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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 9.1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.13518#0401

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aussuchen. Wenn ich's nicht wußte, daß Anton I oseph
Wi ertz 1806 geboren ist, aus der Biographie erfährt man
weder die Taufnamen noch das Geburtsjahr oder die Na-
men der Eltern. Sie sagt nur, daß er mitten in den Ar-
dennen, deren waldiger Fuß von den Gewässern der Maas
bespühlt wird, das Licht der Welt erblickte, und knüpft
schon daran die Betrachtung, daß „selbst wenn sein Geist
auch nicht bereits in den ersten Jahren der Kindheit den
Eindruck der zauberhaften Bilder einer so malerischen Na-
tur empfangen hätte, er darum doch ein großer Maler
und ein großer Denker geworden wäre." Von zauber-
haften Bildern ist aber in Wiertz' Schöpfungen Nichts
zu sehen; Landschaftliches hat er, so viel ich weiß, nie ge-
malt. Daß er übrigens ein großer Denker ist, muß ich
trotz der vielen Reflexionen, welche er über die Kunst im
Allgemeinen und über seine Kunst im Besonderen ange-
stellt und in verschiedenen Schriften veröffentlicht hat, noch
bestreiten; denn wäre er es, so hätte der wahre Gedanke,
d. h. das Denken der Wahrheit, ihn auf andere Bahnen
geleitet, als auf die von ihm eingeschlagenen. Daß er
aber ein großer Künstler ist, d. h. ein solcher, der, groß-
artiger Konceptionen und Kompositionen fähig, sie mit emi-
nentem Geschick auszuführen weiß, davon habe ich mick-
überzeugt: diese Konceptionen und Kompositionen übertreffen
einerseits alles Gigantische, was Michelangelo, Ru-
bens und Cornelius je gedacht und geschaffen haben,
andererseits verirren sie sich aber leider auf Abwege, die
nie ein Künstler mit vollem Ernst und vollem Bedacht
eingeschlagen hat.

Schon im Alter von vier Jahren, so liest man müh-
sam aus der Biographie heraus, bewegte sich der unruhige,
lebhafte Knabe nicht in den gewöhnlichen, kindlichen Träu-
mereien, er schrieb oder zeichnete unaufhörlich. Jede Form,
jeden Zug wußte er mit dem Bleistift oder der Feder un-
glaublich leicht zu fixiren, wie er auch in späteren Jahren
nie eine ihm eigene Handschrift gehabt hat, sondern alle
Arten von Schriftzügen, die ihm unter die Augen kamen,
täuschend ähnlich kopirt. Dabei entwickelte er schon in
diesem zarten Alter eine Energie des Willens, wie sie
wenig Erwachsenen eigen ist; einen Willen, der alle Hin-
dernisse und Unmöglichkeiten besiegte. Mit zehn Jahren
malte er das erste Portrait, ohne jemals einen anderen
Unterricht gehabt zu haben, als den, welchen eine Beschäf-
tigung gewährt, die von ernstem Willen und angeborenem
Talente beherrscht wird. Zwei Jahre später machte und
druckte er ganz ohne alle Anleitung die ersten Holzschnitte,
wobei er die Schwierigkeit der Durchkreuzung der Linien
löste, obwohl er Holzplatten nahm, die in der Richtung
der Länge der Fasern durchgesägt waren. Der eine dieser
noch vorhandenen Holzschnitte stellt einen „Kosacken zu
Pferde", der andere eine „Madonna nach Raphael" dar.

