X. ERGEBNISSE
Anhand der oben diskutierten Architektur- und Befundgeschichte des Heiligtums in der Localitä
S. Leucio in Canosa können Antworten auf die eingangs formulierten Fragen gegeben werden, die
in der Hauptsache um die Themen Chronologie, Kult und Akkulturation kreisen1792.
Im Zentrum des ersten Abschnittes der Arbeit standen die Bauten aus dem Heiligtum.
Ein erster Bau konnte über Dachterrakotten des späten 6. Jhs.v.Chr. erschlossen werden. Ein
Überblick über die Funde von Dachterrakotten des 6. und des frühen 5. Jhs.v.Chr. zeigt, daß der-
selbe Dachtypus wie in der Localitä S. Leucio auch in der Localitä Toppicelli und im Canosa be-
nachbarten Canne belegt ist. Er ist vermutlich über Peuketien in die beiden süddaunischen Zentren
gelangt. Im nahegelegenem Gebiet von Melfi fanden sich hingegen vor allem Antefixe, die sich an
metapontinischen Typen orientieren und über das Tal des Bradano exportiert worden sind. Vom
Gebiet um Melfi aus erfolgte die weitere Verbreitung der Typen nach Arpi, Bovino und Ordona. In
Norddaunien fanden sich hingegen Antefixe, die auf etrusko-kampanische Typen zurückgehen. In-
sofern nehmen Canne und Canosa eine Sonderstellung im antiken Daunien ein, die mit ihrer geo-
graphischen Lage in Süddaunien und den engen Kontakten zum benachbarten Peuketien zu erklären
ist, das schon im 6. Jh.v.Chr. sehr viel stärker griechische Vorbilder rezipierte als das von Tarent
und Metapont sehr viel weiter entfernte Daunien.
Trotz fehlender weiterer Relikte können Rückschlüsse auf die Bestimmung des Baus gezogen
werden: Ein Vergleich mit erhaltenen Gebäuden in Canosa, Localitä Toppicelli, Canne, Lavello,
Serra di Vaglio, Monte Sannace und Cavallino zeigt, daß das Gebäude vermutlich kein Tempel
war, sondern ein palatiales Gebäude der lokalen Aristokratie, für das sich u.a. Parallelen in Etrurien
aufzeigen lassen. Das Erscheinungsbild der archaischen daunischen Siedlungen von Lavello und
Canne bzw. die dort belegte polyzentrische Siedlungsweise läßt die Hypothese zu, daß wie dort
auch das spätarchaische Gebäude in der Localitä S. Leucio im Zentrum einer kleinen unbefestigten
Siedlung stand.
Ein zweiter Bau wurde im späten 4. oder der 1. Hälfte des 3. Jhs.v.Chr. errichtet. Erhalten sind
ein Gorgonen- und mehrere Löwenkopfantefixe, zu denen keine Parallelen auf einheimischem Ge-
biet bekannt geworden sind. Sie sind in enger Anlehnung an tarentinische Löwenkopfwasserspeier
modelliert worden. Durch den Vergleich mit einem zeitgleichen daunischen Kultbau in Lavello
konnte gezeigt werden, daß das Gebäude vermutlich ein kleiner Naiskos war, dessen Vorbilder in
griechischen Heiligtümern gesucht werden müssen. Wahrscheinlich war dieser Naiskos das erste
Kultgebäude in dem Heiligtum, da die ersten Votive ebenfalls in die 2. Hälfte des 4. Jhs.v.Chr. zu
datieren sind. Die "Verstädterung" daunischer Siedlungen in der 2. Hälfte des 4. Jhs.v.Chr., die sich
am deutlichsten in Ordona nachweisen läßt, führt zu der Annahme, daß spätestens von diesem
Zeitpunkt an die Localitä S. Leucio außerhalb der Siedlung Canosa lag, die sich vermutlich rund
um die Akropolis erstreckte.
Der dritte Bau in dem Heiligtum war ein monumentaler Tempel, der im Gegensatz zu seinen
Vorgängerbauten von der italienischen Forschung ausführlicher diskutiert worden ist. Sowohl die
vorgeschlagene Rekonstruktion als etrusko-italischer Podiumstempel mit dreiteiliger Cella als auch
die Datierung des Tempels in das späte 4. bis frühe 3. Jh.v.Chr. konnten widerlegt werden.
Vor allem ältere Pläne erlauben die Hypothese, daß der Grundriß des Tempels vermutlich grie-
chische Vorbilder hatte. Wegen des Erhaltungszustandes der Ruine sind zum Aufbau nur Hypothe-
sen möglich. Die korinthischen Kopfkapitelle, die Metope mit dem Muskelpanzer, die Mosaiken
und die Telamone erlauben eine Datierung in die 1. Hälfte des 2. Jhs.v.Chr. Wahrscheinlich waren
1792
Speziell dazu vgl. Kapitel I.
