VII. EIN BAU ETRUSKO-ITALISCHEN TYPS
Zu den Terrakottafragmenten (Kat. A 3.1 - A 3.3; Taf. 30,1-3), die mit Sicherheit aus dem Hei-
ligtum stammen, kommt vermutlich noch eine weitere Tonplatte im Mus. Civico von Canosa hinzu,
die bereits abgebildet worden ist (Kat. A 3.4; Taf. 30,4). Dargestellt ist hier der Kopf einer Athena
mit geflügeltem Helm und Speer. Die Herkunft der Platte ist ungeklärt. Ihre Provenienz aus der
Localitä S. Leucio ist jedoch aufgrund des Athenakopfes plausibel954. Deshalb ist sie in den Katalog
mit aufgenommen worden. Sämtliche Fragmente sind ohne Zweifel einer hellenistischen Dachde-
koration etrusko-italischen Typs zuzurechnen. Während die Fragmente Kat. A 3.1 (Taf. 30,2) und
A 3.2 (Taf. 30,1) Bestandteile von Friesplatten waren, die den Dachrand verkleideten, stammt das
Haarfragment Kat. A 3.3 (Taf. 30,3) möglicherweise von einer Giebelfigur. Die Platte im Museum
von Canosa ist als Fragment einer Sima anzusehen.
Eine Datierung der Fragmente ist wegen ihres bruchstückhaften Erhaltungszustandes schwierig.
Kennzeichnend ist eine flüchtige, nicht sehr präzise Ausarbeitung der Binden und Haare. Diese Art
der Ausarbeitung läßt eine Datierung in das 2. Jh.v.Chr. am plausibelsten erscheinen. Die Binde
oder die Fransen (Kat. A 3.1; Taf. 30,2) können etwa neben das Fragment eines mit Pterygesreihen
versehenen Brustpanzers aus Fregellae gestellt werden, das zu einem Fundkomplex des frühen
2. Jhs.v.Chr. zählt955. Die unbewegt starre Ausarbeitung des Athenakopfes mit nur angedeuteten
Haarsträhnen findet ebenfalls Parallelen im 2. Jh.v.Chr. Es lassen sich ein Terrakottakopf aus Hei-
ligtum der Iuno von Gabii und die Köpfe zweier Votivdeposita aus Cales vergleichen956. Eine präzi-
sere Datierung als das 2. Jh.v.Chr. erscheint zur Zeit nicht möglich. Der Erhaltungszustand der
Fragmente verhindert auch eine genauere Deutung. Lediglich für die Athena mit dem geflügelten
Helm lassen sich ikonographische Parallelen auffuhren. Der Typus ist von griechischen Terrakotten
und der apulisch-rotfigurigen Vasenmalerei957 bald in die etruskisch-italische Koroplastik
übernommen worden, wie Antefixe und ein Fries aus Salerno di Fratte zeigen958.
So geringfügig die soeben besprochenen Überreste auch sein mögen, belegen sie doch einen
weiteren Bau im Heiligtum in der Localitä S. Leucio, dessen Dach mit einer Terrakottadekoration
italischen Typs dekoriert war. Dieser Bau ist wahrscheinlich im 2. Jh.v.Chr. erbaut worden und ist
somit in annähernd demselben Zeitraum wie der Tempel entstanden. Der Bau kann als zusätzliches
Argument für die These gewertet werden, daß im 2. Jh.v.Chr. in der in der Localitä S. Leucio ver-
ehrten Göttin die römische Minerva erkannt wurde.
Neben dem Haupttempel des Heiligtums, dessen Grundriß und aufgehende Architektur in der
Tradition griechisch-hellenistischer Vorbilder standen, gab es demnach einen weiteren Bau in dem
canosinischen Heiligtum auf dem Colle di S. Leucio, dessen Gebälk in etrusko-italischer Tradition
steht. Auf engstem Raum sind somit ein „griechischer“ und ein „römischer Bau“ belegt. Die Er-
richtung des Gebäudes erfolgt in einer Zeit, in der erstmalig in Daunien die verstärkte Rezeption
römischer Vorbilder auf verschiedenen Ebenen festzustellen ist. Im späten 3. Jh.v.Chr. werden in
954 Zum Kult der Athena in dem canosinischen Heiligtum s.o. Kapitel VIII.8.
955 Vgl. Kaenel a.O. (s.o. Anm. 541) 116 Abb. 5.- Zur Dat.: Kaenel ebenda 109ff.
956 Kopf aus Gabii: M. Almagro-Gorbea (Hrsg.), El santuario de Juno en Gabii. Excavaciones 1956-1969 (1982)
Taf. 29.- Köpfe aus Cales: S. Ciaghi, Le terrecotte figurate da Cales del Museo Nazionale di Napoli (1993) 249f.
Abb. 178f.
957 Terrakotten: LIMC II (1982) 965. 1019 Nr. 64. 65 s.v. Athena (Demargne).- Apulisch-rf. Vasenmalerei: M.-O. Jentel,
Les gutti et les askoi ä reliefs etrusques et apuliens (1976) 45f.; G. Greco in: La coroplastica templare etrusca fra il IV
e il II secolo a.C. XVI Convegno di studi etruschi e italici Orbetello 1988 (1992) 236f. (Belege).- Vgl. auch Webge-
wichte aus Ordona: R. Iker in: Mertens, Herdonia 109 Abb. 69.
