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12
Christliches Kunstblatt für Kirche, Zchule und Haus
Nr. 1

Savonarola und Lucrezia Borgia
aus dem Abendmahlsbild Leonardo da Vincis?
von Pfarrer Wilhelm Schuster in Heidelberg.
o überraschend obige Frage klingt - sie ist zu bejahen.
Menn man nämlich Leonardo da Vincis Abendmahlsbild ganz genau be-
trachtet, so macht man die frappante Entdeckung, daß der abgebildete
Dudas Dscharioth ziemlich genau die Züge Zavonarolas, des größten Ketzers zu
Leonardos Zeit, trägt. Und auch die Züge Lucrezia Uorgias, der angeblich
größten Liebesbuhlerin im ausgehenden Mittelalter, erkennt man in einem
anderen Kopf wieder.') —
Und ganz merkwürdiges Zusammentreffen: im selben Jahre, in welchem
Zavonarola erst stranguliert und dann verbrannt wurde, ist das Bild gemalt
worden, l498. Nun war dies ja in Florenz, und Leonardo wohnte in Mailand;
aber wer selbst schon diese Ztrecke zu Fuß gegangen ist, der weiß, wie kurz sie
in Wirklichkeit ist; und Leonardo hat den Dominikanermönch gewiß gesehen,
war doch der Maler selbst bis l482 in Florenz tätig! Natürlich kannte ihn
Leonardo nur als den größten Missetäter und Lrzketzer damaliger Zeit, hatte
ihn doch das Volksgericht so empfindlich getroffen - vox populi, vox vei! —
und hatte ihn doch das geheiligte Oberhaupt der Kirche, der Papst, der Nichter
der Christenheit, vor sein Gericht gezogen und ihn exkommuniziert - derselbe
Papst übrigens (Alexander VI. — Nodrigo Lorgia), dessen Tochter eben gerade
die ebenso schöne wie „leichtfertige" Lucrezia Uorgia war. Und hatte doch auch
der Mönch gerade gegen das ureigenste Metier des Malers geeifert — Zchmuck,
Prunk, freilich verbunden mit Sittenlosigkeit! —, so daß ihm wohl beim Gedenken
Zavonarolas ebenso zu Mute war, wie heute dem freiesten Münchener „Künstler"
angesichts eines „ganz Schwarzen", „Pietisten" oder wie man diese Art Leute
sonst noch nennt. Natürlich hat es Leonardo ja nicht mehr erlebt, daß dieselbe
katholische Kirche ihren Savonarola restituierte und zum Heiligen machte, und
I) Zu allem Folgenden bitte ich eine gute Wiedergabe des Leonardischen Bildes zur
Hand zu nehmen und an Hand der in ihrer individuellen Charakteristik ganz wunder-
baren Köpfe vergleiche anzustellen. Ich selbst besitze einen Stahlstich einer Frankfurter
Kunstwerkstätte (100 Mark) und habe der Kirche in Vbergimpern (Amt Sinsheim, Baden)
die bunte Volkskunst-Ausgabe (l75 Mark) verschafft. Auf beiden, was ich gleich hier
bemerken will, ist das umgestürzte Salzfaß vor dem Arm des Judas (der erschrocken
umgefahren ist bei Ankündigung des Verrats, um den Meister zu fixieren) gemalt, während
es auf dem unrenovierten Tenacolo fehlte (1899 besichtigte ich selbst das Bild, hatte aber
damals noch keinen „sensus" für solche künstlerische Probleme). Vas Salzfaß ist die
Zutat eines Späteren und hat einen tiefen symbolischen Sinn; Judas der Salzverderber,
rein tatsächlich und übertragen durch Vergiftung der Liebe der Liebesmahlzeit; zugleich
soll es seine Erregung ausdrücken, da er es im Umfahren umgestürzt und nicht wieder
aufgehoben hat.
 
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