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Chronik für vervielfältigende Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3813#0054
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50

DIE KLEINMEISTER UND DIE ITALIENISCHE KUNST.
EIN BEITRAG ZUR QUELLENKUNDE DER DEUTSCHEN RENAISSANCE.

III.1
BARTEL UND HANS SEBALD BEHAM.


Isas Bruderpaar Beham mit Georg Penz — die Nürnberger Trias
II der „gottlofen Maler", — der Monogrammin I. B., vermuthlich
ihr engerer Landsmann, und der Kölner Jacob Binck bilden
demnach den eigentlichen Stamm unl'erer Gruppe, wie üe hier vornehm-
lich vom Gesichtspunkte des italienischen EinssuiTes beleuchtet wird.
Dass sür Bartcl Beham, Penz, den Meister I. B. die Annahme einer
Romreise ein starkes Mars von Wahrfcheinlichkeit besitzt, wurde bereits
angedeutet; möglicherweise ist Bartel Beham noch mit Marc Anton
selbd in Berührung gekommen. Neudöiser zwar weirs blos eine von der
Gunrt Herzogs Wilhelm in Baiern erwirkte Studienreile nach Italien zu
melden, aus welcher er 1540 verdorben sei. Allein schon Bartseh hat einen
italienischen Ausenthalt vor 1520 vermuthet und Woltmann (Verzeichnis
der Gemälde in der siirstl. Fürrtenbergischen Sammlung zu Donauesehin-
gen, Karlsruhe 1870, S. 16) aus dem Stilcharakter der Münchener Kreuz-
ausfindung von 1530 — das Bild erinnert nicht so sehr in der allgemein
südlich anmuthenden Phantasie-Architektur an Venedig, als in einzelnen
Typen an Gentile Bellini und Carpaccio — mit Recht gefolgert, dass
ein lolcher wenigfiens dierem Jahre vorangegangen fein musse. Da nun
der Künstler 1527 — 1530 im Diende seines Herzogs zu München lebte,
zu Beginn des Jahres 1525 aber, als ihn die Ausweitung aus Nürnberg
trat, bereits mit feinem Bruder eine Werkstatt und eigenen Hausstand
gegründet hatte, so erübrigt für seine erde Italienfahrt, die er in jenem,
wahrscheinlich bedrängten, Intervall von 1525 — 1527 kaum unternommen
haben dürfte, in der That nur die Lehr- und Wanderzeit um oder besser
vor 1520, da aus diesem Jahre rchon ein völlig reifes Blatt, der ,,hl.
Chrittophorus" (B. 10), datirt.
Aus chronologischen Gründen also fcheint Sandrart's Mittheilung
über den Umgang Bartel Beham's mit Marc Anton und einer Thätigkeit
in dessen Werkstatt nicht anfechtbar; wohl aber trägt die fernere Behaup-
tung Sandrart's, die besten Stiche Marc Anton's seien mit Bartel's Hilse
gefertigt, den Stempel der Übertreibung an der Stirne, wie umgekehrt
etwa der Ausspruch Zani's, Bartel Beham sei der deutsehe Marc Anton,
nur als wohlgemeinter Superlativ entschuldigt werden kann. Diese zu-
nächst rein biographische Frage sällt insoserne in den Rahmen unferer
Untersuchung, als Passavant auf Sandrart's Nachricht hin eine Reihe von
Stichen Marc Anton's mit mehr oder minder grosser Bedimmtheit für
Bartel Beham in Anspruch nahm — einVersuch, derhöchfiens bei einem
Blatte als geglückt betrachtet werden darf. Sieht man von demselben, der
Wiederholung der Marc Anton'schen ,,Cognitio Dei" nach der Zeichnung
Rafsael's (B. XIV, Nr. 445, Copie B.), ab, so bleibt nur noch eine weitere
unmittelbare Copie nach Raimondi, der Hercules (B. 35) nach der Figur
des Äolus aus dem ,,Quos ego" (B. 352), übrig; denn die aureine Zeich-
nung Parmigianino's zurückgehende „Vision der hl. Helena" (B. XIV,
Nr. 460), die Beham sür die „Madonna am Fenster" (B. 8) benützte,
rührt nicht von dem römischen Stecher her. Bestätigt sich eine Zuschrei-
bung Passavant's, so hat Beham eine weitere Erfindung Raffael's, die
durch den Helldunkelschnitt Ugo's da Carpi verbreitete „Sibylle", copirt
(Pass. IV, Nr. 67 a). Der ältere Mitlchüler Marc Anton's in Bologna,
Giacomo Francia, hat unteres Erachtens dem deuttchen Künstler die Vor-
bilder sür feine Cleopatra (B. 12) und die beiden Lucretien (B. 14, 15)
geliefert, Ag. Veneziano, woferne ihm wirklich der Stich „Apollo und
Daphne", B. XV, Nr. 317, angehört, inspirirte Bartel zweimal (B. 25, 43),
indem er ihm Compositionen Baccio Bandinelli's und G. Campagnola's
zutrug. Ganz venetianisch gemahnen die, beiläufig getagt, einzelnen
Frauenfiguren des Münchener Kreuzbildes nächstverwandten Madonnen
mit dem Todtenkops und der Blumenvafe (B. 5, 6), während die „hl. Jung-
srau mit dem Papagei" (B. 7) an den, durch ein tizianssches Motiv — das
1 Vergl. Chronik für vervielfältigende Kunlt III, Nr. 3, S. IS—21; Nr. 5, S

