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Nr.lO
Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus
Z79

völliger Mangel an Verständnis für die tatsächlichen Verhältnisse wäre es,
wollte man der sogenannten „Theaterkritik", die wir schon mit etlichen Morten
gestreift haben, irgend welche ernstere Teilnahme von Reformen auf diesem Ge-
biete, wie in anderen deutschen Bühnenfragen - wenn von „deutsch" hier
überhaupt die Rede sein kann - zuschieben. Ts hat dieser Zweig unseres
journalistischen Berufs noch immer unter einem Zwiespalt zu leiden, demjenigen
einer zu tiefen und einer zu oberflächlichen Bildung, oder wenn das besser und
zeitgemäßer klingt, des Mangels einer Vereinbarung von Realismus und Idea-
lismus. Mir meinen: gerade hier werde noch zu viel geschulmeistert, werde
mit ästhetischen und literarischen Theorien gearbeitet, die der Praxis gegenüber
niemals Stand halten und namentlich auch den künstlerisch-sozialen Fragen gegen-
über immer wieder ihre rührende Unbeholfenheit zeigen. Und wir meinen
wiederum: Der Theaterkritiker von heute gebe sich gar keine Mühe um die
ernste Erfassung seines Berufs. Er fühlt sich, auch bei der armseligsten Bildung,
über die er verfügt, zu fest und zu sicher in seinem Schalten und Urteilen.
Er weiß, daß der geneigte Leser sich gar keine Zeit nimmt, sein eigenes Urteil
an dem seinigen zu messen. Weiß, daß etliche witzig sein sollende Phantastereien
viel mehr wirken, als das ehrlichste Meinen, und darauf stimmt er dann die
Töne seiner Referate, ohne sich irgendwie zu besinnen, ob er damit Schaden
oder Glück stiftet. Seine Souveränität ist ja zumeist nicht von allzu langer
Dauer. Geister seines Schlags haben sich bald so ganz verausgabt, daß ihr nun
einsetzendes Mortgeklingel meist keine anderen Folgen mehr hat, als die der
Lächerlichkeit und des vergessenwerdens. Die Theaterkritik aber, wie sie sein
soll, ist eine Bildungsmacht gerade in einer Zeit, in der man sich müht alle
treibenden Rräfte des Lebens und alle Probleme unseres Schaffens und Handelns
in dramatische Form zu kleiden und so die Öffentlichkeit zu einem Richteramt zu
berufen, dessen Pflichten und Befugnisse doch höher stehen, als die Ansprüche
einer Launenhaftigkeit und Einseitigkeit, deren tiefere Gründe oft so menschlich und
allzu menschlich sind, daß man besser darüber schweigt. Mie sehr darunter das
Ansehen der ernsthaften Kritik leidet, das haben alle die schon oft schmerzlich
genug empfunden, die meinen, auch dem Theater und seinen Leuten den Meg
zur Höhe weisen zu dürfen.
Und nun aus dem allem das Schlußergebnis! Man hat sich doch mit denen,
die dem Theater jede Daseinsberechtigung bestreiten wollen, weiter nicht abzu-
geben. Das christliche Bewußtsein hält sich ihnen gegenüber an das Mort: Alles
ist Euer. Aber wenn schon nach der landläufigen modernen Anschauung das Theater
ein Bildungs- und Rulturfaktor auch für die Zukunft sein und bleiben soll, dann
haben wir das Recht und die Pflicht, den strengsten Maßstab an seine Theorie
und Praxis anzulegen. Mir wissen es wohl, die Pflege des Schönen und Guten,
das wir da zuvörderst verlangen, hat der Formen und Gestalten gar viele, und
daß unter ihnen auch der Humor zu seinem Recht kommen soll, dagegen wird
niemand einsprechen. Aber Humor und Witz, insonderheit der Theaterwitz sind
 
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