Anhand der oben diskutierten Architektur- und Befundgeschichte des Heiligtums in der Localitä
S. Leucio in Canosa können Antworten auf die eingangs formulierten Fragen gegeben werden, die
in der Hauptsache um die Themen Chronologie, Kult und Akkulturation kreisen1792.
Im Zentrum des ersten Abschnittes der Arbeit standen die Bauten aus dem Heiligtum.
Ein erster Bau konnte über Dachterrakotten des späten 6. Jhs.v.Chr. erschlossen werden. Ein
Überblick über die Funde von Dachterrakotten des 6. und des frühen 5. Jhs.v.Chr. zeigt, daß der-
selbe Dachtypus wie in der Localitä S. Leucio auch in der Localitä Toppicelli und im Canosa be-
nachbarten Canne belegt ist. Er ist vermutlich über Peuketien in die beiden süddaunischen Zentren
gelangt. Im nahegelegenem Gebiet von Melfi fanden sich hingegen vor allem Antefixe, die sich an
metapontinischen Typen orientieren und über das Tal des Bradano exportiert worden sind. Vom
Gebiet um Melfi aus erfolgte die weitere Verbreitung der Typen nach Arpi, Bovino und Ordona. In
Norddaunien fanden sich hingegen Antefixe, die auf etrusko-kampanische Typen zurückgehen. In-
sofern nehmen Canne und Canosa eine Sonderstellung im antiken Daunien ein, die mit ihrer geo-
graphischen Lage in Süddaunien und den engen Kontakten zum benachbarten Peuketien zu erklären
ist, das schon im 6. Jh.v.Chr. sehr viel stärker griechische Vorbilder rezipierte als das von Tarent
und Metapont sehr viel weiter entfernte Daunien.
Trotz fehlender weiterer Relikte können Rückschlüsse auf die Bestimmung des Baus gezogen
werden: Ein Vergleich mit erhaltenen Gebäuden in Canosa, Localitä Toppicelli, Canne, Lavello,
Serra di Vaglio, Monte Sannace und Cavallino zeigt, daß das Gebäude vermutlich kein Tempel
war, sondern ein palatiales Gebäude der lokalen Aristokratie, für das sich u.a. Parallelen in Etrurien
aufzeigen lassen. Das Erscheinungsbild der archaischen daunischen Siedlungen von Lavello und
Canne bzw. die dort belegte polyzentrische Siedlungsweise läßt die Hypothese zu, daß wie dort
auch das spätarchaische Gebäude in der Localitä S. Leucio im Zentrum einer kleinen unbefestigten
Siedlung stand.
Ein zweiter Bau wurde im späten 4. oder der 1. Hälfte des 3. Jhs.v.Chr. errichtet. Erhalten sind
ein Gorgonen- und mehrere Löwenkopfantefixe, zu denen keine Parallelen auf einheimischem Ge-
biet bekannt geworden sind. Sie sind in enger Anlehnung an tarentinische Löwenkopfwasserspeier
modelliert worden. Durch den Vergleich mit einem zeitgleichen daunischen Kultbau in Lavello
konnte gezeigt werden, daß das Gebäude vermutlich ein kleiner Naiskos war, dessen Vorbilder in
griechischen Heiligtümern gesucht werden müssen. Wahrscheinlich war dieser Naiskos das erste
Kultgebäude in dem Heiligtum, da die ersten Votive ebenfalls in die 2. Hälfte des 4. Jhs.v.Chr. zu
datieren sind. Die "Verstädterung" daunischer Siedlungen in der 2. Hälfte des 4. Jhs.v.Chr., die sich
am deutlichsten in Ordona nachweisen läßt, führt zu der Annahme, daß spätestens von diesem
Zeitpunkt an die Localitä S. Leucio außerhalb der Siedlung Canosa lag, die sich vermutlich rund
um die Akropolis erstreckte.
Der dritte Bau in dem Heiligtum war ein monumentaler Tempel, der im Gegensatz zu seinen
Vorgängerbauten von der italienischen Forschung ausführlicher diskutiert worden ist. Sowohl die
vorgeschlagene Rekonstruktion als etrusko-italischer Podiumstempel mit dreiteiliger Cella als auch
die Datierung des Tempels in das späte 4. bis frühe 3. Jh.v.Chr. konnten widerlegt werden.
Vor allem ältere Pläne erlauben die Hypothese, daß der Grundriß des Tempels vermutlich grie-
chische Vorbilder hatte. Wegen des Erhaltungszustandes der Ruine sind zum Aufbau nur Hypothe-
sen möglich. Die korinthischen Kopfkapitelle, die Metope mit dem Muskelpanzer, die Mosaiken
und die Telamone erlauben eine Datierung in die 1. Hälfte des 2. Jhs.v.Chr. Wahrscheinlich waren
1792
Speziell dazu vgl. Kapitel I.