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Kunst-Kritik.

Kritische Wanderungen durch die Kunftinftitute und Ateliers von Berlin

Die Kunstausstellung der Berliner Akademie.

5. Artikel.

In unserem vorigen Artikel waren wir bei dem „socialen" und „Volks-
genre" stehen geblieben, welche auf der Ausstellung in ziemlich bedeutendem
Umfange vertreten sind. Am schärfsten prägt sich, wenigstens der Intention
nach die sociale Tendenz in dem Bilde von Julius Röder: „Neues Land
— Altes Leid" (Nr. 716) aus. Roder hat sich durch sein Auftreten mit
seinem „letzten Segen" vor sechs Jahren einen viel versprechenden Ruf er-
worben, aber die Hoffnungen, welche man damals mit Recht von ihm hegte,
nicht erfüllt. Das tiefpoetische Element, welches gerade in socialen Vorwür-
fen mehr als bei allen anderen eine Nothwendigkeit ist, trat in seinen darauf
folgenden Werken immer mehr zurück, ja verflüchtigte sich in seiner „Mutter
mit dem Kinde spielend" auf der vorigen Kunstausstellung bis zur trivialsten
Unschönheit. Röder malt aus besonderer Neigung fast ausschließlich Scenen
aus dem niederen Volksleben; die düstere Seite des modernen Proletarier-
daseins übt eine große Anziehung auf ihn ans. Und nicht darum tadeln wir
ihn; im Gegentheil: daß der Künstler mit seiner Zeit fühle, die Schwächen
und das Elend derselben zum Gegenstand einer, sei es satyrischen sei es tra-
gischen, Darstellung mache, ist eine der schönsten und ehrenwerthesten Aufgaben
seines künstlerischen Berufs. Denn die optimistische Ansicht, die Kunst sei nur
da, um Vergnügen und Lust zu erregen, ist nicht die unsere: Die Kunst ist
auch da, um zu belehren, um zu bessern und zu veredeln. Sie hat nicht blos
einen ästhetischen, sie hat auch einen kulturgeschichtlichen Beruf. Aber sie kann
diesem Berufe nur durch künstlerische Mittel Genüge thun. Sobald sie
aus den Grenzen der rein künstlerischen Wirkung heraustritt und in ihrer
Darstellungswelse die Tendenz sichtbar werden läßt, so „inerkt man die
Absicht und wird verstimmt". Dergleichen Tendenzbilder — und das
Röder'sche gehört dazu - haben die Eigenthümlichkeit, daß ihr Titel ge-
wöhnlich poetischer ist als das Bild selbst. So auch hier. Was sehen wir
in dieser, aus Mann, Frau, Kindern und alten Mutter bestehenden Auswan-
dererfamilie von „Neuem Lande", was von „Altem Leide"? Die noch jugend-
liche, etwas zarte Frau des Auswanderers ist krank, oder vielmehr ihr ist
„übel" geworden, und der Mann schaut mit Augen, als ob er etwa eine
Schlange erblicke, auf sie herab. Also Krankheit! Mein Gott, man braucht
nicht gerade Proletarier zu sein, um krank zu werden. Aber was wir sehen
möchten oder vielmehr was wir von einem solchen Bilde erwarten durften:
die geistige Misere und Niedergedrücktheit des modernen Paria — kurz das
Tragische und so zu sagen Fatalistische in diesem Krebsschaden der modernen
Kultur: davon sehen wir nichts. Auch die Malerei ist verhältnißmäßig
schwach, und leidet namentlich an einer großen Härte und Disharmonie in
den Tönen. So fehlt der Darstellung im Inneren wie im Aeußeren der
poetische Athem, welcher dem Bilde allein eine Seele einzuhauchen im Stande
ist. Glücklicherweise verliert diese tendenziöse Richtung mehr und mehr an
Boden, denn das Röder'sche Bild steht in dieser Beziehung ganz vereinzelt
auf der Ausstellung dar. Sowohl die Künstler selbst als auch das Publikum
wenden sich mehr und mehr von dieser krankhakten Manier ab, und einer ge-
sunderen, lebenswahreren und gehaltvolleren Darstellnngsweise zu.

