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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 16.1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.13554#0132

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verwandt, hat das Zeitliche gesegnet und den klugen Gedanken
gehabt, ihn zum Erben einzusetzen. Zwar besteht die Erbmasse
fast nur aus theologischen Büchern, aber der Schacherjude weiß
auch diese trefflich an Mann zu bringen und händigt unserm
überraschten Erben einen Beutel Thaler dafür ein, während der
behäbige Erblasser an der Hand eines Engels den ewigen Freuden
des Himmels entgegen schwebt. Da ein Portrait nicht zur Hand
war, hat Schwind es vorgezogen, den Seligen nur von hinten
zu präsentiren. Dagegen nimmt unsern jungen Künstler ein statt-
liches, hochbusiges Weib in Protection; es ist „Bavaria", die
heidnische Schutzpatronin des rechtgläubigen Bayerlandes. Ver-
gißmeinnicht-Kränze umschlingen ihn und zwei Medaillons, von
denen das eine die künftige Hofsängerin Sophie Dietz im Geh-
korb, das andere deren Kollegin Frau v. Mangstl -Hetzen eck er
zeigt, die der kunstsinnige Graf August v. Seinsheim, des
Königs Ludwig Jugendfreund, im Wickelkissen trägt. —

Doch den Jüngling treibt es rastlos in die Ferne. Ein rohes
Floß trägt ihn die schäumende Isar hinab, an deren Ufer sich
Neuathen erhebt. Ein Empfehlungs-Brief in seiner Hand läßt
seine Brust von Hoffnungen schwellen, und vertrauend blickt er
auf eine zur Seite sichtbare kolossale Fortuna. Schon schaut
die Pyramide des Stephandoms über die Dächer der fröhlichen
Kaiserstadt, da bäumt sich wie ein grimmiger Drache der schwarz-
gelbe Schlagbaum empor. Hinter ihm erscheint an den Pforten
der Polizei der Cerberus in Gestalt eines ihrer Agenten, und der
schöne weiße Brief mit dem leuchtenden rothen Siegel verschwindet
auf Nimmerwiedersehen. Mit ihm aber fliegt auch der letzte
Gulden fort, um den der Brief-Tax-Defraudant gebüßt ward.
So schnell schreitet das Unglück! — Von solchen Schicksalsschlägen
niedergeschmettert, sitzt unser Freund zu Wien im Gasthaus.
Da fällt sein matter Blick auf die kaiserliche Wiener Zeitung.
Die protestantische Kirche bedarf eines Organisten, sagt ihm ein
großgedrucktes Konkurrenz-Ausschreiben, und schon am nächsten
Tage soll der Kampf stattfinden. Nun sehen wir ihn denn an
der Orgel: von den mächtigen Tonwellen, die seine Hand durch
die Kirche ausgießt, werden die Mitbewerber wie abgefallenes
Laub hinweggeschwemmt. Der Sieg und mit ihm die lebens-
längliche Organistenstelle ist sein. — Sein Leben beginnt zu
grünen wie frischer Laubschmuck an der Kirchenpforte, vor welcher
ihn die Vorstandschaft feierlich empfängt. Frau Fortuna waltet
über ihm; wir erkennen es, wenn wir auch nur den einen Fuß
derselben auf dem geflügelten Rade sehen können. — Und heller
wird es in ihm und um ihn. Von Blumenkränzen umwunden,
von reizenden Engelknaben getragen, sehen wir vier Medaillons
mit Episoden aus einem beglückten Liebeswerben. Wie ernstlich
es ist, das zeigt uns der ellenlange Pfeil, der Lachnern durch

die Brust geschossen, vorne und hinten bedeutsam genug hervor-
ragt, während er zu zweien am Klaviere sitzt. — Die Bretter,
welche die Welt bedeuten, ziehen Lachnern neuerdings an. Wir
sehen ihn auf dem Dirigentenstuhl im Orchester der Oper, deren
Primadonna, allen seinen Mahnungen trotzend, die ehrliche deutsche
Musik so lange mit endlosen Schnörkeln verunzierte, bis endlich
die Macht des Zufalls Lachner's Partitur auf die Bühne schleu-
derte und zwar gerade dahin, wo sich eben das eigensinnige
Köpfchen der Sängerin befand. Wie die Geschichte sagt, blieben
von der Stunde an alle unnöthigen Schnörkel weg.

