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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 9.1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.13518#0409

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402

fcen. Hier in Rom war es, wo er in seinem ungezähmteu
Schöpfungsdrange aus einer Leinwand von 30 F. Höhe
den „Kampf um den Leichnam des Patroklus" schuf. Da
nun die Stipendiaten als Frucht ihres Aufenthaltes in
Italien der antwerpener Akademie eine oder mehrere ihrer
Skizzen und Studien zu senden pflegen, so wählte Wiertz
diesen „Patroklus" trotz seiner kolossalen Dimensionen dazu.
Man kann sich den Schrecken des Herrn Sekretärs der
Akademie vorstelleu, als diese Riesenkiste von Wiertz ein-
tras und er 5OO Franken Porto dafür zahlen sollte. An-
fangs hatte er Lust, die Annahme zu verweigern; doch
überwog die Neugierde: er öffnete sie und erblickte den
nackten Patroklus, der, als die Keuschheit der Herren Aka-
demiker den Beifall, welchen sie dem Bilde zollen mußten,
zu vernichten drohte, über die Weigerung der zu bezah-
lende Summe den Sieg davon trug. So wäre der „Leich-
nam des Patroklus" beinah die Beute seiner Feinde gewor-
den, wenn ihn hier nicht ein Grieche gerettet hätte. Dieser
Grieche war der damalige Direktor der Akademie, van
Bröe, der das Talent des jungen Wiertz zu würdigen
verstand und seiner Begeisterung für dessen Leistung Luft
machte, in Folge dessen die verweigernden Stimmen zum
Schweigen gebracht wurden. Um so weniger aber schwie-
gen die Stimmen des Neides und Tadels, da unser Künst-
ler.keiner Koterie angehörte, sondern allein und verlassen
stand; sie verfolgten den „Patroklus" in demselben Grade,
wie die meisten der übrigen, später aus dem Atelier des
Meisters hervorgegangenen Werke, die zu einem Kampf-
platz wurden, auf dem die verschiedenen Kunstansichten und
Kunsttheorien einander befehdeten.

Was unser Biograph Watteau über die ästhetischen,
die Kunstkritik betreffenden Grundsätze mittheilt, die Wiertz
von jetzt an in mehreren Broschüren niederlegte, z. B. in
dem „Eloge de Rubens“, „La critique en matiere d’art
est-elle possible?“, „Le secret du Diable“ muß ich hier
übergehen, weil ich nicht vergessen darf, daß ich mich auf
dem Wege zu den Schöpfungen seines Pinsels und Mei-
ßels, nicht zu einem Kolloquium über ästhetische Fragen
befinde. Nur einige das Berhältniß unsres Meisters zur
Kunstkritik charakterisirende Thatsachen will ich hier ein-
schieben.

Als er sich einst, mit Recht oder Unrecht, über die
gegen ihn bewiesene Leichtfertigkeit und Parteilichkeit der
Jury der pariser Akademie beklagte, verfiel er, um sie zu
beschämen, auf folgende List: Er wußte, daß einer seiner
Freunde einen schönen Rubens besaß; er bat ihn also,
ihm das Bild auf einige Zeit zu überlassen. Als der
Freund einwilligte, brachte Wiertz es in sein Atelier und
setzte unten an die Ecke seinen Namen Wiertz darauf, ließ
ein amtliches Protokoll über die Sendung aufnehmen und
das Bild nach Paris abgehen. Dort fand es natürlich
vor den Augen der weisen Kunstrichter, weil es einen
ketzerischen Urheber zu haben schien, keine Gnade. Wiertz
wurde zur Ausstellung nicht zugelassen und kehrte als Ru-
bens triumphirend nach Brüssel zurück; eine Mystifikation,
die natürlich den Tagesblättern das größte Amüsement
gewährte und unfern Künstler einige Monate nachher ver-
anlaßte, an die Pariser Jury folgendes Schreiben zu rich-
ten: „Nicht aus Eitelkeit habe ich mir im vorigen Jahre