Wie tief ergreift uns dagegen das ebenfalls ernste, ja fast wehmüthige
Bild der Frau Jericho-Baumann: „Hausandacht" (Nr. 403). In dem
bescheidenen aber sorgfältig aufgeräumten Stübchen sitzen au einem rohen
Holztische ein alter Bauer neben seiner Frau und ihnen gegenüber die Toch-
ter, ein junges Mädchen, welches den beiden Alten, die mit gefaltenen Hän-
den aufmerksam und andächtig zuhören, aus der Bibel vorlies't. Auf ihren
ehrlichen, von harter Arbeit und rauher Witterung gebräunten und gefurchten
Gesichtern mischt sich die biedere Treuherzigkeit ihres Charakters mit dem
Ernst wahrer Frömmigkeit, die in diesem Augenblicke ihre glaubenseinfachen
Herzen bewegt. Auch das junge Mädchen ist meisterhaft charakterisirt. Sie
zeigt uns keins der konventionell hübschen Gesichter, wie man sie so oft aus
dergleichen „rührenden" Bildern erblickt, sondern es prägt sich zwar in ihrem
Zuge die keusche Unschuld und Reinheit ihres Gemüths aus, aber nicht in
abstrakter Jdealisirung, sondern derb und kräftig, wie es einer jungen Bauern-
dirne zukommt. Dabei ist ihre Haltung, sowie die der Alten so naturwahr,
tief und innig, daß man die etwas monotonen Worte der jungen Leserin
durch die sonntägliche Stille des Stübchens gleichsam tropfenweise aus ihrem
leisgeöffneten Munde niederrinnen zu hören glaubt. Was die Ausführung
betrifft, so entspricht sie durch ihre milde Grundbetonung, Harmonie und
Gesundheit des Kolorits dem ideellen Gehalt vollkommen. Es erscheint zwar
die Farbe etwas trocken und an manchen Stellen, wie z. B. ans der Fläche
des Tisches, etwas staubig; aber diese Wirkung dürfte eher in dem Einfluß
des dunkeln und schmalen Rahmens, welcher das Bild nmgiebt, als in einem
Mangel des Kolorits zu finden sein. —

Eine eigenthümliche, fast geheimnißvolle Wirkung auf den Beschauer
macht das bedeutende Gemälde einer anderen Künstlerin, nämlich „das Wie-
dersehen nack Jahren" von Frau Marie Wiegmann (Nr. 1481). Es ist
schwierig, die tiefere Intention der Darstellung mit Bestimmtheit auszudrücken,
und fast möchten wir der verdienstvollen Künstlerin, welche durch die energische
und feine Behandlung des Kolorits ihre Meisterschaft in der Handhabung der
Darstellungsmittel bewiesen hat, einen Vorwurf aus dieser halben Unver-
ständlichkeit der Handlung machen, wenn man nicht trotz derselben den be-
stimmten Eindruck erhielte, daß ihm jedenfalls ein poetischer Gedanke zu
Grunde liegt. Die Scene spielt zwischen Mutter und Tochter: es ist ein
Wiedersehen voll leidenschaftlicher aber trauriger Zärtlichkeit. Die Tochter

Fortsetzung i

ist wiedergekommen: — sie ist zu den Füßen der Mutter niedergestürzt, welche
durch Kummer und Krankheit einem frühen Alter zugeführt, auf einem Stuhle
sitzt und den Kopf der vor ihr hingeworfenen Tochter zwischen ihren Händen
zurückbeugt, um den langentbehrten Anblick der heißgeliebten Züge in vollem
Maaße zn genießen. „So bist du endlich, endlich mir wiedergegeben!" —
scheint von ihren farblosen Lippen, ans ihrem tief in das Auge der Toch-
ter sich eingrabenden mütterlichen Auge zu sprechen. Und in diesem Augen-
blicke mischen sich mit der Freude des Wiedersehens die Nachwehen einer
qualvollen Erinnerung an die nächste Vergangenheit und lassen einen bittern
Tropfen in den Freudenbecher fallen. Diese Schmerzlichkeit der Freude,
verbunden mit der leidenschaftlichen Erregtheit des Moments giebt dem Bilde
eben jenes geheimnißvolle Gepräge, aber eben dadurch einen Reiz, welcher,
gehoben durch die ausgezeichnete Technik und meisterhafte Detailausführnng,
den Beschauer stets anf'S Neue fesselt.