Ungefähr um dieselbe Zeit wurde der junge Wiertz
auch zur Anfertigung eines Oelbildes auf folgende Weise
veranlaßt. Der Inhaber einer Dorfschenke wünschte für
sein Haus ein schwarzes Roß als Aushängeschild gemalt
zu haben; und da der Ruf des jungen Wierttz ihm zu
Ohren gekonimen war, so wandte er sich an diesen, der
ihm zur Antwort gab: „Dazu müßte ich ja mit Oelfar-
ben malen, und die besitze ich gar nicht." Der Wirth

versprach sie ihm zu liefern und brachte ihm nach einigen
Tagen in Muschelschaalen eine hübsche Auswahl von Oel-
farben. Wiertz machte sich voll Begeisterung an die Ar-
beit und brachte eineu Rappen zu Stande, der die Be-
wunderung des ganzen Dorfes erregte, so daß die Kunstver-
ständigen desselben der Meinung waren, der Knabe könne es
im Schildermalen nocb weit bringen. Das schwarze Roß
und sein Erfolg ermuthigte unfern Knaben und feinen
Mäcenas zn einem zweiten für die Oeffentlichkeit bestimm-
ten Produkte, zu einem Aushängeschilde, das unter dem
Titel ,,1e Commis Voyageur“ dem Ruf des Künstlers und
der Tasche des Wirthes ersprießlich wurde. Von dieser
Zeit an ergriff Wiertz die Oelmalerei mit ganzerlSeele,
er wagte bereits die kühnsten Kompositionen und strebte
mit 14 Jahren nach einem Gipfel der Kunst, der seinen
Namen auf die Nachwelt bringen sollte. Mit dieser früh-
reifen Ausbildung des Geistes und des künstlerischen Stre-
bens ging eine ungewöhnlick frühe Reife des Körpers
Hand in Hand. Von Sehnsucht nach einer unbekannten
Heimath der Kunst ergriffen, erschien ihm, wie fein Bio-
graph erzählt, im Traum eine Gestalt in weitem Mantel,
mit spanischem Hut und einer Fahne, auf der mit feuriger
Schrift der Name Antwerpen geschrieben stand. So
fand er feinen Paulus, der dem Altar des unbekannten
Gottes den Namen gab. Er machte sich also, ohne Be-
schützer, ohne Freund und ohne andere Führer als seinen
unbezwinglichen Willen und seine Liebe zur Kunst, nach
der Stadt des Meisters auf, der sein Hauptvorbild wer-
den sollte.

Der Jüngling will sich an Entbehrung und Armuth
gewöhnen, weil er ein Gelübde gethan, daß seinen Pinsel
nie die Liebe zum Gewinn führen sollte. Er nahm sich
daher zur Wohnung eine ärmliche, kleine Mansarde. Sein
Bett mußte an einer Stelle stehen, wo einer der Dach-
sparren quer vor der Wand lag, so daß der hochgewachsene
Jüngling auf seinem Lager sich nicht ausdehnen konnte.
Da das Stübchen auch keinen Kamin hatte, so arbeitete
er an den langen Winterabenden gewöhnlich im Bett, zu-
gedeckt mir allem Dem, was sich zufällig um ihn her fand.
Wenn er den Tag über gezeichnet, gemalt, modellirt und
seine anatomischen Studien getrieben hatte, und er von Mü-
digkeit überwältigt mit dem Bleistift in der einen und dem
Skalpirmesser in der andern Hand einschlief, wurde er am
Morgen beim Erwachen zuweilen von der kalten Hand
des neben ihn; liegenden Skeletts begrüßt.

So lebte der junge Wiertz mehrere Jahre in dieser
Mansarde, die er mit seinen übersprudelnden Phantasien
und seinen glänzenden Träumen erfüllte, mit Träumen,
die ihm als das Ziel seines Strebens die Lorbeern des
Rubens, den Meißel des Michelangelo, die Poesien Cor-
neille's und die Symphonien Mozart's vorhielten: da
verfiel er in eine Krankheit, die ihn nöthigte, auf alles
Andere zu verzichten und sich auf die Malerei zu be-
schränken.

Es konnte nicht fehlen, daß diese Lebensweise eines
vierzehnjährigen Jünglings die Aufmerksamkeit des Publi-
kums auf sich zog, und daß mancher Neugierige sich das
Atelier ansah, in welchem der junge philosophische Maler
mitten in einem Wust von Zeichnungen, Oelskizzen, Skulp-
 
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