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398
Christliches Kunstblatt für Kirche, Zchule und Haus
Nr. l l

zeugen haben. Und von theologischen Erwägungen aus teilen wir Windelbands
Urteil, daß Goethe und Schiller von der rigoristischen Einseitigkeit seiner sitt-
lichen Überzeugung zurückgestoßen wurden, nicht. Im Gegenteil: Kants moralische
Fassung des Erhabenen im Kunstwerk hat nur vertiefend auf den Dichter des
Faust und den Dichter der großen Dramen gewirkt, wenn auch zugegeben werden
mag, daß vor allem Goethe die moralische Tendenz als Tendenz des kategorischen
Imperativ, als künstlerische Fessel empfunden hat.
Schillers ästhetischer Idealismus.
Kants Ästhetik führt uns bei unfern theologischen Voraussetzungen von selbst
auf Schillers ästhetischen Idealismus. Ich folge auch hier im wesentlichen der
Darstellung lVindelbands, abweichende Unschauungen von Fall zu Fall steststellend.
Kants ästhetische Theorie über das lVesen des Schönen regte die Dichter
an zu eigenen philosophischen Untersuchungen sowohl, als zur poetischen Produk-
tion. Darin lag Segen und Gefahr. Die Dichtung vertiefte sich nach der
Richtung philosophischer lveltauffassung. Sie nahm in ihr Keich die höchsten
und wertvollsten Interessen des menschlichen Denkens. Das Größte dieser Urt
sind Schillers philosophische Dichtungen. Die Romantiker dagegen erlagen - in
Ermangelung wahrer Genialität - dem Drang, poetisch zu philosophieren und
so waren ihre Gebilde mehr künstlich als künstlerisch. Der Segen für die Philo-
sophie, den sie aus der Berührung mit theoretischer Ästhetik und praktischer
Dichtung zog, bestand ebenfalls in einer Erweiterung des Blicks auf das ganze
Kulturleben der Menschheit. Durch den Einbruch der poetischen Phantasie aber
erlitt die Philosophie Schaden an objektiver Wissenschaftlichkeit.
Das Haupt der philosophischen Dichter ist Schiller. Wenn man gerade
von theologischer Seite aus einen Beweis für den engen Zusammenhang zwischen
Kunst, Künstler und Weltanschauung sucht, so scheint uns Schiller der beste histo-
rische Beweis für diese Synthese zu sein. Unsre modernen Ästhetiker gehen viel
zu einseitig von dem Künstler der bildenden Kunst und seinem sinnlich beschränkten
Reiche aus. Bei der Begriffsbestimmung über die Kunst sollte man meines Er-
achtens zunächst ausschließlich von der universalen Kunsterscheinung der „redenden
Kunst" (wie sie Kant nannte) ausgehen und was hernach auf bildende und
tönende Kunst nicht anwendbar ist, sollte man nicht auf Schuldkonto der Begriffs-
bestimmung als zu weite Fassung setzen, sondern sollte sagen: l. Die redende Kunst
ist nach ihren Rusdrucksmitteln und ihrem Inhalt die universale Kunst. 2. Die
bildende und die tönende Kunst sind partielle Künste, beschränkt nach Inhalt
und Ausdrucksmittel (Form). Diese Formulierung hat für theologische Voraussetz-
ungen den großen Wert, daß in der universellen Kunstform der redenden Kunst der
unmittelbare Zusammenhang mit der Weltanschauung am klarsten zutage tritt.
Die l'art pour Kart-Anschauung ist sinnlos von der redenden Kunst aus: die
genaue literarische Beschreibung eines Häsens oder Rasens ist noch nicht Kunst,
viel faßbarere geistige Werte gehören zum Kunstprodukt der Wortkunst. Einen
 
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