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Chronik für vervielfältigende Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3813#0011
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Rutli verdankt leine Ausbildung den sranzösischen und englischen
Meinern, die von Sacchi zur Illustration der Promessi Sposi berufen
waren. Am 19. September 1819 zu Mailand geboren, studitte Ratti zuerst
dieMalerei, erlernte dann aber, vielleicht auf Anregung Sacchi's, dieKunsl
in Holz zu schneiden und wurde darin einer der ersten Meister unter
allen Xylographen der Gegenwart. So geschah es denn, dass, als der
Contraa mit den ausländischen Künstlern abgelaufen war und sie nach
Frankreich und England zurückkehrten, Ratti in Mailand eine Werk-
statt und eine Schule eröfsnete, die bald zu hoherBlüthe gelangte und bis
zum Jahre 1846 bestand. 1847 wurde Ratti von dem Verleger Pomba
nach Turin berusen, um dort die Leitung über die italienischen und
sremden Holzschneidcr zu übernehmen, die am Mondo illustrato
mitarbeiteten. Im Jahre 1848, als dieses Werk in Folge der politischen
Ereignisse einging, sah Ratti sieb gezwungen, anderswo Arbeit zu suchen.
Er blieb zuerst einige Jahre in Genua, ging dann nach Mailand und
spater von Neuem nach Turin, bis er im August 1860 von dem Minister
Terenzio Mamiani berusen wurde, eine Schule sür Holzschneidekunst an
der Akademie zu Bologna zu begründen und ihre Leitung zu über-
nehmen, ein Austrag, den Ratti mit vielem Vergnügen annahm.
Ehe ich aus Ratti's Thatigkeit als Prosessor zu Bologna näher
eingehe, möchte ich ansühren, dass er sich nicht damit begnügte, nur den
Holzschnitt zu pslegen. Er war einer der Ersten, die gründlich die Photo-
graphie studirten, und gehurte zu den Ersten, die in Italien den Versuch
machten, die Photographie sür die Xylographie zu verwerthen. Seit dem
Jahre 1855 sührte er aus Frankreich das Verfahren des Übertragens der
gedruckten Holzschnittc ein, um dadurch ein neues Facümile aus Holz
zu erhalten, und es gelang ihm, dieses Verfahren derartig zu verbessern,
dass er das Bild abdrucken konnte, ohne das Original zu beschädigen:
sür uns ist dieser Process von grosser Wichtigkeit, da wir in Italien sür die
typographischen Zeichnungen kein Eigenthumsrecht besitzen; in Frank-
reich, wo ein solches Recht besteht, hat Ratti's Erfindung keinen Nutzen.
Im Jahre 1856 gelang es ihm serner, die Photographie aus Holz
auszusühren, und dadurch entweder die Handzeichnungen zu ersetzen
oder lie ganz genau zu verkleinern. Dielen Verfahren, das spater in
Frankreich sehr verbreitet und sehr berühmt wurde, ist also ursprünglich
eine italienische, und zwar Ratti's Erfindung. Das lieht man übrigens
auch aus der ersten Bemerkung darüber, die 1S62 in Frankreich in der
Encyclopledie Roret, Photographie I. IL, pag. 237, gemacht wurde,
an welcher Stelle man Hest: „Monsieur Contanncin presente un premier
procede de Photographie sur bois" etc.
Seit August 1S60 wurde Ratti, wie getagt, Gründer und Director
einer Schule sür Holzschnitt. Sie entstand auf den Trümmern einer
Kupserstecbschule oder ,,Studio d'incisione", wie sie genannt wurde, die
leit 1840 von dem bekannten Francesco Rosaspina geleitet worden
war und deren Stecher Martelli, Marchi, Spagnoli, Dali' Olio, Guadagnini,
Ruggi, Dotti, Bedetti und Paradisi anzuerkennende Arbeiten geliesert
hatten. Diese Schule hatte alle Arten des KupsersUches eultivirt, das
Grabstichelversahren, die Punktirmanier, die Padirung, die Tuschmanier
(Aquatinta) etc. und jeder Austrag in einer dieser Arten wurde hier
ausgesührt. Aus Rosaspina solgte 1842 als Lehrer Guadagnini und als
dieser 1860 ltarb, wurde die Schule aufgehoben und, wie ich schon
erwähnte, durch eine Schule der Holzschneidekunst ersetzt. '
Diese Bologneser Schule verdankt ihren l'rsprung eigentlich
Mailander Anregungen; denn vorher hatte zwar schon eine geringe
Bewegung zu Gunsten der Xylographie in Bologna ltattgesunden, doch
war es zu keinem richtigen Ausschwunge gekommen. Ich gehe daher
an dieser Stelle gleich näher aus die Bologneser Schule Ratti's ein, die
ich sast als eine Fortsetzung der Mailander ansehe, und ich werde erst
1 In der Schule Guadagnlni's wurden die Kupierltecher Suppini, l'acchini,
Pieri, Colla, Fofeti, Bordoni, Forlai, Anaclcto Guadagnini (ein Sohn des Direktors),
Le^a und Meneguzzi ausgebildet, die an vielen Werken mitarbeiteten, hauptsachlich
,in denen der „Gesellschast zur Förderung der schönen Künste" und
der Firma Ripamonti zu Mailand. — Zu den bedeutcndlten Arbeiten der Schule
zu Bologna sind die Illultralionen der Galerie zu Turin, der Galerie Pitti und der
rfsicien zu Florenz zu zählen

spater über die Schule zu Turin sprechen, die erste, die von der Regierung
unterstützt wurde, trotzdem sie nur um ein Jahr alter, als die Bolog-
neser war.