Wir schließen hieran einige andere Bilder, welche uns allmälig ans den
ernsteren Motiven zn den heitere» hinüberleiten mögen. Nordenbergs
„Abensmahlsfeier in einer schwedischen Dorfkirche" (Nr. 1427) ist streng ge-
nommen nur ein Ceremonienbild, welches aber hieher gezogen werden muß,
da es zugleich eine volksthümliche Sitte charakterisiren soll. In sofern hat
das Bild auch ein Interesse, welches durch die hübsche malerische Wirkung
und das Streben nach technischer Gediegenheit, welches sich darin bekundet,
erhöht wird. Die Komposition macht allerdings trotz der zahlreichen Figuren
den Eindruck einer gewissen inneren Leerheit, weil es der Charakterschilderung
der einzelnen Personen doch an hinreichender Prägnanz und individueller
Bestimmtheit mangelt. Dem Totaleindruck kann man eine gewisse ruhige
Würde nicht absprechen. Anziehender, weil gemüthvoller und innerlich leben-
diger, ist Carl Hübner's „Sonntagsmorgen im Herbste" (Nr. 1383).
Der ^err Pastor, in dessen vortrefflich charakterisirter Gestalt sich die halb
väterliche, halb bäuerliche Würde des Dorfseelenhirten mit der natürlichen
Gntmüthigkeit eines einfachen Menschenfreundes ausprägt, schreitet langsam
auf dem Gange zur Kirche zwischen den ehrfurchtsvoll grüßenden Landleuten
dahin. Ein altes Mütterchen, dem das Gehen schon sauer wird, hockt links
im Vordergründe auf einem Stein, um sich ausznruhen, während auf der
anderen Seite einige derbe Dirnen und Bauernburschen, welche eben ihren
linkischen aber herzlich gemeinten Gruß abgestattet haben, auf die theilneh-
menden Fragen des ehrwürdigen Herrn verlegen Antwort geben. Die Frau
Pastorin ist indeß voraufgeeilt, um sich bei den Gevatterinnen des Dorfs
nach den mannigfachen Sorgen und Geschäften ihres Hausstandes zu erkun-
digen. Einige alte, im herbstlichen Braun duftig schimmernde Bäume, welche
den Kirchhof umgeben und das Kirchlein beschatten, schließen auf dieser Seite
die Aussicht. Die Landschaft hat einen sehr bestimmten herbstlichen Charakter
und ist mit einer großen Delikatesse durchgeführt, doch dürfte der gewählte
blaßrothe Grundton etwas zu sehr vorherrschen, wenn dadurch auch dem
Bilde ein gewisses Lllstre verliehen wird, das einen großen Reiz ausübt.

Kels führt uns nun in seinem trefflichen Werke „Westphalische Bauern-
hochzeit" (Nr. 1390) mitten in eine jener derb heiteren Scenen hinein, welche
in dem an Arbeit und Mühen überreichen Volksleben Epoche zu machen
pflegen. Welche Wahrheit und welche Lebenslust! Hier hat der überglückliche
Hans, welcher seine Lust stolz vor Aller Augen zur Schau trägt, seine eben-
falls überglückliche aber etwas verschämte Grete am Arme und stolzirt mit
ihr zwischen den an Tischen gruppirten Hochzeitsgästen umher. Das große,
scheunenartige, zum Tanzplatz mit dicken Laub- und Btumenauirlanden aus-
geschmückte Lokal wimmelt vorn von zechenden Bauern und schmucken Dirnen,
während im Hintergründe die ländliche Polonaise daherzieht, zn welcher die
fast im Stubendunst unsichtbar gewordenen Musikanten den Tanz aufspielen.
Sehr charakteristisch hat der Maler links im Vordergründe zwei alte Bauern
hingestellt, die, über die Illusionen der Jngendfrenden hinaus, die Gelegen-
heit benutzen, um einen vortheilhaften Handel zu schließen; oder sind es gar
die beiden Hochzeitväter, welche noch eine Differenz über die Aussteuer be-
reden. Naturwahrheit und lebensvolle Drastik zeichnen die Komposition dieses
Bildes in bedeutender Weise aus. Auch die Farbe nimmt an diesen Vorzü-
gen Theil; sie ist trotz der meisterhaften Durchführung der lokalen Details
so harmonisch in der Gesammtwirknng und so fein nüancirt in den Tonüber-
gängen vom unmittelbarsten Vordergründe bis zum entferntesten Hintergründe,
daß wir dieses schöne Gemälde zu den besten Werken dieses Genres auf der
Ausstellung zählen dürfen. — Dem Motive nach ähnlich, aber in der Dar-
stellung sehr verschieden hievon ist Koeckert's „Brautfahrt" (Nr. 1556).
Hier befinden wir uns im Freien, und zwar auf dem Wasser. Die beiden,
festlich mit laubenähnlichen Festons geschmückten Kähne schwimmen fest zu-
sammengekoppelt nebeneinander her und bilden, wie die nun beginnende Le-
bensfahrt der beiden Neuvermählten, ein unzertrennliches Ganzes. Querüber
auf erhöhter Bank, so daß sie halb auf dem einen halb auf dem anderen
Kahne sitzen, thronen die beiden Brautleute, umgeben von ihren nächsten
Verwandten, welche auf das Wohl des jungen Paars anstoßen und geleitet
von drei Dorfmustkanten, welche vorn an den Schnäbeln der Kähne Platz
genommen haben. In der Perspektive erscheinen noch andere Kähne, welche
die Gäste nachführen. Das Bild ist recht frisch und lebendig gemalt, obwohl
etwas bunt in der ersten Wirkung; die Charakteristik der Figuren ist mit
Sorgfalt behandelt, wenn auch nicht von besonders scharfem Gepräge.

Wir kommen jetzt zu einer Gattung von Bildern, bei denen der Haupt-
accent der Wirkung weniger auf das Motiv als auf die technische Behandlung
gelegt wird. Meist haben diese Bilder nur eine oder zwei Figuren, welche
in ziemlich großer Dimension, oft in Lebensgröße, ausgeführt sind, weil sich
der Beilage.
 
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