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erklärt: „Christus steht in der Mitte des Paradieses, d. h. seiner Kirche, als der
ewige Baum des Lebens, dessen Früchte den Starken Nahrung und dessen Blätter
den Schwachen Schatten geben." In den Marien-Psaltern des 13. Jahrhunderts
wird sogar Maria als der Lebensbaum begrüßt, dessen Frucht Christus sei.
Auch die Väter der protestantischen Kirche, Calvin und Luther, haben im
, Lebensbaum des Paradieses ein Vorbild auf Christus gesehen, sofern er das
ewige Wort Gottes ist, und weil sein Evangelium, die Botschaft von der Gnade,
Leben bringt, wie das Gesetz Mosis den Tod.
Wohl ist auch die Bedeutung des deutschen Christbaumes mit seinen Äpfeln
und Lichtern keine andere, als daß er Zeichen und Unterpfand eines neuen Lebens
inmitten der düstern Winterzeit, also eine Darstellung Christi als des Lebens-
baumes ist, dessen brennende Lichter auf Christus als „das Licht der Welt"
Hinweisen. (Die erste geschichtliche Spur der Weihnachtsbaum-Sitte ist im prote-
stantischen Straßburg nachgewiesen.)
Vom zweiten bis zum achtzehnten Jahrhundert geht in verschiedenen Ab-
wandlungen die Sage und Dichtung, Adam habe in tödlicher Leibesschwachheit
seinen Sohn Seth nach dem Lebensbaum im Paradiese gesandt, um von ihm,
der bald als ein Feigenbaum, bald als ein Ölbaum gilt, eine Frucht, oder in
anderer Wendung, das Öl der Barmherzigkeit, womit Gott den Lebensbaum
zum Trost der Sünder gesalbt habe, zu holen. Aber Adam muß sterben, ehe
sein Verlangen gestillt wird. Seth kommt zu spät mit einem Zweige vom Baum,
den Pflanzt er nun auf dem Hügel Golgatha über dem Grabe Adams, und
daraus ist erwachsen der Baum, welcher zum Kreuz Christi gedient hat.
So wurde das Kreuz, an welchem Christus, der eigentliche Baum des
Lebens gehangen ist, der christlichen Phantasie und Andacht zum Lebensbaum
selber, zu dem Holz des Lebens, dessen Blätter nach der Offenbarung des
Johannes dienen zur Gesundheit der Heiden. Als die Kaiserin Helena diesen
Lebensbaum, „das wahre Kreuz Christi", das am Golgathahügel vergraben war,
neben den zwei Schächerkreuzen wieder aufgefunden hatte, wurde es als heiligste,
heilbringendste Reliquie verehrt und begehrt. Schon Makrina, die Schwester
des berühmten griechischen Kirchenlehrers Gregor von Nyssa (in der zweiten Hälfte
des vierten Jahrhunderts) hat auf ihrem Herzen einen mit dem Kreuz bezeich-
nten Ring getragen, in welchem „ein Stückchen von dem Holz des Lebens",
eben dem „wahren Kreuz Christi" eingeschlossen war. Wie in der griechischen,
so gilt in der lateinischen Kirche das Kreuz Christi als heil- und lebenbringender
Baum, als „Arzenei der Christenheit".
Im später» Mittelalter erst hat auch die christliche Kunst sich der Anschauung
zugewendet, daß das Kreuz Christi der Baum des Lebens sei. Bis zum zwölften
Jahrhundert wurde das Kreuz als ein vierseitig behauener Balken mit eben solchem
Querholz gebildet, wozu der erste beste Baumstamm dienen konnte. Von der
Zeit an, in welcher die Dichtungen von der Abstammung des Golgathakreuzes
aus dem Paradiese Eingang gefunden haben, wird das Kreuz gern als ein
natürlicher Baum vorgestellt, vollständig mit Ästen und Zweigen. Diese Gestalt
batte z. B. das Kreuz aus vergoldetem Silber am Grabmal der h. Elisabeth
 
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