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Wollen Gemeinden, sollen Baumeister
nach dem neuen Dogma den Stil um-
kehren, das Hinterste zum Vordersten
machen — mit Uhland möchten wir sagen:
Sie können's halten nach Belieben; von
einem aber thut mir's leid. Das ist der
allverehrte Meister Otzen. Er hat sein
Mögliches gethan, der theatralischen An-
ordnung der Wiesbadener Kirche Würde
und Schönheit zu verleihen. Die Kirche
aber, welche innen jeden Anklang an die
übliche Anordnung der katholischen Kirche
vermeiden muß — wie steht sie in ihrem
Äußern da? Figur 2 zeigt uns eine
stockkatholische Domgestalt. Urprotestantisch
im Innern, urkatholisch im Äußern —
„das ist der Humor davon." Was jedes
Auge in diesem Bilde für einen echten,
gerechten, reichgegliederten Chor hält,
das ist (Fig. 1) lediglich Umhüllung zweier-
ganz gewöhnlichen Sitzbankreihen. Solche
Scheinarchiteklur durfte wohl Baurat
D. Mothes in Nr. 3 dieses Jahrganges
eine Lüge nennen?
Im vorigen Jahr hat laut der deutschen Banzeitung (1892 Nr. 7) die
reformierte Gemeinde in Osnabrück einen Wettbewerb für Entwürfe zu einer
evangelisch-reformierten Kirche ausgeschrieben. Sie sollte „eine gute Predigtkirche"
sein, in welcher der Prediger von allen Plätzen aus gut gesehen und gehört wer-
den könne. Die Architekten wurden streng auf die Entwicklung der Formen aus
dem liturgischen Bedürfnis heraus hingewiesen; das Hauptgewicht beim Gottes-
dienst liege nach der Auffassung des Protestantismus in der Erklärung des Wor-
tes. Der reformierte Gottesdienst habe keinen Altardienst, darum wurde auch
von der Anlage eines „an den katholischen Meßaltar mahnenden Altars" aus-
drücklich abgesehen, demzufolge auch eine Choranlage als unnötig bezeichnet und
statt dessen eine der Gemeinde gegenüberliegende, nicht zu flache Ausnischung
empfohlen, in welcher die Orgel anzubringen sei und vor der die Kanzel zu stehen
habe. „Die evangelische Kirche hat ja leinen Priesterstand, er ist ein Mitglied
der Gemeinde, daher soll er auch nicht in einem gesonderten Raum stehen, ja
er soll aus der Gemeinde heraus die Kanzel besteigen." Deshalb wurde gefordert,
daß die Stufen zur Kanzel der Gemeinde sichtbar anzubringen seien, während
man für den Zugang zur Orgel eine verdeckte Lage wünschte. Neben der Kanzel
waren zwanzig Ehrenplätze für die Ältesten und Gäste anzuordnen, so daß diese
sowohl den Prediger wie die Gemeinde sehen können. Vor der Kanzel sollte der
Abendmahlstisch aufgestellt werden. Es wurde ein großer Tisch verlangt, der sich
 
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