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410

Christliches Kunstblatt für Kirche, Zchule und Haus

Nr. 11

Kreisen innerlich nahe bringen, so bietet er sie ihnen doch nicht Kurzweg als
Erbauungsbuch oder als kirchliches Lehrbuch dar. Nahlwes' Bibelausgabe will,
wie auch die Einleitung verspricht und die gediegenen Einführungen, die den
einzelnen Schriften vorangestellt sind, bekräftigen, die Bibel als ein Stück Literatur
des Morgenlandes und damit als ein Stück Weltliteratur darbieten. Als solches
Literaturdenkmal und Kunstwerk, ja als ein Meisterwerk der Weltliteratur soll
es neben Homer und Dante, Shakespeare und Goethe in der Bücherei der Ge-
bildeten stehen und eingesehen werden. Dementsprechend wählte ja Nahlwes
auch nicht die vielfach unverständlich gewordenen Übertragung des Urtextes, die
Luther uns gewonnen hat, sondern die in pietätvoller Anlehnung an das Luther-
deutsch geschaffene, wissenschaftlich weithin anerkannte, edelmoderne Übersetzung
des bedeutenden einstigen Straßburger Professors Eduard Neuß. Ob Rahlwes
recht daran tat, ob daran auch, das altoertraute Vibelbuch nach literarischen
Gesichtspunkten zu ordnen und in einzelne abgeschlossene Bände zu teilen, das
steht hier nicht zur Erörterung. Uber gerade diese Tatsachen erhärten, daß es
dem Herausgeber vor all und jedem andern darauf ankam, die Bibel als ein
Stück klassischer Literatur des hebräischen Altertumes, wie einst Herder und Goethe
sie begriffen und gewürdigt hatten, der gebildeten Welt oder genauer der Profan-
literatur zurückzugewinnen.
Und zu diesem Stück, bezw. zu den einzelnen hierin enthaltenen Stücken der
hebräischen Literatur sollten Bilder geboten werden. Auch diese Bilder sollten
und mußten der Idee dieser besonderen Bibelausgabe dienen. So galt es durch-
aus nicht in erster Linie erbaulich wirkende Bilder zu schaffen. Die Aufgabe
hatten sich einst Künstler wie Dore, Schnorr von Larolsfeld u. a. gestellt und
zwar gestellt ganz unbeeinflußt von irgend einer besonderen Ausgabe der Bibel.
Sie scheinen mir mit ihren Illustrationen zur Bibel von der viel verbreiteten
Ansicht ausgegangen zu sein, daß man die Wirkung der Bibel durch bildliche
Darstellungen einzelner der in ihr geschilderten Vorgänge erhöhen oder vertiefen
könne, vor diese Aufgabe, deren Berechtigung und Erfolg mir zum mindesten
zweifelhaft erscheinen, konnte sich E. M. Lilien gar nicht gestellt fühlen, als er
an die Arbeit der Ausschmückung gerade dieser Bibelausgabe herantrat. Seine
künstlerische Aufgabe war vielmehr zuallererst die, durch die Mittel seiner Kunst
die Wirkung der einzelnen alttestamentlichen Schriften als Geile der alten hebrä-
ischen Literatur zu steigern, also den Niederschlag der jüdischen Volksseele in
diesen Schriften durch seine Schöpfungen dem Auge des Beschauers und Lesers
sichtbar zu machen. So galt es auch für ihn nicht, biedere Deutsche in irgend
einem orientalisch zurecht gemachten Phantasiekostüme, nicht Bilder in Schnorrs
an sich vortrefflicher Art im Stile des neudeutschen Klassizismus, nicht in Dores
romantischem Stile zu schaffen, sondern in künstlerischer Anpassung an den Geist
der Bibel und dieser ihrer besonderen Ausgabe Bilder aus dem Geiste des
Alten Testamentes heraus darzubieten. Und wie nun Lilien auf Reisen im
Morgenlande und im Studium altorientalischer Kunst aus dem Ideenkreise, der
 
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