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372
Christliches Kunstblatt für Kirche, Zchule und Haus
Nr.lO

Überblick seiner geschichtlichen Entwicklung, wenigstens in Deutschland herum,
und man erinnert sich dabei immer wieder der Tatsache, daß das Theater und
die Zeinen auch heute noch unter Vorurteilen zu leiden haben, deren Gründe
die denkbar verschiedenartigsten sind, von jeher hat man dabei ja namentlich
auch das Kapitel „Kirche und Theater" ins Uuge gefaßt und durch die ver-
schiedensten Epochen hindurch die gegenseitige Stellung beider je nach der geistigen
Temperatur bestimmt. Das Theater ist dabei manchmal herzlich schlecht weg-
gekommen. Tin uns heute vielleicht nicht mehr verständlicher Übereifer hat es
in Lausch und Logen, als eine Brutstätte aller nur denkbaren Laster verworfen.
Über es wäre töricht, leugnen zu wollen, daß eine solche Verurteilung nicht
dann und wann ihre volle Berechtigung hatte. Hat man auch die Ursprünge
unserer Schaubühne bekanntlich in Festgebrüuchen der Kirche zu suchen, und
waren ihre Stoffe deswegen auch im Unsang der Bibel oder der Legende ent-
nommen, so wurde die Komödie in kurzem Wandel bald eine weltliche und als
sie erst einmal dem fahrenden Volke in die Hände gefallen war, entwickelte sie
sich bald in einer Weise nach unten, daß ihre Verlotterung und die ihrer Ver-
treter niemanden verwundern konnte. Dagegen halfen nichts die neueren
Schwänke und Fastnachtsstücke eines Hans Sachs und anderer, die bombastischen
Schwülstigkeiten eines Hofmann von Hofmannswaldau oder eines Lohenstein,
ebensowenig wie die der Pedanterie eines Gottsched oder die Ueformideen einer
Ueuberin. Lessing erst blieb es, wie wir wissen, vorbehalten, der Reformer
der deutschen Bühne zu werden, freilich, ohne daß es auch ihm gelungen wäre,
den Zwiespalt zwischen den sittlichen Forderungen der Kunst und der Lebens-
führung ihrer Jünger auszugleichen. Wer sich auch nur einmal ernsthaft mit
dem Theater und seiner Geschichte befaßt hat, der weiß, daß sich dieser Zwie-
spalt wie ein roter Faden hindurchzieht, und daß die sich daraus bildenden
Vorurteile auch dem redlichsten und ernsthaftesten Streben nach den Höhen ge-
sellschaftlicher Gleichberechtigung wie ein Bleigewicht anhängen. Ts ist ja ein
merkwürdiger und wohl nie zu tilgender Widerspruch in der Tatsache, daß der
Künstler, dessen Uufgabe es ist, uns emporzuheben zu den Höhen der Menschheit,
nur so selten die Kraft und den Mut besitzt, aus Vorrechte zu verzichten, die
doch nur eine Demütigung und lediglich aus dem verächtlichen Zugeständnis
heraus zu begreifen sind, daß den Vertretern dieses Berufes auch Dinge erlaubt
seien, die außerhalb des gesellschaftlichen und bürgerlichen Unstandes stehen.
Kommt hinzu, daß allen Keformversuchen auf diesem Gebiet eben auch der Um-
stand hinderlich ist, daß unsere deutsche Künstlerschaft mehr und mehr zersetzt
wird von undeutschen Elementen, deren sittliche Unschauungen ebenso wie ihre
Begriffe von intensiver Urbeit die denkbar laxesten sind. Daß ferner, leider
muß das gesagt werden, namentlich auch die „moderne" Frau mit ihrer keines-
wegs idealen Verhimmelung künstlerischer Eitelkeit und Beschränktheit hier Uus-
schreitungen begeht, wie sie schlimmer oder — lächerlicher kaum gedacht werden
können. Das hängt ja wohl, wird man mir sagen, mit der ganzen sozialen
 
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