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Nr. 10

Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus

377

und heilige Wort „deutsch" nicht ohne eine gewisse Bitterkeit niederschreiben.
Vie unselige Nusländerei treibt es seit Jahren gar arg auf dem deutschen Theater.
Nlag es nun ketzerisch sein oder nicht; man sage nicht, daß die deutsche Bühne,
zu schweigen von den französischen Dramatikern ohne Zahl, von einem Ibsen
oder wilde, von einem Tolstoi oder Shaw, irgendwelchen dauernden Gewinn
erhalten hat. Zugegeben, daß nach dem Klassizismus eines Hebbel und Grill-
parzer, nach den Problemdichtungen eines Gutzkow und Otto Ludwig wie nach
der seichten Dutzendware unserer Lustspiele deutsche Bühne und Schauspiel neue
Wege und Ziele suchen mußten. Lin Anzengruber stimmte sein Schaffen auf
solche Forderungen, und ein Wildenbruch unternahm sogar das Wagnis, Schillers
Idealismus mit dem modernen Realismus zu vereinigen. Zwischen die ernsten
Strebungen dieser Dichter, denen sich nun ein Schönherr und ein Lilienfein ein-
reihen, drängten sich mit dem hussa und hallo, mit den pauken und Trompeten der
modernem Reklame und einer gefälligen, weil auf der gleichen Schule dressierten
presse, alle die dramatischen Dutzendgeister, ein Bleibtreu und Bahr, ein Schnitzler
und soviele andere, die in Thesen und Antithesen, in psychischen Spitzfindigkeiten
und recht materiellen Zweideutigkeiten oder Kraftmeiereien förmlich schwelgten,
und für die ungeheuerlichsten ihrer Ungeheuerlichkeiten immer wieder in irgend
einer Anleihe bei dem Auslande eine ihnen genehme und das liebe Publikum
verblüffende Deckung fanden. Wie viele Namen man dessen zum Beweis an-
führen müßte, weiß jeder, der sich mit derlei Dingen ernsthaft beschäftigt, von
dem ewig unfertigen und experimentierenden Gerhard Hauptmann und dem mehr
und mehr verflachenden Sudermann an bis zu dem oberflächlich geschwätzigen
und schulmeisternden Mto Lrnst und dem seichten Handwerksmacher Ludwig
Fulda — wie das sich alles spreizt und brüstet und doch keinen anderen Be-
fähigungsnachweis zu erbringen vermag, als ein paar gute Kassenrapporte und
den klatschenden Beifall einer urteilslosen Mehrheit.

II.
Mit solchem Material aber soll das deutsche Theater vorwärts schreiten?
Soll unserem Volke Bildner und Erzieher sein und den weg zeigen zu den
höhen der Menschheit? Wie soll und wird sich Publikum und Künstler und
Dichter in diese Aufgabe teilen? Das sind Fragen, auf die wir nur dann eine
Antwort finden, wenn wir uns und anderen Klarheit darüber zu schaffen suchen,
wenn wir uns von allem Undeutschen lossagen und in uns selbst die Kraft suchen
und finden, Großes und Neues zu schaffen. Daß wir dazu Führer und Berater
brauchen, wer will es bezweifeln? Aber diese dürfen nicht die sein, die mit
dienstfertigem Lob und billiger Geistreichelei uns über das Hinwegtäuschen, was
einer ernsten und tiefgründigen Bewertung harrt. Die unser Denken und Ur-
teilen in die ihnen gerade bequeme Schablone pressen und nichts wissen wollen
oder können von einem gemeinsamen Ringen und Streben nach neuen Formen
und für diese nach neuem Inhalt. Soweit man gerade beim Theater von
 
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