Ecce quam bonum et quam jucundum babitare fratres
in unum! Das fühlen Lachner und seine Freunde Schubert
und Bauernfeld, wie sie im Wirthsgarten zu Grinzig beim
goldnen Wein beisammensitzen, und Meister Schwind hat die
goldne Stimmung, in der sich Natur und Menschen jenes Abends
befanden, gar trefflich wiederzugeben gewußt, indem er den Abend-
himmel mit gutem Golde überpinselte, was als ein erstaunlicher
Aufwand wohl ausdrücklich hervorgehoben werden darf. In dem
Golde aber machen die veilchenblauen Wölkchen einen gar heitern
und doch möchte man sagen feierlichen Eindruck. — In jenen
Tagen schrieb Lachner seine „sinfonia passionata“, und ward
dieselbe, wie uns Schwind weiter vorführt, vom kunstsinnigen
wiener Publikum gar günstig ausgenommen. Lenau, Feuch-
tersleben, Schubert, Doblhof, Grillparzer, Vogel
und Schönstein und wie die anderen bedeutenden Männer
heißen möchten, die sich damals in Wien zusammenfanden, sehen
wir mit Beifallklatschen sich ganz gewaltig abarbeiten, während
der geehrte Künstler gerührt und stolz zugleich sich tief verbeugt.
— Doch auf dem Währinger Kirchhofe schlafen Beethoven
und Schubert den ewigen Schlaf. Zwischen ihren Gräbern
steht Lachner, sein treues Herz zuckt in bitterem Schmerze zu-
sammen, als er, im Begriffe die so lieb gewonnene Stadt zu
verlassen, von den Thenren langen, langen Abschied nimmt. —
Von den liederreichen Gestaden der Donau, wo einst Volkers
Fidel klang, ruft ihn sein Geschick hinaus an den rebengesegneten
Rhein, dreihundert Stunden weit, so sagt uns der kolossale
Meilenzeiger, den Sch wind's köstliche Laune als Abschluß dieses
Bildes gebrauchte. In Mannheim, der Stadt, die so schön wie
keine zweite in rechtwinklige Straßen zersägt ist, treffen wir Lachner
wieder, der nun die edle Kunst des Billardspieles, welcher er in
Wien mit Lenau so oft obgelegen, in hocharistokratischen Damen-
Kreisen pflegt. Die Bälle aber, so Meister Schwind mit dem
herkömmlichen Farben versah, machen eine gar brillante Wirkung,
um so mehr als sich kein anderes Objekt solcher koloristischen
Auszeichnung rühmen darf.

(Fortsetzung folgt.)

Korrespondenzen.

rinchen, Ans. April. (Kunstverein.) Seit Wieder-
eröffnung der Ausstellungen des Kunstvereins bin ich
Ihnen noch einen Bericht schuldig und komme meiner
desfallsigen Pflicht in Nachstehendem nach. Das Witz-
wort meines seligen Freundes Schwind vom „Unglück
in Wasserstiefeln" ist immer noch wahr, wenn auch nicht
überall die Wasserstiefel dabei eine Rolle spielen. Die Schule, von
deren Meister Schwind das geflügelte Wort gebrauchte, hört nicht

aus, die Nerven der Beschauer in unangenehmster Weise aufzuregen.
So brachte Gysis hinter einander zwei Bilder, in denen das Un-
glück die Hauptrolle spielt. In seinem ersteren, „Die Waisen", sehen
wir ein kaum vierzehnjähriges Mädchen als die Stütze von vier
noch jüngeren Geschwistern am Heerde eines ärmlichen Zimmers
hanthieren. Ein schwarzes Tüchelchen und ein verttockner Kranz,
jenes um den Hals des Mädchens, dieser an der Wand, belehrten
uns, daß, wenn nicht beide Eltern, so doch die Mutter mit Tod ab-
 
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