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Fächer, sondern auch in Rücksicht auf die Behandlung derselben. Viele
derselben, wie beispielsweise die obengenannten, sind in dem akademischen Lehr-
plan vertreten, andere jedoch, welche von nicht minderer Bedeutung sind, nicht.

Ehe wir hierauf näher eingehen und die etwaigen Lücken in der Ver-
tretung der ideellen Lehrfächer Nachweisen, müssen wir noch einen anderen,
fast noch bedeutungsschwereren Punkt in dem Organismus unserer Akademien
berühren, nämlich die Garantie, welche von den akademischen Lehrern rück-
sichtlich ihrer Qualifikation als Lehrer gefordert wird.

Jedes andere öffentliche Lehrinstitut, und namentlich die Universität, for-
dert von denjenigen, welche sich als Lehrer auf demselben etabliren und als
solche daran Mitwirken wollen, eine gewisse Gewährleistung für ihre praktische
und theoretische Qualifikation als Lehrer. Diese Gewähr wird durch die zahl-
reichen und sehr difficilen Examina gegeben. In der Wissenschaft zwar reicht das
theoretische Wissen oft für eine solche Qualifikation aus. Denn wer z. B. die
griechische Sprache kennt, kann sie — eben weil er sie selber systematisch
gekernt hat — auch wieder lehren (und gleichwohl nicht immer, wenn ihm
das Talent zum Lehren überhaupt abgeht). Anders verhält es sich mit den
Kenntnissen, die man sich sozusagen instinktartig, d. h. ohne reflektirendes
Bewußtsein, erwirbt; z. B. mit lebenden Sprachen, die man nicht aus der
Grammatik, sondern durch den Umgang lernt. Nicht Jeder, der deutsch, fran-
zösisch u. s. f. spricht, kann auch deshalb schon in der deutschen, französischen
u. s. f. Grammatik Unterricht geben, es sei denn, daß er sich die früher un-
willkürlich und instinktartig angewandten Regeln dieser Sprachen zum Bewußt-
sein gebracht und das ganze Gebäude ihrer Gesetze, die er früher aus dem
Sprachgefühl schöpfte, in ein verständiges System verwandelt hat.

Der künstlerische Instinkt hat nun mit diesem Sprachgefühl das
Gemeinsame, daß auch er über die Gesetze seines Schaffens nicht reflektirt.
Der Künstler wird 'sich schwerlich — und zwar je mehr wahrhafter Künstler
er ist, desto weniger — in dem Augenblick des Producirens eine verstän-
dige Rechenschaft über die inneren Gründe seines Schaffens geben können,
ohne sich der Gefahr auszusetzen, daß der aus seinem Künstlerinstinkt geborne
und durch die. Begeisterung des Talents angefachte Funke der schöpferischen
Kraft und Zeugungssähigkeit durch die nüchterne Kälte der Reflexion getödtet
werde. Etwas Anderes aber ist künstlerisch Schaffen, Anderes künstlerisch
Lehren. Zu dem letzteren ist gerade jene Verwandlung des unmittelbaren
Gefühls in das verständige Bewußtsein nothwendig, und es ergiebt sich dar-
aus, daß ei» tüchtiger Künstler deshalb noch kein ausgezeichneter Kunstlehrer
sein wird, wenn-er dies letztere nicht auf dem Wege des theoretischen Stu-
diums geworden ist. Es kann daher auch nicht auffallen, wenn die Erfahrung
vielfache Beweise dafür liefert, daß gerade die talentvollsten und eminentesten
Künstler sich oft am wenigsten zum Lehren geschickt zeigen und umgekehrt vorzüg-
liche Kunstlehrer nicht selten mittelmäßige Künstler sind. Ja es liegt hierin
sogar eine Art von Nothwendigkeit; die sich eben aus jenem Gegensatz zwi-
schen verständiger Reflexion und praktischer Produktion erklärt.

