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Väter. Auf ganz naturgetreu nachgebildeten Knüppeln rnhen die Stufen der sehr
halsbrecherischen Treppe. Ein auf einem Baumstumpf sitzender Bergmann stützt
sie mit seinem Rücken. Ein zweiter sitzt am Fuße der Kanzel, den Rosenkranz
betend. — Alles dies in voller Naturwahrheit, aber auch voll Leben, eine wunder-
bare Dichtung, die sich um die Kanzel dreht, als um den Ort, von welchem das
Heil der neuen Kirche ausgeht. Adam Krasts knieende Gestalten tragen noch
das Sakramentshaus von St. Lorenz zu Nürnberg, die Freiberger Bergleute
tragen auf ihrem Rücken das Rednerpult, von welchem die Erbauung der neuem
Glauben zustrebenden Gemeinde erklingt. In unbefangenem Vertrauen auf die
Schönheit der Naturgebilde schlingen sich die Pflanzen um den hohen, einem
Abendmahlskelche in den Hauptformen sich nähernden Aufbau." So Gurlitt.
Vergleicht man
damit auch nur
unsere Abbil-
dung, so erkennt
man leicht, daß
eine etwas schär-
fere Besichtigung
hier beträchtlich
Anderes zu sehen
giebt. Ich muß
statt „ein wun-
derbares" viel-
mehr sagen: ein
höchst wunder-
liches Gebilde,
das eine ernstere
Empfindung
nicht wie eine
wunderbare
Dichtung, son-
dern wie eine
des eigentlichen
Predigtstuhls,
mit ihrer „hals-
brecherischen",
nur für einen
völlig schwindel-
freien Menschen
ersteigbaren
Treppe, ur-
sprünglich ganz
ohne Geländer,
und mitdem win-
zigen, aber doch
wie ein Damok-
abstoßende Sa-
tyre auf eine
Kanzel anmutet.
Daß diese Kan-
zel mit der Enge
lesschwert über
dem Haupte des
Predigers frei
schwebenden
Schalldeckel so
unpraktisch wie
möglich ist, leuch-
tet jedem einiger-
maßen Sachkun-
digen sofort ein.
Daß sie bei aller
souveränen Be-
herrschung der Technik und bei aller lebensprühenden Naturwahrheit ihres bild-
nerischen Schmuckes doch ein äußerst geschmackloses Ding ist, wird ebenfalls ein
unbefangenes Gemüt leicht herausfühlen. Aber was mehr ist, sie ist ein überaus
ungeistliches Werk. Der Ständer mit seinen, nicht kakteenartig, sondern schilf-
artig in sich zusammensinkenden Phantasie-Blättern, die nur durch die Stricke
künstlich zusammengeschnürt, ausrechterhalten und an dem Treppenständer befestigt
sind und unwillkürlich fragen lassen: was wird denn geschehen, wenn diese Stricke
Väter. Auf ganz naturgetreu nachgebildeten Knüppeln rnhen die Stufen der sehr
halsbrecherischen Treppe. Ein auf einem Baumstumpf sitzender Bergmann stützt
sie mit seinem Rücken. Ein zweiter sitzt am Fuße der Kanzel, den Rosenkranz
betend. — Alles dies in voller Naturwahrheit, aber auch voll Leben, eine wunder-
bare Dichtung, die sich um die Kanzel dreht, als um den Ort, von welchem das
Heil der neuen Kirche ausgeht. Adam Krasts knieende Gestalten tragen noch
das Sakramentshaus von St. Lorenz zu Nürnberg, die Freiberger Bergleute
tragen auf ihrem Rücken das Rednerpult, von welchem die Erbauung der neuem
Glauben zustrebenden Gemeinde erklingt. In unbefangenem Vertrauen auf die
Schönheit der Naturgebilde schlingen sich die Pflanzen um den hohen, einem
Abendmahlskelche in den Hauptformen sich nähernden Aufbau." So Gurlitt.
Vergleicht man
damit auch nur
unsere Abbil-
dung, so erkennt
man leicht, daß
eine etwas schär-
fere Besichtigung
hier beträchtlich
Anderes zu sehen
giebt. Ich muß
statt „ein wun-
derbares" viel-
mehr sagen: ein
höchst wunder-
liches Gebilde,
das eine ernstere
Empfindung
nicht wie eine
wunderbare
Dichtung, son-
dern wie eine
des eigentlichen
Predigtstuhls,
mit ihrer „hals-
brecherischen",
nur für einen
völlig schwindel-
freien Menschen
ersteigbaren
Treppe, ur-
sprünglich ganz
ohne Geländer,
und mitdem win-
zigen, aber doch
wie ein Damok-
abstoßende Sa-
tyre auf eine
Kanzel anmutet.
Daß diese Kan-
zel mit der Enge
lesschwert über
dem Haupte des
Predigers frei
schwebenden
Schalldeckel so
unpraktisch wie
möglich ist, leuch-
tet jedem einiger-
maßen Sachkun-
digen sofort ein.
Daß sie bei aller
souveränen Be-
herrschung der Technik und bei aller lebensprühenden Naturwahrheit ihres bild-
nerischen Schmuckes doch ein äußerst geschmackloses Ding ist, wird ebenfalls ein
unbefangenes Gemüt leicht herausfühlen. Aber was mehr ist, sie ist ein überaus
ungeistliches Werk. Der Ständer mit seinen, nicht kakteenartig, sondern schilf-
artig in sich zusammensinkenden Phantasie-Blättern, die nur durch die Stricke
künstlich zusammengeschnürt, ausrechterhalten und an dem Treppenständer befestigt
sind und unwillkürlich fragen lassen: was wird denn geschehen, wenn diese Stricke