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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 9.1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.13518#0040

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Beilage.

Allgemeine deutsche Kunjtzeitung.

. W 3.

Kunst-Literatur uud Album.

I. Kunstliteralur.

Acsthctik. — ldesüiichte. — Technik.

Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis zur Ge-
genwart, dargestellt von Or. Wilhelm Lübke, Pro-
fessor der Kunstgeschichte in Zürich. Mit Zllustratio-

2 T

heile. (Leipzig bei E. A.
III.

Seemann. 1863.)

Wir versprachen unfern Leser, in diesen: dritten und letzten Ar-
tikel aufdieArtnndWeisederBehandlnng einzugehen, wel-
che Lübke der Plastik der neueren und neusten Zeit an-
gedeihen läßt. Zuvor jedoch noch ein kurzer Rückblick ans die dem
‘2. Bande vorgedruckte „Vorrede" zu dem ganzen Buche', welche
schon als ein Muster schmeichelhafter Selbstkritik von Interesse ist.
In der That klingt es, gegenüber der dem Vers, von uns in seinen
allgemeinen reflexiven Auslassungen nachgewiesenen Ideen- und
Principienlosigkeit recht angenehm, wenn er versichert, daß er „was
er seit Jahren durch unausgesetzte (!) Forschung und Beobachtung
gesammelt" habe, nun hier „zu einem Ganzen zu vereinigen ge-
sucht, in welchem die Entwickelung der Ideen wie der
Formen (ihm) von gleichmäßiger Wichtigkeit war." Welche
Bewunderung aber muß den gutmüthig gläubigen Leser vor
dem Verfasser ergreifen, wenn ihm dann zu bedenken gegeben
wird: „Was aber die echte kunsthistorische Behandlung
so schwierig und so selten macht, ist der Umstand, daß nicht
blos gelehrte Kenntniß" — die versteht sich ja bei allen
diesen Herren, welche die kunsthistorische Kritik gepachtet haben,
von selbst—sondern auch ein angeborner und durch ununter-
brochene Uebung geschärfter Blick für das eigentlich
Künstlerische dazil erfordert wird." Daß der Verfasser diese
gelehrte Kenntniß und diesen angebornen Blick für das
eigentlich Künstlerische nach seiner Ansicht besitze, geht ja schon
aus der Veröffentlichung des Werkes hervor. Damit der Leser
aber ja nicht darüber im Zweifel sei, fügt er mit rührender Be-
scheidenheit hinzu: „Ich wünsche nichts so sehr, als daß wenig-
stens Etwas von beiden Eigenschaften sich aus meiner
Arbeit erkennen lasse." Es thnt uns leid sagen zu müssen, daß
wir von der erfteren wenig, von der zweiten gar nichts ans
seinem Werke herausgefunden haben. — Und wenn selbst alle
jene ans Burleske streifenden Flachheiten, welche er über die
Frage, warum die Pflanzenwelt unplastisch sei, und mehr der-
gleichen, was wir in den vorigen Artikeln berührt haben, nicht
in dem Buche ständen, so würde eine einzige Bemerkung der Vor-
rede genügen, um den Beweis zu führen, daß der Verfasser keine
Ahnung von der kunsthistorischen Bedeutung des Plastischen im
Verhältniß zum Malerischen besitzt. Diese Bemerkung dürfen
wir nicht unerwähnt lassen. — Er spricht über die Ursache, aus wel-
cher die Geschichte der klassisch-antiken Plastik öfter und ausführ-
licher bearbeitet worden sei als die der späteren Zeit, und meint,
dies läge darin, „weil in der antiken Skulptur ein absolut Voll-
kommenes (!) erreicht ist, von dessen heitern Höhen man nicht
gern zu den untergeordneteren (!), minder allseitig befriedigenden
Standpunkten der späteren Zeilen hinabsteigen mochte." Welch'
Kriterium für die Forschung! Utile cum dulci! Das ist aller-
dings bequem. Seine Herren Kollegen werden ihm schwerlich
für dies tcstimoniurn paupertatis Dank wissen. Aber dies ist
Nebensache. „Viel lockender" (!) — fährt er fort —- „war es
dagegen, die Malerei zu gesonderter Betrachtung herauszuheben;
denn hier konnte die Antike nicht durch den Vergleich die Be-
deutung der späteren Schöpfnngen in Schatten stellen, um so
weniger, da der Geist des christlichen Gedankens sichtlich die
Malerei in seine Gunst (!) geschlossen hat', und noch heute die
allgemeine Vorliebe gerade dieser Kunst sich zuwendet. So
ivnrde die Plastik der christlichen Zeiten stiefmütterlich behan-
delt u. s. f."