Es folgt fetner aus diesem Gegensatz zwischen dem künstlerischen Schaf-
fen und dem künstlerischen Lehren, daß das elftere an sich noch keine Ga-
rantie für die Qualifikation zum letzteren darbieten kann, und daß daher diese
Garantie außerhalb und unabhängig von der Bedeutung des Künstlers als
eines solchen zu suchen ist. Diese Garantie durch Heranbildung von
Kunstlehrern zu gewähren, scheint nun die eigentliche Aufgabe des „Eleven-
instituts", denn dieses'würde von diesem Gesichtspunkte als eine Vorschule zu
betrachten sein, in welcher die sich zu Kunstlehrern heranbildenden Künstler in
den Stand gesetzt werden, sich des theoretischen Gesammtstckffs der
Kunst zu bemächtigen. Der Ausdruck „Theoretisch" bedarf wohl hier keiner
Rechtfertigung, um ihn vor einem naheliegenden Mißverständniß zu schützen.
Bei dem Lehrvortrage handelt es sich für den Künstlehrer offenbar weniger
um den praktischen Beweis dessen, was -irr ihm als Künstler lebt und
von ihm gefühlt wird, vermittelst des Pinsels oder Meißels, als um eine
Erklärung, Auseinandersetzung vermittelst des Wortes. Pinsel und Meißel
kommen als praktische Mittel erst in zweiter Reihe in Betracht, indein sie nur
zur anschaulichen Erläuterung des Vorgetragenen dienen. Das erklärende
Wort ist bei dem Lchrvortrage ohne Zweifel das eigentliche und hauptsächliche
Berständigungsmittel. Das Wort aber setzt eben jenes verständige Bewußt-
sein voraus, in welches das instinktartig Empfundene verwandelt werden muß,
um gelehrt und mitgetheilt werden zu können. In der künstlerischen Pro-
duktion ist allerdings diese Verwandlung nicht nothwendig, weil hier das Em-
pfundene unmittelbar — d. h. ohne erst das Fegefeuer der Reflexion zu pas-
siren — in den Pinsel und Meißel, d. h. in Farbe und Form übergeht. Bei
. der Lehre aber muß das Empfundene ein Begriffenes werden, um selber wie-
der von Anderen begriffen zu werden. (Die Ausdrücke „Empfinden", d. h.
Innerlich-Finden, und „Begreifen", d. h. objektiv Fassen, geben den besten
Kommentar zu dieser Verwandlung der Praxis in die Theorie.)

So lange aber der Lehrer nicht das ganze Kunstgebiet seinem verstän-
digen Begreifen unterworfen hat, so lange er es nicht in seiner organischen
Gliederung und in seinem inneren Gesammtzusammenhange über-
schaut, wird er es vergeblich versuchen, bei einzelnen vorliegenden Fällen theo-
retisch zu verfahren. Er wird sich dann — vorzüglich in den an sich schon
mehr theoretischen Fächern, wie z. B. in der Kompositionslehre, weil es hier
mehr als in anderen praktischen Zweigen auf die Entwickelung von inneren
Gründen und ästhetischen Motiven ankommt — entweder darauf beschränken
müssen, statt solcher innerer Gründe für die Nothwendigkeit dieses oder jenes
Ausdrucks, dieser oder jener Gruppirung u. s. f. einen negativen Beweis
anzutreten, d. h. darzuthun: warum eine andere Anschauung und Auffassung
unwahr oder unschön wäre, statt das Wahre und Schöne zu entwickeln;
oder statt jedes Beweises andere bekannte Fälle als Vergleichungsmittel und
Belege beizubringen: beides Wege, welche doch im Grunde nur Aus- und
jedenfalls Umwege sind, und höchstens als Surrogate für positive und in die
Sache selbst in allgemeiner Weise eingehende Erklärungen dienen können.

Um aber zu dieser Beherrschung des theoretischen Gesammtstoffs der Kunst
zu gelangen, ist eine systematische Vorschule für den angehenden Kunstlehrer
von unumgänglicher Nothwendigkeit. Wenn wir die obige Vergleichung fort-
führen dürfen, so würde ein solches „Eleveninstitut" in der Akademie etwa
die Stellung einnehmen, welche auf der Universität die sogenannten „Semi-
narien" behaupten, in denen-die Schüler zu Lehrern der Philologie, der
Theologie u. s. f. herangebildet werden. Durch die Erweiterung und Erhebung
des Eleveninstituts zu einem solchen akademischen Seminar — um diesen Aus-
druck zu gebrauchen — würde dem Zufall und der Willkür, welche außerdem,
durch den Mangel hinreichender Garantien für die Qualifikation der Lehren-
den, mit der Besetzung der akademischen Lehrstellen nothwendig verbunden ist,
eine Schranke gesetzt, und die jungen Künstler selbst würden, von der mehr
planmäßigen und umfassenden theoretischen Ausbildung der Kunstlehrer den
größten Nutzen ziehen.

