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Henryk Marconi, Alfons Kropiwnicki, Andrzej Golonski und der berühmteste
aller Warschauer Architekten der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts, Jan Jakub
Gay, auf die Renaissancebaukunst zurück. Das von ihm 1844 errichtete Bürger-
haus in der Ulica Bednarska gehört zu den gelungensten architektonischen Inter-
pretationen des florentinischen Quattrocento. Die ebenfalls ungeordnete Back-
steinarchitektur der Zitadelle weist fortschrittliche Tendenzen auf.
Für die Warschauer Architektur der dreißiger und vierziger Jahre war auch das
Schaffen von Karl Friedrich Schinkel von Bedeutung. Er legte großen Wert auf die
freie Komposition der architektonischen Glieder, wobei er die Konstruktions-
elemente des Bauwerks hervorhob und die aus den klassischen Aichitekturordnun-
gen entlehnten Motive kühn vereinfachte. Die Schinkelsche Interpretation histori-
scher Formen griff hierzulande Francesco Maria Lanci auf, der als einer der ersten
in Polen die asymmetrische einfache Villa (Ulica Wilanowska 204) baute. Die
neuesten technischen Erkenntnisse waren Lanci nicht fremd, so bezog er z.B.
Gußeisen in die Gestaltung seiner Bauten ein (Ulica Krakowskie Przedmiescie 17).
Seltener entstanden in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts neugotische Bau-
werke in Warschau, von denen nur eine Friedhofskapelle, die Holländerei und das
Potocki-Mausoleum in Wilanöw erhalten geblieben sind.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden neben den noch immer aktuellen an-
tiken Foimen auch Stilformen aus der mittelalterlichen Renaissance- und Barock-
architektur verwendet. Dabei entlehnte man sowohl den regelmäßigen als auch den
unregelmäßigen Grundriß und Baukörper. Die Wahl der historischen Stilelemente
hing in hohem Maße von der Funktion des Bauwerks bzw. seiner Umgebung ab.
Man suchte zweckmäßige Formen für traditionelle architektonische Themen, die
der neuen sozialökonomischen Wirklichkeit entsprachen und ihr Programm be-
trächtlich erweiterten, sowie für völlig neue Themen, die unter dem Einfluß der
sich entwickelnden Technik, Industrie und Wissenschaft standen. Neue Baustoffe
von größerer Festigkeit ermöglichten Proportionsänderungen von Trägerelementen
und Decken. Die neuen Konstruktionen blieben jedoch lange unter der pompösen,
rein dekorativen Fassadengestaltung verborgen.
An die italienische Renaissance knüpfte Henryk Marconi an, dessen Schaffen
von den prachtvollen Bauwerken in Rom, Venedig und Florenz, Padua oder Man-
tua inspiriert war. Als Vorbild für die St.-Karl-Borromäus-Kirche (Ulica Chlodna
21) diente die Fassade der St. Maria Maggiore in Rom; für das Innere der
Kirche Allerheiligen am Plac Grzybowski-das Innere der Santa-G'ustina-Kirche
in Padua und für die St.-Annen-Kirche in Wilanöw-die Kirche Sant’ Andrea in
Mantua. Marconi entwarf den ersten Bahnhof für die (nicht mehr bestehende)
Eisenbahngesellschaft Warschau-Wien, ferner das erste moderne Hotel (Hotel
Europejski, Ulica Krakowskie Przedmiescie 13) und das erste Bürohaus (Kiedit-
gesellschaft für Grundbesitz, Ulica Kredytowa 1). Diese und andere Gebäude
Marconis gaben den Warschauer Straßen ein großstädtisches Gepräge. Eine ähn-
liche künstlerische Haltung wie Marconi vertrat der große Kreis seiner Schüler, die
ihre Tätigkeit in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts aufnahmen.
In den sechziger und siebziger Jahren des 19.Jahrhunderts setzte sich in der War-
schauer Architektur allmählich die eklektische Stilrichtung durch, die verschiedene
Stilformen in einem Bauwerk vereinigt. Die Zusammenstellung der verschiedensten
dekorativen Elemente (z.B. die Vergrößerung der zierlichen Rokokoornamentik)
und unterschiedlicher Charakteristika (die Übertragung der für die Sakralbaukunst
typischen Formen auf Profanbauten) aus weit auseinanderliegenden Epochen
(Renaissance- neben Rokokoformen) sowie die völlig ungezwungene Verbindung
symmetrisch komponierter Fassaden mit unregelmäßigen Grundrissen und Bau-
körpern bewirkten eigenartige Dissonanzen, die die Einmaligkeit dieser Architektur
verdeutlichen. Die Verwendung der vielfältigsten Details wurde durch die fabrik-
mäßige Herstellung von Stein und Stuck imitierenden Ornamenten aus Blech und
Gips erleichtert. Zu einem oft wiederkehrenden Gestaltungselement wurden mo-
numentale malerische Kompositionen und Bildwerkgruppen, die die neuen so-
zialen und wirtschaftlichen Verhältnisse und deren Ideen symbolisierten.
Gleichzeitig entstanden durch die Anwendung von Stahlkonstruktionen geräumige
Hallen von Bahnhöfen, Warenhäusern und Fabriken sowie Hotel-, Theater- und
Museumssäle; die Mietshäuser wuchsen immer höher. Unter einigen Dutzend der
in Warschau tätigen Architekten repräsentierten folgende ein besonders hohes
Niveau:Leandro und Wladyslaw Marconi, Witold Lanci, Jözef Huss, Jan Heurich
sen. (Vater). Bronisfaw Brochwicz-Rogoyski, Julian Ankiewicz, Frangois Arveuf,
Jözef Dziekonski. Die repräsentative Architektur des Barocks und der Renaissance
fand ihre Widerspiegelung in Bankgebäuden (Ulica Czackiego 21/25, Ulica Fre-
dry 6 und 8, Ulica Hibnera 7) und städtischen Schloßresidenzen (Ulica Foksal 1

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