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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 9.1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.13518#0131

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deutlich und bestimmt hervor, während in den meisten
Cranach-Bildern der Kopf etwas zu stark verfettet erscheint.
Ferner versprach das Mönchskleid, mit den in der Mitte
durch den Gurt durchbrochenen Falten, die Enscheinung
ästhetisch freier und interessanter wirken zu lassen, als der
Priesterrock über der bejahrten starken Gestalt Luther's,
der mit seiner „Orgelpfeisenparallele", wie sich Rietschel
auszudrücken pflegte, eine unschöne und unerträglich lang-
weilige Masse in Aussicht stellte.

So frappirt auch im Anfang fast alle dem Unterneh-
men Nahesteheuden von dem Gedanken Rietschel's waren,
sa stimmte man den Gründen, welche für denselben gel-
tend gemacht wurden, doch meist bei, und bald hatte das
Mönchskleid mehr Vertheidiger als der Doktorrock. Bun-
sen sprach sich in einem auf den Wunsch des Ausschusses
abgefaßten Gutachten für Rietschel's Gedanken und ins-
besondere auch für den Luther in der Mönchstracht aus,
ebenso von Bethmann-Hollweg, indem er meinte, so werde
unserm Volke eben der wahre Ursprung des von Gott ge-
wirkten Wunders einer neuen Geistesschöpfung des aus
dem Dunkel hervorbrechenden Lichts der Reformation wie-
der vergegenwärtigt, was es im Vollgenusse seiner Nach-
wirkungen fast vergessen habe.

Obwol auch in der Presse ziemlich allgemein das
Mönchskleid vertheidigt wurde, so fühlte Rietschel doch,
daß er sich definitiv nicht so schnell entscheiden könne. Er
spricht dies selbst in einem Briefe an Dr. Schiller aus:
„Keiner meiner Gegner hat meine Gründe ganz desavoui-
ren können und ich nicht ganz die ihrigen. Für abgeschlos-
seu kann ich die Frage noch nicht halten, ich fühle die
große und außerordentliche Bedeutung solcher
Aufgabe und die Verant wortung, dieich demre-
ligiösen und konfessionellen Bewußtsein des
Volks gegenüber übernehme, zu sehr."

Der Künstler arbeitete an dem Modell länger als ge-
wöhnlich, er deutete jede Bewegung, jede Faltenlinie bei
weitem klarer und bestimmter an, als er sonst bei Skiz-
zen zu thun pflegte. Dies geschah theilweise nothgedrun-
gen, denn der Entwurf sollte ja voraussichtlich Vielen zum
Anhalt und Verständniß dienen, und es machte sich daher
im Interesse der Laien die möglichste Klarheit nothwen-
dig; theils scheint eine leise Ahnung des Künstlers Seele
bewegt zu haben, daß vielleicht dieser Entwurf dereinst
als Leiter und Führer für andere Hände werde dienen
müssen.

Zu Lutber's Figur hatte er drei Skizzen gemacht. In
der einen hält Luther betheuernd die linke Hand auf's Herz,
während er in der rechten die Bibel trägt. Der Doktor-
rock fällt gerade von den Schultern herab. In der an-
dern legt Luther betheuernd die rechte Hand auf die in
der linken liegende Bibel. Die offene aufgelöste Hand
verwandelte er später in die locker geballte Faust, die auf
das Wort der Bibel wie besiegelnd, nicht schlagend, nicht
zornig, sondern bewußt und sicher drückt. Dadurch kam
in die Gestalt ein voller ganzer Zug, wie er noch in kei-
nem Bilde Luther's so getroffen worden, dadurch wurde
Stellung und Bewegung ausdrucksvoller, plastischer. Das
Auge überzeugungsvoll nach oben gewendet, das Haupt
kühn und fest auf den Schultern, den rechten Fuß vorge-

setzt, während der Körper sicher auf dem linken ruht, so
steht der Reformator da, es ist „die aus innerster Glau-
benszuversicht kämpfende und siegesgewisse Gestalt. Das
Hin und Wider ist vorbei, es gilt nunmehr den ganzen
kriegerisch geschlossenen Einsatz der Persönlichkeit, der der
letzte und höchste Beweis innerer unbeugsamer Ueberzeu-
gung ist". — „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott
helfe mir!" oder „Gott komm mir zu Hülfe! Amen! Da
bin ich!" — wie auf naivere Weise Luther's Wort in ei-
nem gleichzeitigen deutschen Druck wiedergegeben wird —
ist das Grundmotiv der Stellung und des Ausdrucks.

Rietschel hatte die letztere Skizze zuerst im Mönchs-
kleid gebildet, das in allen Beziehungen schön wirkt, gute
Linien gibt, die Bewegung des Körpers überall zur Gel-
tung kommen und sichtbar sein läßt. Jetzt wollte er dassel-
be Motiv Luther's auch im Chorrocke darstellen. Fast
verzweifelte er an der Möglichkeit, da er nirgends das
Gewand anliegen lassen konnte. Dreimal riß er die Skizze
wieder ein, bis er endlich jenes köstliche Motiv der Ge-
wandung, welches die Gestalt noch viel schöner und leben-
diger wie im Mönchskleide erscheinen läßt und in frap-
panter Weise das geistige Moment in der Figur klar aus-
spricht, gefunden hatte.

Schon vorher und während der Arbeit insbesondere
hatte Rietschel gefühlt, daß der Gedanke, Luther als Au-
gustinermönch darzustellen, mehr auf dem Papier wie in
Wirklichkeit geistreich sei; daß ihm nun der geistige Aus-
druck der Gestalt durch den Doktorrock eher erhöht als
beeinträchtigt schien, gab den Ausschlag für den letztern.

Im Frühjahr 1859 stellte Rietschel die beiden Modelle
des Denkmals, nach dem größern wie nach dem weniger
umfangreichen Plane, dem Gesammtausschuß zu Worms
und dem Großherzog Ludwig von Hessen, der den Künst-
ler sehr freundlich aufnahm, vor, und erhielt nunmehr den
Auftrag, den größern Entwurf zur Ausführung zu brin-
gen, nachdem eine Kommission von darmstädtischen Kunst-
uotabilitäten denselben einer Prüfung unterworfen und ihn
mit wenigen und unbedeutenden Desiderien für angemes-
sen befunden hatte.

Der kleinere Entwurf besteht in dem einschließlich der
dazu führenden Stufen ungefähr 18 Fuß rheinisch hohen
Postament, darauf Luther's Standbild, 10^ Fuß rhei-
nisch. An den vier Seiten des Postaments sind in der
Höhe von beiläufig 10 Fuß Nischen angebracht, in denen
auf etwas hervortretenden Sockeln die Gestalten der vier
Vorreformatoren, sitzend und im Verhältniß von 7 Fuß
rheinisch gedacht, dargestellt sind, während die Mitkäm-
pferund Träger der Reformation, Gestalten von 8^ Fuß
in der Höhe von beiläufig 8 Fuß, an den vier Eckendes
Postaments auf stark hervorspringenden Sockeln stehen.
Wenn dieser Entwurf sehr günstig beurtheilt, ja sogar hier
und da dem größern vorgezogen worden ist, so hat man
sich hierbei von der Geneigtheit für das Herkömmliche ver-
leiten lassen und nicht bedacht, daß die Statuen, während
sie doch ganz individuell ausgebildete, das Interesse gleich-
mäßig in Anspruch nehmende Gestalten sind, hier nur
als dekorative Elemente erscheinen würden und somit ihre
geistige Bedeutung unausbleiblich herabgedrückt worden
wäre. (Schluß folgt.)
 
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