Was die Lehrer betrifft, welche einem so erweiterten „Eleveninstitut" vor-
stehen würden, so könnten dies aus erklärlichen Gründen nur solche sein, welche
— sei es durch Privatstudium, sei es durch öffentliche Anstalten — in den
Stand gesetzt waren, das betreffende Lehrfach zu ihrer speziellen Wissenschaft
zu machen. Denn derjenige, welcher sich berufen fühlt, nicht blos praktische
Künstler, sondern Kunst lehr er zu bilden, muß vorzugsweise in seiner Sphäre
zu Hause sein; auch schon aus dem Grunde, weil es in dem Vortrage dessel-
ben nicht sowohl darauf ankäme, auf die Anschauung als auf das Verständniß
zu wirken, da die Schüler eines solchen Instituts den aufzunehmenden Stoff
nicht blos praktisch zu Kunstwerken verarbeiten, sondern ihn behufs Wiederlehre
zum'klaren Bewußtsein erheben sollen.

Der Einwurf, daß Fächer, wie die weiter unten als zum „Eleveninstitut"
nothwendig bezeichneten, zum großen Theil auf der Universität gelehrt und
hier gehört werden konnten, ist nicht gerechtfertigt, und zwar weil es erstlich
der Würde der Akademie kaum angemessen sein dürfte, sich in so wesentlichen
Dingen auf ein ihr koordinirtes und im Prinzip Lanz fremdes Institut zu
stützen; ferner weil es in solchem Falle an einer hinlänglichen Kontrolle der
Schüler mangeln würde; und endlich weil die Art und Methode des rein
wissenschaftlichen Vortrags an der Universität für Kunstlehrer und noch mehr
für Künstler wenig geeignet sein dürfte. Denn nach unserer Ansicht ist es
nicht nothwendig, daß das „Eleveninstitut" in der Akademie eine so isolirte
Stellung einnehme, daß nicht auch solche Schüler an dem Unterricht desselben
Theil nehmen könnten, welche sich zu praktischen Künstlern ohne Rücksicht auf
die Möglichkeit, einst selbst zu lehren, heranbilden wollen.

Um bas Obige in einen einfachen Gedanken kurz zusammenzufassen, so
würde die Tendenz des „Eleveninstituts", wie es nach der bescheidenen Ansicht
des Verfassers wahrhaft ersprießlich zu wirken im Stande wäre, dahin zielen, eine
Pflanzschule für stie universelle und theoretische Kunstbildung
zu gewinnen, um dem sich zum Kunstlehrer berufen fühlenden Künstler die
Mittel zu einer lückenlosen und gründlichen wissenschaftlichen Durchbildung zu
gewähren, soweit sie zu seinem Berufe unumgänglich erforderlich ist. Alan irrt
sich, wenn man glaubt, daß man als Lehrer oder überhaupt in irgend einer-
öffentlichen Stellung nur gerade das zu seiner Bildung bedarf, was man
unmittelbar anwendet und braucht. So würde z. B. derjenige, welcher Ana-
tomie lehren wollte, sehr irren, wenn er der Ansicht wäre, daß er deshalb
auch nur Anatomie zu studiren brauchte, und nicht etwa auch Aesthetik, Psycho-
logie, Perspektive u. s. f- Die Wissenschaft ist ein Ganzes, dessen einzelne
Theile alle in einem organischen Zusammenhänge stehen und ohne einander
nicht gründlich verstanden werden können. Gerade die Allgemeinheit der Bil-
dung, die gleichmäßige Entwickelung der Fähigkeiten und Kenntnisse nach allen
Seiten einer Sphäre, macht erst wahrhaft fähig, irgend einen besonderen Theil
derselben richtig zu verstehen.
 
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