betracht kom-
menden Quellen, d. h. der Kunstwerke. So wenig eine geschichtliche Darstellung
möglich ist ohne genaue Kenntnis der Geschichte und ihrer Vorgänge, so wenig
ist eine Kunstgeschichte möglich ohne genaues Studium der Kunstwerke. Dieser
Satz ist sür uns jetzt ganz selbstverständlich, aber er ist nicht immer als selbst-
verständlich erschienen.
Freilich, wenn man sich früher mit allgemeinen Ansichten über das Wesen
und den Entwickelungsgang der altchristlichen Kunst begnügte, so lag das zum
Teil auch darin, daß man altchristliche Kunstdenkmäler nur in geringer Zahl
hatte; man verfügte nicht über hinreichendes Quellenmaterial. Wie günstig sind
wir aber in dieser Hinsicht gestellt. Die Katakombenforschung hat uns über-
raschende Ergebnisse aufgezeigt. Die altchristlichen Grabstätten, diese reichen
Fundgruben altchristlichen Lebens und altchristlicher Kunst, liegen in großer An-
zahl vor uns aufgeschlossen. In Nom, in Neapel, in Sizilien und sonst blicken
wir unmittelbar auf die Kunsterzeugnisse der ältesten Christengemeinden und
können genau das Werden der altchristlichen Kunst von ihren ersten Anfängen
an verfolgen und brauchen nicht erst ans der Litteratur jener Zeit uns mühsam
ein Bild und noch dazu ein unvollständiges und unklares zusammenzuflicken.
Das ist ein großer Gewinn, und dieser Gewinn wird immer- größer, da die
Ausgrabungsarbeiten an verschiedenen Orten — Rom voran — fortgesetzt wer-
den. In neuester Zeit wird uns von wichtigen Untersuchungen in Nordafrika,
in Algier und Tunis, berichtet. Und um auch einen Punkt im Morgenlande zu
nennen, in Zentralsyrien ist vor unfern Blicken ein „christliches Pompeji" des
vierten und fünften Jahrhunderts aufgestiegen, Städteanlagen, Dorfschaften, Land-
häuser, Grabdenkmale u. s. w. So wird man von vornherein erwarten dürfen,
daß von diesen Ausgrabungen und Entdeckungen der wissenschaftlichen Arbeit ein
großer Gewinn zugeflossen sei. Das ist in der That der Fall. Ich versuche,
im Folgenden die wichtigeren Punkte hervorzuheben.
Jahrhunderte hindurch hat die Fabel vom „Kunsthasse" der alten Christen
bestanden. Aus Grund einiger Stellen der Kirchenschriftsteller, vorzüglich Ter-
tullians und des Clemens von Alexandrien, ist sie entstanden und geglaubt wor-
den, und auch heute noch nicht ganz aus den Kunstgeschichten verschwunden. Man
redete sich ein, daß das älteste Christentum einen der Welt abgewandten, kultur-
feindlichen Charakter getragen habe; die Abneigung des Judentums gegen die
Kunst und das künstlerische Unvermögen der Juden sei auf die ältesten Gemeinden
übergegangen, die wesentlich judenchristlich gewesen seien. Ja, man ging wohl
so weit, zu behaupten, daß in dem Christentum überhaupt ein innerer Gegensatz
gegen die Kunst liege, insofern jenes eine Geringschätzung der Erscheinungswelt
lehre und vor dem Jenseits das Diesseits völlig zurücktreten lasse. Gegen diese
letztere Meinung möge die Bemerkung genügen, daß sie ans falscher Beurteilung
des Christentums beruht. Das Christentum ist nicht Verachtung des Irdischen,