Kind ist unter das Kopstuch der Mutter gefehlüpit — gefallsam belebten
Madonnentypus Moretto's anklingt. Zwisohendurch reproducirt B. Beham
ein Niello (B. 33) und lehnt sich in einem allegorischen Blättchen (B. 39)
an eine Plaquette an. Völlig vereinzelt nicht nur in seinem Stecherwerke,
sondern innerhalb der deuttchen Renaissance überhaupt, slehen die drei
Schlachtenfriese B. 16—18. Die Kampsscene B. 17 ist, wie unfer Verzeich-
nis darlegt, höchst wahrfcheinlich die deutsehe RedaSion einer freien
Phantasse Bramante's über Motive römischer Sarkophagreliefs. In ungleich
reinerer Abschrift sind uns auf B. 16 und 18 Entwürfe eines Renaissance-
künstlers ersten Ranges erhalten, der sich mit dem Geiste rpätrümifcher
Sarkophagskulpturen innig durchdrungen, möglicherweise die pergameni-
schen Gallierstatuen gekannt hat; wissen wir doch, dars der 1523 zu Rom
verdorbene Cardinal Grimani die drei venetianifehen Figuren aus der
Galliergruppe des Attalosgeschenkes besass, während von dem Interesse,
welches die vier farnesischen Statuen nach ihrer Ausgrabung zu Beginn
des XVI. Jahrhunderts erregten, die Ausnahmen vor aller Redauration in
der Zeichnungensammlung dal Pozzo's aur der Bibliothek zu Windsor
Kunde geben. (S. Matz, Arch. Zeit., 1874, S. 33 ff.; Michaelis, ebd. 1875,
S. 66 ff.; ders., Ancient marbles in Great Britain, Cambridge 1882,
p. 718 ff.). Jedenfalls bedeuten diese beiden Blätter B. Beham's die höchde
Leidung „antigischer art", zu welcher sich die deutsehe Kund der Epoche
aufzuschwingen vermochte — fchon darum, weil sie keine dückweise
Nachahmung, sondern allem Anfcheine nach die geschlossene Wieder-
gabeeiner, sreilich bereits durch diePhantasie eines italienifchen Künstlers
hindurchgegangenen, antiken Gesammtcomposition enthalten. Einzelne
Figuren lassen sich aurSkizzenblätterRaffaels, Michel Angelo's, Lionardo's
zurückrühren; unmittelbar an den Letzteren erinnert der „Kampf um die
Fahne" in der Mittelgruppe von B. 18. Gleichwohl wird man vergebens
bemüht fein, den Stil eines der drei überragenden Cinquecentiden in der
Phrasirung des Themas zu entdecken und sich vorläufig bescheiden
mussen, aur die antike Urquelle zu verweilen, t
Bartel Beham fcheint endlich zwei Leitmotive des Kleinmeister-
ornaments aus Oberitalien heimgebracht zu haben, das ja mit Recht als
Wiege der deuttchen Frührenailsancedecoration angesehen wird — Zoan
Andrea's Piladerfüllungen bilden ein wahres Reservoir derselben — aber,
wo es doch nicht so leicht hält, die Archetypen der einzelnen Zierformen
aufzuspüren, wie Springer, Bilder aus der neueren Kundgeschichte II'-,
132, 155 (Die deutsehe Baukund im XVI. Jahrhundert) meint. Unter
den in Fresko, weiss aur blau, gemalten Kassettcnornamenten an der
Decke des oberen Saales der Scuola del Santo zu Padua (Oratorio di
S. Giorolamo oder della Confraternitä') — der 1505 in seiner heutigen
Gedalt vollendete Raum wurde 1510 — 1511 von Tizian und seinen
Schülern mit den berühmten Wandgemälden geschmückt (S. B. Gonzati,
La balilica di S. Antonio, Padova 1852,1. 284 ff.) — begegnet sowohl der
Gedanke von Bartel Beham's häufig nachgebildeter Hochleide Pass. 76.:
der Harnifch, aus dem in Beerenbüfchel endigende Ranken spriessen,
als auch der Maskaron von H. S. Beham's Querlüllung B. 234; ich
nehme an, dass Letzterer dem Bruder, dessen vier allein beglaubigte
Ornamentblätter er nachdach, auch dieles Motiv verdankte, welches er
in den Holzfchnittleiden Pass. 206 und 207 nochmals verwerthete.
So reflectiren sich mannigrache Richtungen der Renaissance in
den Stichen Bartel Beham's und es rühren durchaus nicht alle Wege
1 Vgl. H. Grimm, Über Künstler u. Kunstw. II, 30 sf. und die ungarische
Publication K. Pulszky's: Csatakepek a XVI-I K Szäzadböl (Schlachtenbilder
d. XVI. Jh.), Budapest 1880. — Den Hinweis auf die Attalosstatuen verdanke ich
Herrn Pros. Dr. F. Wickhosf. — Ein interessantes Beispiel für die vielseitige Ver-
wendung, welche diese Compositionen B.Beham's sanden, bietetder nach einer ober-
italienischen Decorationssitte in Steinsarben gemalte Relieffries mit Schlachten-
35-38.
 
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