„die Freiheit genommen, Ihnen unter meinem Namen
„ein Bild zukommen zu lassen, welches Sie sehr schlecht
„fanden. Sie werden mir verzeihen, daß ich Ihre Kom-
„petenz in Sachen der Malerei vor den Augen des Pu-
„blikums auf diese Weise bloß gestellt habe, sowie die Her-
„ren Feuilletonisten es mir verzeihen werden, daß ich die
„Unverschämtheit gehabt habe, eine literarische Konkurrenz
„über das unehrcrbietige Thema „Der verderbliche Ein-
„stuß des Journalismus auf die Künste und Wissenschaften"
„zu eröffnen. Zu dieser übermüthigen Thorheit gesellen
„sich bei mir noch zwei andere, die mir die Möglichkeit
„gewähren, mich in gänzlicher Unabhängigkeit zu erhalten,
„und allen Denen Trotz zu bieten, die einen Gilbert,*)
„Gericault, "*) Hegesippus Moreau***) und vielen Ande-
ren den Todesstoß versetzten. Die eine dieser Thorheiten
„ist die, daß ich mich um alle Glücksgüter sehr wenig küm-
„mere und das Hospital nicht fürchte; die andere, daß ich
„nur nach dem Beifall der Nachwelt strebe, wie er Denen
„zu Theil wurde, die in einer Zeit, als es noch keine Jury
„der Malerei und noch keine Feuilletonisten gab, zu unsterb-
„lichem Ruhme gelangten."

Sehr bezeichnend für das Verhalten, welches Wiertz
sein Lebenlang der Kunstkritik gegenüber einnahm, ist fer-
ner, was er selbst in der Vorrede zu seiner Schrift über
„die Kunstausstellung des Jahres 1842" von sich mittheilt.

Eines Tages — so erzählt er — beschloß er in Pa-
ris ein Bild zu malen, dessen Eigenschaften Jedermann
befriedigen sollten. Er nahm sich deshalb vor, die kom-
petentesten Kunstrichter zu befragen und ihren Rath, ihre
Verbesserungsvorschläge so lange zu befolgen, bis sie offen
gestehen würden, daß sie völlig befriedigt seien. Er machte
sich also an's Werk und malte ein Bild, welches „Adam
und Eva nach dem Sündenfall" vorstellte. Dann wandte
er sich zunächst an Guerin, den bekannten Anhänger der
klassischen Schule (geb. 1774, j 1833.), welcher nach ver-
schiedenen Bemerkungen der Ansicht war, daß er in der
Zeichnung, die ein wenig flämisch sei, korrekter sein und
die Antike studiren müsse. „Hierauf fragte er Gerardsi)
um seine Meinung, der, weniger klassisch gesinnt als Guerin,
gerade das Gegentheil von Dem äußerte, was dieser aus-
gesprochen hatte. Nicht zufrieden damit, holte er noch
die Gutachten verschiedener Journalisten, Dichter, Archi-
tekten, ja sogar Geologen ein, von denen natürlich Jeder
nach seinem specicllen Standpunkte urtheilte. Kurz eine
Uebereinstimmung war nicht zu erzielen. Statt nun aber
dieses rein negative Resultat in dem Mangel an objekti-
vem Urtheil der betheiligten „Kritiker" zu suchen, glaubt
er daraus den ebenso bequemen wie trivialen Schluß zie-

*) Ein von seiner Zeit verkannter französischer Dichter, der
arm und verlassen 1780 starb.

**) Der bekannte Maler und Lithograph (4 1824), dessen
berühmtes Bild Ls radeau de la Meduse im Louvre vor den
Augen darWassischen Schule Davids keine Gnade fand und erst
später gehörig gewürdigt wurde. (Vgl. Villot's Katalog des
Louvre. Ecole fran<?aise No.s242.)

***) Ein französischer Volksdichter der Gegenwart, der, von
Nahrungssorgen getrieben, sich durch Kohlendampf erstickte.

4) Der bekannte Maler des „Belisar" in der Lenchtenber-
gischen Galerie; geb. 1770 4 1837.
 
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