Im Jahre 1860 eröfsnet, ist diese Schule sür Holzschneidekunst zu
Bologna ein erster Beweis der Gleichmütigkeit der Regierung der gra-
phiTchen Kunst gegenüber, jener Gleichgiltigkeit, der die Regierung
dann spater eine deutliche und klare Form verlieh.'
Ohne mich auf Details einzulassen, die meinen Bericht weiter aus-
dehnen würden, als ich es beabsichtige, will ich hier nur hinzusügen,
dass seit ihrer Eröfsnung bis auf den heutigen Tag die Schule Ratti's so
Vorzügliches geleistet hat, dass Italien, was die Holzschneidekunst an-
belangt, sich vom Auslände emaneipiren konnte. Die vielen Holzsehneider,
die aus dieser Schule hervorgingen, arbeiten für die verschiedenen
Verlagsanstalten Italiens und haben einen so hohen Grad der Voll-
kommenheit erreicht, dass sie zu den betten Mcistern ihrer Kunst zu zählen
sind. Ich nenne Ballarini, die beiden Cantagalli, Zamboni, Corticdli,
Bianchi, Minardi, Montroni, Sabbatini aus der Bologneser Schule und
Balbiam, Gallieni, Centenari, Canedi, Bardella aus dem InsUtut Ratti's zu
Mailand, dessen ich srüher Erwähnung that.
Um besser beweisen zu können, wie verschiedenartig und reich-
haltig das Programm der Schule Ratti's war, führe ich es hier seinem
Wortlaute nach an; man ersseht daraus auch, mit welcher Liebe es
ausgearbeitet wurde und wie Ratti immer neue Verbesserungen studirte,
um die Photographie für unauslöschlichen Druck verwerthen zu können.
Seit dem Jahre 1869 war das Programm sür den II. Cursus, das
von dem Director der Akademie, Pros. Carlo Arienti, genehmigt
worden war, folgendes: Holzschneidekunst; Umdruck (decalco); Zinko-
graphie in ihren verschiedenen Arten; Autotypie; ..disegno diafano";
Heliographie; Galvanoplastik; Stereotypie; Helioplashk; Pigmentdruck:
Abdruck der Photographie aus Holz.
Es handelt sich hieraugenseheinlich um einen höherenUnterrichts-
cursus und durch ihn ist die Schule zu Bologna die erste und die einzige
gewesen, die in Italien glückliche Resultate aufzuweiten gehabt hat.
Der Unterricht in der Holzschneidekunst schreitet Itusenweise sort
bis zur photographischen Wiedergabe irgend eines beliebigen Gegen-
standes nach der Natur. Dann muss ihn der Schüler nach eigenem
Ermessen weiter aussühren und sich bemühen, die Technik zur betten
Darstellung der charakteristischen Form und des Helldunkels, des
Schattirens, zu verwerthen. Ihm flehen dabei Rathschlage des Lehrers,
wie auch die vielen schönen Holzschnitte, die Eigenthum der Schule sind,
zur Seite.
Wenn das Wiederausblühen der italienischen Holzschneidekunst
also auch seinen ersten Ursprung von jenen französischen und englischen
Künstlern herleitet, die von Sacchi nach Italien berufen wurden, und
von Sacchi's eigenen Beflrebungen zur Hebung dieser Kunst, so bleibt
der Pros. Francesco Ratti <Joch ihr bedeutendster Vertreter. Er leitete
nicht nur mit seinem Rath die Jugend vierzig Lehrjahre hindurch, sondern
durch eigene talentvolle Arbeiten gab er allen denen ein leuchtendes
Beispiel, die sich bis auf den heutigen Tag ernstlich mit der Holzschneide-
kunst in Italien beschästigen.-' Trotz der hervorragenden Stellung Ratti's
aus dem Gebiete der xylographischen Bewegung Italiens, einer Stellung,
die Niemand abflreitet, darf man nicht über die Arbeiten anderer Holz-
schneider hinweggehen, weil auch sse mithalsen, den von Ratti geför-
derten Fortschritt zu verstärken.
Alsredo Melani.
1 Csr.: „La incisione in rame di sronte alla fotografia. Be-
trachtung det- Prof. Luigi Travalloni (Fermo 1872), in der ein Bericht des
Minlsteriums angeführt wird, der u. A. solgende Worte enthält: dass, wenn der
Unterricht in der HolzichneidekLinlt in den Kuiillseluilen Italiens noch ausrecht er-
halten wird, „es nur aus Pietät für die Traditionen einer Kunst geschieht, die in
Italien berühmte Vertreter hatte und noch hat" (pag. 7). Und pag. 5 und 6 wird in
einer halbamtlichen MittheiUin.^ die Nothwendigkeit hervorgehoben, den Fortschritt
der Holziclineidekunlt, dem Kupserstich gegenüber zu fördern, da letzterer „seit
Hebung der Photographie weniger nützlich geworden sei".
- Proben seiner Kunst linden lieh in v. Lützo w's Ver\ lelsaltigender Kunst
der Gegenwart, Band I, Seite 230 — 232.



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