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366
Christliches Kunstblatt für Rirche, Zchule und Haus
Nr. l O

erhalten. In harmonischer Zusammenwirkung desselben mit der Hofseite des
Rathauses ist ein traulicher Platz entstanden, der durch seine Stimmung wohl
an vergangene Zeiten erinnern kann. An ihn schließt sich, für manches Rüge
freilich zu unvermittelt, der moderne kraftvolle Sakristeiaufbau an, der sich über
dem aus der Reformationszeit stammenden Rreuzgewölbe der alten Sakristei er-
hebt. Er trägt in der Rraft seiner Architektur und seinem Figurenschmuck
Luthercharakter. In seinem Innern birgt er die durch eine Apsis mit Altar zu
einer Rapelle für kleinere gottesdienstliche Handlungen erweiterte Sakristei, darüber
ein Ronfirmandenzimmer und im Oberstock das Jugendheim.
Vie Nord- und Südseite des äußeren Kirchenschiffes hat durch Abnahme der Simse
mehr Ruhe in der Fläche bekommen, ihre Pfeiler erhielten moderne Bekrönungen.
Am durchgreifendsten wurde die Umgestaltung des Westgiebels. hier be-
sonders findet echt deutscher protestantischer Geist kraftvollen künstlerischen Aus-
druck. Fest und sicher steht der Bau mit seinen gewaltigen Sandsteinmassen
auf der Erde; da ist keine Weltflucht und Weltabgewandtheit; sondern wie das
Evangelium unseres Glaubens, das jedes pflichttreue Tagewerk heiligt, steht
er unerschütterlich mitten im Getriebe des Rlarktlebens. „Jede redliche Arbeit
ist ein Gottesdienst", diesen echt evangelischen Grundsatz wollen auch die vier
überlebensgroßen Figuren an den Pfeilern zum Ausdruck bringen. Sie sind
keine heiligen im mittelalterlichen Sinne, sondern nach dem höchsten sinnende
und suchende Menschen, die über ihrer Arbeit betende Hände falten und die
von Gott anvertraute Gabe in Liebe und Treue hüten. Da steht nach der
Marktseite zu der Kaufmann niit der köstlichen perle in der Hand; nach dem
„alten Kloster" blickt der Gelehrte, ernst nachdenkend über die großen Fragen
über Gott und Welt, die die Menschheit der Gegenwart lebhaft bewegen. Neben
ihm erhebt sich die kraftvolle Gestalt des Handarbeiters, der über dem schweren
Schmiedehammer die Hände zum Feierabendgebet faltet. Und auf der andern
Seite steht die schöne Gestalt der Bürgersfrau, die ihr Kindlein liebevoll und
dankbar auf treuen Armen wiegt. Diese Gestalten sind dem gegenwärtigen
Leben abgelauscht, deshalb auch modern gekleidet, ein Schmuck, wie man ihn
wohl bisher an keiner Kirche findet, doch echt evangelisch empfunden, wie der
übrige figürliche Schmuck eine steinerne predigt für die an der Kirche vorüber-
hastenden Einwohner der Arbeitsstndt Ehemnitz: Bete und arbeite! Buch die
Ehristusgestalt inmitten des Giebels will den nach irdischem Glück jagenden
Menschen auf Straße und Markt zurufen: „Ich bin der Weg!" und „trachtet
am ersten nach dem Reich Gottes!" Denselben Gedanken bringen die auf-
strebenden Pfeiler zum Ausdruck, die auf ihren Kapitälen, unter dem weit-
vorspringenden, schattenden Walin des Daches, fünf musizierende Engel tragen,
welche das „Ehre sei Gott in der höhe" über die Stadt hinklingen lassen.
Uber den drei Spitzbogen der Vorhalle aber, die zugleich als Unterfahrt für
die Wagen bei kirchlichen Feiern dient, sind rechts und links die Symbole des
Kampfes und Sieges für den Glauben, inmitten Jakobus mit dem Stadtwappen
 
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