Es ist wohl kaum möglich, in weniger Worten mehr
Schiefheiten vorzubringen als hier geschehen. „Vorliebe", „Gunst"

— welche Ausdrücke, Synonyme für Zufall! Herr Lübke ahnt
also nicht, daß darin gerade der tiefste Unterschied zwischen An-
tike und Christenthum liegt, daß jene in allen ihren Kunstäuße-
rungen plastischer, dieses in allen seinigen malerischer Na-
tur ist; daß mit anderen Worten auch die antike Architektur und
Malerei wesentlich in plastischen Anschauungen sich bewegt, iveil
das antike Leben selbst plastisch gestaltet war, seine Dichter, Red-
ner, Philosophen, Staatsmänner n. s. f. plastische Naturen wa-
ren; daß im Gegensatz dazu die christliche Plastik nicht blos, sondern
auch die Architektur, die ganze christliche Anschauung mit einem
Wort, wesentlich malerisch war; daß Apollo und Christus, Ve-
nus und Madonna sich wie plastische Knnstanschaunng zu male-
rischer verhalten. Deshalb, und nicht ans einer zufälligen „Vor-
liebe", die durch nichts motivirt ist, mußte in der antiken
Welt die Plastik, in der christlichen die Malerei Hanptknnst sein.

Um die große knnsthistorische Trias zu vollenden, setzen wir noch
hinzu: Ans demselben Grunde war die orientalische Kunst
wesentlich architektonisch, weil dieses Element hier alle übrigen
Knnstformen bestimmte, weshalb denn auch selbst die orien-
talische Plastik (man denke an die Sphinxe und ähnliche Ge-
stalten) wesentlich architektonischer Natur war, während umge-
kehrt die christliche Architektur (nicht minder wie die Plastik)
sich wesentlich malerisch gestaltet. Architektur — Plastik —
Malerei entsprechen so den drei großen kulturhistorischen Ent-
wickelungssphären des Orientalismus — des Hellenismus

— des Christenthnms, und darum decken Plastik und Hel-
lenismus sich ebenso, wie Christenthum und Malerei sich
decken. — Die Fähigkeit zu einer klaren Aufdeckung von der-
gleichen, allerdings — wie es scheint — dem „angebornen Blick
für das eigentlich Künstlerische" nicht zugänglichen, principiellen
Unterschieden bildet unsrer bescheidenen Ansicht nach eine unerläß-
liche Vorbedingung für Denjenigen, der es unternimmt, ein sol-
ches Werk zu schreiben, worin „die Entwickelung der Ideen und
Formen von gleichmäßiger Wichtigkeit" ist.

Doch genug von diesen principiellen Fragen. Wenden wir
uns nun zu Dem, >vas vorzugsweise, um nicht zu sagen aus-
schließlich, des Verfassers eigenste Gedanken- und Sammlerarbeit
ist, zu seiner Bearbeitung der Geschichte der modernen
Plastik. Hier können wir uns sehr kurz fassen, da es an einigen
Citaten genügen wird, um zu prüfen, ob seine Versicherung, daß er
seine „Darstellung in umfassendster Weise ans die eigene Anschauung
der Denkmäler gestützt und überall selbst gesehen und geurtheilt"
habe, und daß ihm dies „für die Denkmäler des Mittelalters und
der neueren Zeiten durch ausgedehnte Reisen im südlichen und
nördlichen Deutschland, in den meisten Theilen Frankreichs, in
den wichtigsten Provinzen Italiens" und iver >veiß wo sonst noch
„zu Theil geworden" — durch die in dem Werke niedergelegten
Resultate bestätigt wird. Die beiden Bände umfassen 753 Seiten.
Hiervon enthalten 676 die Geschichte der Plastik bis 1560, die
4 letzten Rückblicke und allgemeinen Betrachtungen, so daß also
für die letzten beiden Jahrhunderte 72, sage zwei iind
siebzig Seiten übrig bleiben. Von diesen 72 Seiten fallen ans
die Zeit bis zum Anfang des l9. Jahrhunderts, einschließlich
Canova's, Thorwaldsen's, des alten Schadow 56 Seiten,
und auf die übrigen 16 vertheilt sich die ganze Geschichte der
Plastik des neunzehnten Jahrhunderts, Tiek und Ranch mit
eingeschlossen, bis auf die Gegenwart, ivovon noch 3 Seiten ab-
gehen, welche mit Illustrationen ansgefüllt sind. Die ganze
Geschichte der Plastik des 19. Jahrhunderts, und zwar nicht etiva
blos der der deutschen Bildnerei, sondern der aller Nationen
bildet also nur etwa den sechszigsten Theil des Buches. —
Dies ist allerdings zunächst eine quantitative Bemerkung, die
übrigens insofern Bedentnng gewinnen möchte, als wir ohne
Furcht, der Uebertreibung beschuldigt zu iverden, dreist zu behaupten
wagen, daß lediglich ein naktes Titelverzeichniß der in diesem
 
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