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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 9.1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.13518#0123

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amerika gerne gesehen sind, lassen sich ihrem reichen In-
halte nach in zwei Gruppen theilen. In der einen tritt
der Humor als das herrschende Element in den Vorgrund;
in der zweiten spricht des Künstlers Gemüth ohne jenes
Medium unmittelbar zum Herzen des Beschauers, dem er
ernste oder anmuthige Stoffe in der ansprechendsten Weise
vorführt. Zur ersten Gruppe gehören sein „Baumgart" (1843),
sein „Sonntagsjäger" (1844), sein Wittwer (1845), dessen
Blick über das Medaillon der verewigten Gattin zu den
vollen Waden zweier im Park spazierenden Mädchen hin-
überschweift,*) sein „Polizeidiener", der sich am Stadtthor
die Langweile mit Fliegenfangen vertreibt, sein „Bücher-
wurm" (1852), dessen oben schon gedacht wurde, sein
„sederschneidender Schreiber" (1834), seine „Anachoreten"
(1860), welche einander die Bibel auslegen, sein „Portrait-
maler" den hochweisen Herrn Bürgermeister malend (1862),
u. A. Die zweite Gruppe bilden seine „Schulkinder" (1859),
die Reihe seiner unübertrefflichen „Einsiedler", seine
„Dackauerinen an der Waldkapelle (1861) sein „türkisches
Cafe" (1862), sein „Wiedersehen alter Freunde" (1862),
sein „Briefboote" (1862), sein „Postwagen" und Ver-
wandtes.

Eine Aufzählung auch nur der anziehendsten Werke
des Künstlers kann nicht in der Absicht dieser Skizze lie-
gen; vorstehende Notizen hatten keinen anderen Zweck als
den, des Künstlers Thätigkeit nach beiden Seiten hin
wenigstens im Allgemeinen in einen Rahmen zu bringen.

Spitzweg ist durch und durch Gemüthsmeusch. Die
Thorheiten und Schrullen der Menschen machen ihn nicht
zum geißelschwingenden Satyriker; seine Herzensgüte läßt

*) Ein Gedanke, den Geyer in Augsburg so trefflich fand,
daß er sich denselben ohne Vorwissen Spitzweg's aneignete.

sie ihm höchstens komisch erscheinen, aber nur so lange,
als es ihm gelingt, sie zu entschuldigen. Diese Rich-
tung seines ganzen Seelenlebens spricht sich denn auch
unverkennbar in seinem künstlerischen Wirken aus und sichert
ihm neben der rückhaltlosen Anerkennung seiner Leistungen
zugleich die Liebe Aller, welche persönlich mit ihm in Be-
rührung kommen.

Spitzweg besitzt einen außergewöhnlichen Sinn für
die Behaglichkeit jener Periode, welche wir, mit vielleicht
zu überschwänglichem Lobe, „die gute alte Zeit" zu nennen
pflegen. Seine Landstädtchen mit den krummen, hügeligen
und engen Gassen sind von einem Zauber stiller Poesie
überhaucht, der uns das Treiben unserer modernen großen
Städte doppelt unbehaglich macht. Mit derselben Feinheit
der Empfindung nimmt er die Erscheinungen der Natur
in sich auf und versteht es in der wohlthuendsten Weise,
seine Menschen mit ihr in Einklang zu bringen, weshalb
seine Bilder durch seltene Harmonie das Gemüth wie den
Verstand gleichmäßig ansprechen. Als gewissenhafter Zeich-
ner liebt er es, seine Gemälde mit größter Sorgfalt durch-
zubilden, ohne dadurch ihrer Gesammtwirkung zu nahe zu
treten, und mit feinem Farbensinne ausgestattet, den er
durch fleißiges Studium der besten alten Meister ausbil-
dete, und unterstützt durch eingehende Kenntnisse der Natur-
gesetze, hat er sich den Namen eines tüchtigen Koloristen
erworben.

Daß sich Spitzweg keiner der zur Zeit bestehenden
Richtungen mit Aufgeben seiner künstlerischen Selbstbe-
stimmung untergeordnet hat, wird bei seiner originellen
Individualität nicht wohl befremden können und hat für
ihn noch persönlich die Annehmlichkeit, daß er, weil keiner
Partei angehörend, von den Angehörigen einer jeden gleich
hoch geschätzt wird.

Aas Wormser Lutherd enkmal von c8. Wietsches.

(Fortsetzung.)

Die Wahl Rietschells erregte überall die freudigste
Zustimmung. Ein wie populärer Künstler er war, geht
schon daraus hervor, daß durch seine Erkürung ein unbe-
dingtes Vertrauen erweckt und die nöthigeu sehr bedeuten-
den Summen in einer für Deutschland überraschenden
Weise bis auf einen verhältnißmäßig kleinen Theil bei-
gesteuert wurden.

Nur wenige Tage nach Empfang des Auftrags stellte
Rietschel bereits klar und bestimmt die beiden Gesichts-
punkte hin, welche für die Auffassung maaßgebend sein
möchten. Entweder man setze blos Luther ein Denkmal,
oder, indem man ihn mit seinen Vor- und Mitkämpfern
darstelle, Luther und der ganzen Reformation, womit
Luther's Verherrlichung in ihrer historischen Tiefe begrün-
det und in ihrem weltgeschichtlichen Zusammenhang er-
scheine. Schon damals legte er in ihren Grundzügen nicht
nur, sondern bis in die Einzelheiten die Idee dar, welche
später mit einigen Modifikationen im genehmigten Denk-
malsentwurfe sestgehalten worden ist.

Von Anfang an nahmen an dem Denkmalsplane viele
und bedeutende Männer den lebhaftesten Antheil. Riet-
schel selbst besprach die Angelegenheit eingehend und gründ-

lich mit solchen, auf deren Ansichten er Gewicht legte.
Er klärte, läuterte und sichtete auf solche Weise am besten
die eigenen. Mit deu beiden Präsidenten des Comitös,
Pfarrer Keim und I)r. Eich, wurde lebhaft verkehrt, der
Diakonus Pfeilschmidt, der Verfasser der „Heiligen Zeiten"
und gründlicher Kenner 'der Reformationsgeschichte, bei
Feststellung der zu berücksichtigenden Thatsachen und Per-
sönlichkeiten zu Rathe gezogen; unter den Künstlern nahmen
Direktor Schnorr von Carolsfcld, Professor Hüb-
ner in Dresden und der unter dem Namen Luther-König
bekannte Maler in München thätigen Antheil; die bedeu-
tendsten Theologen und Historiker wurden bei Bestimmung
einzelner Persönlichkeiten befragt; Di-. Schiller's seines
Urtheil kam stets erwünscht. Ein reiches Material von
Büchern, Abgüssen, Gemmen, Bildern, Pausen und Kup-
ferstichen wurde gesammelt, von Rietschel gründlich studirt
und so die Zeitatmosphäre gleichsam eingesogen.

Im Sommer des Jahres 1858 berührte Rietschel auf
einer Reise nach Bad Ems, welches er zur Herstellung
seiner angegriffenen Gesundheit besuchen mußte, die Stadt
Worms. Er entwickelte dort die zwei weiter unten be-
schriebenen Projekte, ein größeres und ein kleineres, nach
 
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