Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. II

Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus

399

künstlerischen N)ert bekommt der Hase oder der Nasen in der Wortkunst erst
durch Beziehung auf das Ganze der Natur. Vieser hat seinen Hasen gemalt —
höchste Nunst — I'urt pour l'urt — ohne Beziehung auf das Ganze. Eine Be-
ziehung auf das Ganze wäre geschehen etwa bei einer Hasenjagd, oder um ein
Beispiel von Nubens zu nennen, bei einer Wildschweinjagd.
Ls fragt sich freilich, ob nicht auch in der bildenden Nunst, sogar bei I'art
pour l'art, erst die geistige Erfassung das Nunstwerk macht. Dieser hat tat-
sächlich seinem berühmten Hasen ganz bestimmte Charaktereigenschaften gegeben,
die dem Hasen innerhalb der Tierwelt zukommen und die ein nichtkünstlerischer
Maler oder Zeichner eben gerade nicht in dieser geistig-seelischen Beziehung zum
Universum geben kann. Ls sei hier nicht der Streit um I'urt pour Kurt angeregt,
es handelt sich uns vielmehr um den Nachweis, daß die Wortkunst überhaupt
keine Nunst ist, sondern nur Nonnen: Neimen, Phrasenklingeln, Nbschreiben mit
der Feder u. dergl., wenn sie nicht im kleinsten Produkt Beziehungen zum Univer-
sum, zur Weltanschauung hat. Man nenne mir ein einziges Gedicht, eine literarisch
wertvolle Fabel, Zage, Novelle, Epos, Noman, Lyrik, Drama, das ohne Be-
ziehung zu einer durch den Künstler persönlich vertretenen Weltanschauung steht.
Die Weltanschauung hat keine Tendenz im Zinne einer Nirchenlehre oder Philo-
sophenschule zu enthalten, sie braucht nur der wertvolle Nusdruck der Harmonie des
Künstlers zwischen seiner Nnschauung und seinem Denken über den künstlerisch
geschaffenen Inhalt oder der Niederschlag des Kampfes zwischen den Forderungen
der Sinnlichkeit und der Übersinnlichkeit, also die Darstellung des Erhabenen (nach
Kants Begriff) zu sein.
von dieser Voraussetzung aus scheint mir gerade der von Kant begründete
Begriff des Schönen und des Erhabenen in der Gestalt, wie er Wirklichkeit
wurde in der Dichtung, vor allem in Goethe und Schiller und entartete bei den
Nomantikern, für die Voraussetzungen einer ethischen Weltanschauung am frucht-
barsten zu sein. Die Voraussetzung einer ethischen Weltanschauung fasse ich nicht
im engeren theologischen Sinn, sondern in dem weitesten Sinn, wie sie neben den
Theologen auch die wissenschaftlichen Pädagogen von Pestalozzi bis F. W. Förster
(ethische Zugendlehre) faßten.
Wir sagten: Schiller ist der historische Beweis für den naturhaften Zusammen-
hang zwischen Kunst und Weltanschauung oder Genie (im Sinne Kants) und
Universum. Umgekehrt aber ist Schillers Zeitalter der historische Beweis für
den naturhaften Zusammenhang zwischen Genie und Zeitgeist oder Künstler und
Menschheit, sowohl in dem Sinne, als das Genie aus seiner Zeit Nnregungen
empfängt, als noch viel mehr in dem Sinn, daß die Menschheit - Zeitgenossen
und Nachwelt — von der Kunst in Weltanschauungsdingen entscheidend befruchtet
werden. Damit aber soll gar nichts gegen den Kantschen Begriff gesagt sein,
daß die Werke des Genies naturhaft, absichtslos wie die Natur selbst wirken
müssen. Im Gegenteil: der oberste Grund der weit- und tiefreichenden Wirkung
der Wortkunst liegt eben in der „freien Schönheit", von der Kant sagt, in der
 
Annotationen