958 Vgl. Greco ebenda; dies, in: Fratte. Un insediamento etrusco-campano. Ausstellungskat. Salerno 1990, 65f. 67f.;
N. Cuomo di Caprio - M. Romito in: DelFic 55ff.
Zu den Terrakottafragmenten (Kat. A 3.1 - A 3.3; Taf. 30,1-3), die mit Sicherheit aus dem Hei-
ligtum stammen, kommt vermutlich noch eine weitere Tonplatte im Mus. Civico von Canosa hinzu,
die bereits abgebildet worden ist (Kat. A 3.4; Taf. 30,4). Dargestellt ist hier der Kopf einer Athena
mit geflügeltem Helm und Speer. Die Herkunft der Platte ist ungeklärt. Ihre Provenienz aus der
Localitä S. Leucio ist jedoch aufgrund des Athenakopfes plausibel954. Deshalb ist sie in den Katalog
mit aufgenommen worden. Sämtliche Fragmente sind ohne Zweifel einer hellenistischen Dachde-
koration etrusko-italischen Typs zuzurechnen. Während die Fragmente Kat. A 3.1 (Taf. 30,2) und
A 3.2 (Taf. 30,1) Bestandteile von Friesplatten waren, die den Dachrand verkleideten, stammt das
Haarfragment Kat. A 3.3 (Taf. 30,3) möglicherweise von einer Giebelfigur. Die Platte im Museum
von Canosa ist als Fragment einer Sima anzusehen.
Eine Datierung der Fragmente ist wegen ihres bruchstückhaften Erhaltungszustandes schwierig.
Kennzeichnend ist eine flüchtige, nicht sehr präzise Ausarbeitung der Binden und Haare. Diese Art
der Ausarbeitung läßt eine Datierung in das 2. Jh.v.Chr. am plausibelsten erscheinen. Die Binde
oder die Fransen (Kat. A 3.1; Taf. 30,2) können etwa neben das Fragment eines mit Pterygesreihen
versehenen Brustpanzers aus Fregellae gestellt werden, das zu einem Fundkomplex des frühen
2. Jhs.v.Chr. zählt955. Die unbewegt starre Ausarbeitung des Athenakopfes mit nur angedeuteten
Haarsträhnen findet ebenfalls Parallelen im 2. Jh.v.Chr. Es lassen sich ein Terrakottakopf aus Hei-
ligtum der Iuno von Gabii und die Köpfe zweier Votivdeposita aus Cales vergleichen956. Eine präzi-
sere Datierung als das 2. Jh.v.Chr. erscheint zur Zeit nicht möglich. Der Erhaltungszustand der
Fragmente verhindert auch eine genauere Deutung. Lediglich für die Athena mit dem geflügelten
Helm lassen sich ikonographische Parallelen auffuhren. Der Typus ist von griechischen Terrakotten
und der apulisch-rotfigurigen Vasenmalerei957 bald in die etruskisch-italische Koroplastik
übernommen worden, wie Antefixe und ein Fries aus Salerno di Fratte zeigen958.
So geringfügig die soeben besprochenen Überreste auch sein mögen, belegen sie doch einen
weiteren Bau im Heiligtum in der Localitä S. Leucio, dessen Dach mit einer Terrakottadekoration
italischen Typs dekoriert war. Dieser Bau ist wahrscheinlich im 2. Jh.v.Chr. erbaut worden und ist
somit in annähernd demselben Zeitraum wie der Tempel entstanden. Der Bau kann als zusätzliches
Argument für die These gewertet werden, daß im 2. Jh.v.Chr. in der in der Localitä S. Leucio ver-
ehrten Göttin die römische Minerva erkannt wurde.
Neben dem Haupttempel des Heiligtums, dessen Grundriß und aufgehende Architektur in der
Tradition griechisch-hellenistischer Vorbilder standen, gab es demnach einen weiteren Bau in dem
canosinischen Heiligtum auf dem Colle di S. Leucio, dessen Gebälk in etrusko-italischer Tradition
steht. Auf engstem Raum sind somit ein „griechischer“ und ein „römischer Bau“ belegt. Die Er-
richtung des Gebäudes erfolgt in einer Zeit, in der erstmalig in Daunien die verstärkte Rezeption
römischer Vorbilder auf verschiedenen Ebenen festzustellen ist. Im späten 3. Jh.v.Chr. werden in
954 Zum Kult der Athena in dem canosinischen Heiligtum s.o. Kapitel VIII.8.
955 Vgl. Kaenel a.O. (s.o. Anm. 541) 116 Abb. 5.- Zur Dat.: Kaenel ebenda 109ff.
956 Kopf aus Gabii: M. Almagro-Gorbea (Hrsg.), El santuario de Juno en Gabii. Excavaciones 1956-1969 (1982)
Taf. 29.- Köpfe aus Cales: S. Ciaghi, Le terrecotte figurate da Cales del Museo Nazionale di Napoli (1993) 249f.
Abb. 178f.
957 Terrakotten: LIMC II (1982) 965. 1019 Nr. 64. 65 s.v. Athena (Demargne).- Apulisch-rf. Vasenmalerei: M.-O. Jentel,
Les gutti et les askoi ä reliefs etrusques et apuliens (1976) 45f.; G. Greco in: La coroplastica templare etrusca fra il IV
e il II secolo a.C. XVI Convegno di studi etruschi e italici Orbetello 1988 (1992) 236f. (Belege).- Vgl. auch Webge-
wichte aus Ordona: R. Iker in: Mertens, Herdonia 109 Abb. 69.
958 Vgl. Greco ebenda; dies, in: Fratte. Un insediamento etrusco-campano. Ausstellungskat. Salerno 1990, 65f. 67f.;
N. Cuomo di Caprio - M. Romito in: DelFic 55ff.