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gewandert sein!
Immerhin fehlt es
anch hier nicht an
Farbspuren. Die
flache Nische, an
welche ein hochge-
türmtes Sakra-
mentshäuschen sich
anlehnte, das der
Heiligenrechnnng
zufolge 1515 von
Ivo Strigel gefaßt
wurde, war in
ihren Hohlkehlen
blau und rot bemalt;
und seitwärts da-
von zeigt sich etwa
in Fensterbankhöhe
eine lebensgroße
Männergestalt, in
schwarzgelbem, viel-
leicht pelzverbräm-
tem Talar. Einige
Architekturreste las-
Schmuck in seiner ursprünglichen Pracht und nimmt man dazu eine Anzahl gold-
strotzender Altäre — (noch ist vorhanden der ursprüngliche Vertrag der Kirchenpfleger
mit Ivo Strigel, wonach dieser 1514 einen Marienaltar für zweihundert Gulden
zu fassen, d. h. außer einem Gemälde auf der Außenseite der Flügel fast völlig
zu vergolden hatte) — denkt man sich ferner eine Reihe farbenglühender Fenster,
welche Glanz und Schimmer über die matteren Farbentöne der Temperamalerei
verbreiteten, so mag man einen Begriff davon haben, was eine fromme schwäbische
Bürgerschaft des ausgehenden Mittelalters „Gott und den Heiligen zu Ehren,
den Seelen zum Trost" in ihren Kirchen aufgewendet hat. Soviel erfordert
nun freilich evangelischer Gottesdienst nicht, evangelischer Glaube noch weniger,
ja er ertrüge es nicht einmal. „Die eigentlichen Religionen," sagt Gottfried
Keller einmal in seinen Züricher Novellen, „dulden keine Surrogate; entweder
gehen sie in denselben unter oder sie verzehren sie, wie das Feuer den Staub."
Aber was hier erhalten ist aus der Feuerprobe der Glaubenserneuerung, das
ist gerade dasjenige aus der ganzen mittelalterlichen Kirchenherrlichkeit, was
sie an biblisch-evangelischem Gehalt noch besaß. Und das ist allerdings recht
viel, mehr als man vielleicht erwarten möchte. Um so lieber muß eine
evangelische Gemeinde der Gegenwart durch die Pietät, welche sie diesen kost-
baren Überbleibseln entgegenbringt, darthnn, daß sie, auf die Grundlagen des
Glaubens gesehen, mit der vorreformatorischen Kirche auf einem Boden steht.


sen die Vermutung
zu, daß hier etwa
eine „Anbetung der
Weisen" stand, die
dann dem Sakra-
mentshäuschen wei-
chen mußte. End-
lich zeigt eine weite,
flach überwölbte
Nische in Stuhlhöhe
über dem Erdboden
auf der Rückwand
unter gotischen Bal-
dachinen auf blauem
Hintergrund über
Wolken die Madon-
na mit dem Kinde
zwischen zwei spie-
lenden Engeln: eine
Gruppe von innig
zartem Ausdruck.
Vergegenwärtigt
man sich nun den
ganzen geschilderten
 
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