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202
Christliches Kunstblatt für Rirche, Zchule und Haus
Nr. 6

es ist eben für seine Zeit das Bessere . . . vielleicht bloß, solange es neu ist.
Ich möchte über das Neue nicht jetzt schon eine zweite andere Nommission kommen
lassen: Herr, wer wird bestehen? So sind die Zeiten, so sind die Menschen, den-
noch gelte das ehrliche Streben: man will das Bessere geben! Nlso wird das
Nlte verabschiedet.
Vie Jungen nehmen's leicht. Ist's doch wieder was Neues. Und Noten
sind dabei — und andere Nusschmückungen, die das Nlte nicht hatte, das ein-
fache, anspruchslose Buch.
Vas haben die Nlten liebgewonnen. Sie sind mit ihm alt geworden. Jede
Seite, jede Nummer ist ihnen bekannt. Nm Morgen warfen sie das Buch herum,
da fielen ihre Nugen auf Nr. 5, und das Herz frohlockte nach einer guten Nacht:
womit soll ich dich wohl loben? Nm Nbend saß der Nhn in seinem Stübchen
und blätterte in dem mürben Buch mit dem großen Druck und las: Hirte deiner
Schafe, der von keinem Schlafe etwas wissen mag! In der Kirche war's ihm
behaglich: die Melodie ein alter Bekannter aus der Schulzeit, der Text groß
und deutlich und fortlaufend vor seinen Nugen, die mit jeder Woche schwächer
wurden. Gewiß, es ist viele Gewohnheit dabei, aber es ist eine liebe Gewohn-
heit. Sie werden mit dem alten Buch bis zum Grabe vorlieb nehmen, diese
Nlteren unter uns, die aus ihm Jahrzehnte hindurch Freude und Trost und Nat
und Mut geschöpft haben.
Der Übergang läßt sich nicht kommandieren. Nm l 8. Mai wird der wechsel
vollzogen, wenn dann etliche Kirchenstühle einmal öfter leer bleiben, das darf
uns nicht ängstigen. Irgendwo daheim fitzt einer, fitzt eine und hält mit dem
alten Freund Hausandacht. Vie sind unserem Herrgott doch lieber als die anderen,
die ihr neues Buch mit Goldrand den Freundinnen zeigen und über dem Blättern
in dem fremden, interessanten Buch die predigt mit ihrem Ghr und ihrem Herzen
versäumen. Ts wird seine Zeit brauchen, vielleicht seine Jahre.
Freilich, der Nlte ist nicht bloß konservativ, er ist auch ein bißchen neugierig.
Nm Ende nimmt er das Buch doch zur Hand. Vie Blätter gehen noch schwer,
so ein zartes Blättchen wird unter den schweren Fingern zerknittert, die Noten
flimmern ihm eine weile vor den Nugen, das Gestrichelte gähnt ihn fremd an.
Tr will das überspannte Zeug weglegen, da liest er: wie groß ist des Nllmächtigen
Güte! — Herr, dir ist niemand zu vergleichen! — Sollt ich meinem Gott nicht
singen? und etliche andere. Tr geht auch einmal zur Kirche mit, muß doch sehen
und hören, wie das mit dem Neuen geht. Sieh da, eins der guten alten Be-
kannten ist angeschlagen, ha, das kann er ja auswendig. Und horcht nur!
Der da droben auf seiner Orgel spielt aus seinem neuen Buch die alte, liebe
weise, aus vollem Herzen singen alle, Nlte und Junge, und die ältesten fühlen
sich noch einmal wohl in der Sonntagsgemeinde. Sie kommen mit, sie verstehen
einander noch, die alte und die neue Zeit.
„Ts ist doch nicht so schlimm, wie wir gemeint haben," erzählt der Nachbar
dem Nachbarn mit vergnügtem Nufatmen. Ja, es haben viele die Stätte, da
 
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